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Augen.
»Und du hattest wirklich keine Ahnung, welches Geschenk du mir damit machst? Nein, wie solltest du das auch wissen. Wir haben ja noch nicht darüber gesprochen«, beantwortete er seine Frage gleich selbst.
Es dauerte einen Moment, bis der Sinn seiner Worte in Marlas Bewusstsein vordrang. Trotzdem verstand sie ihn nicht.
»Wie bitte?«, fragte sie.
»Ich sagte, du weißt gar nicht …«
»Ich hab verstanden, was du gesagt hast«, unterbrach Marla ihn. »Ich will wissen, ob du das wirklich ernst meinst. Oder ob du dich über mich lustig machst.« Die Möglichkeit, dass sich Pascal wirklich über das Kind freute, hatte sie trotz Mariannes Empfehlung gar nicht in Betracht gezogen. Sie ahnte nicht, wie sehr sie Pascal damit verletzte.
Der Galerist zog seine Hände zurück.
»Habe ich mich je über dich lustig gemacht?«, fragte er mit Reibeisenstimme.
Marla schluckte und schüttelte den Kopf.
»Nein.« Das genaue Gegenteil war der Fall. Nie zuvor hatte sich die junge Künstlerin so respektiert, akzeptiert und geschätzt gefühlt wie von Pascal Lüders. »Nie!«
»Und warum sollte ich jetzt damit anfangen?« Seine Frage war berechtigt, und plötzlich brannten Tränen in Marlas Augen.
»Ach, Pascal, ich weiß es doch auch nicht«, konnte sie ihren Kummer schließlich nicht mehr zurückhalten. »Ich war so verwirrt und hilflos und hatte so Angst, dass du mich nicht mehr lieben würdest.« In diesem Moment gab es kein Halten mehr, und sie brach in Hemmungsloses Schluchzen aus.
Einen Augenblick sah Pascal ihr hilflos zu. Dann konnte er nicht anders und schloss Marla in seine Arme. Als wäre sie selbst noch ein Kind, wiegte er sie so lange hin und her, bis sie sich langsam beruhigte.
»Ist es jetzt besser?«, fragte er mit seiner Samtstimme, die er für ganz besondere Gelegenheiten reserviert hatte.
»Wenn du mich nicht verlässt, ist alles gut«, schniefte Marla und nahm das Taschentuch, das er ihr reichte.
Pascal lächelte schmerzlich.
»Ich hab dir doch erzählt, dass ich in einer Pflegefamilie groß geworden bin. Aber ich habe dir nicht gesagt, dass ich mir immer eine eigene, kleine Familie gewünscht habe. Ich möchte unbedingt erfahren, wie sich das anfühlt … Mit den Menschen zu leben, die wirklich und von Anfang an zu einem gehören. Unwiderruflich. Und diesen Traum lässt du jetzt Wirklichkeit werden. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.« Diesmal war Pascal es, der den Tränen nahe war. Um seine Schwäche nicht zu zeigen, schloss er seine Prinzessin in die Arme, als wollte er sie nie mehr wieder loslassen. Und in diesem Moment glaubte Marla wirklich daran, dass alles gut war, es für immer bleiben würde.
*
Ein paar Tage vergingen, die angefüllt waren mit Plänen und Vorbereitungen. Marla überzeugte ihren Freund, dass sie nicht bei ihm, sondern trotzdem wie geplant in ihre eigene Wohnung ziehen wollte. Das war schon deshalb praktisch, weil Tatjana und Danny ihre Babysitterdienste und auch sonst jede erdenkliche Hilfe angeboten hatten. Die erste und dringendste Maßnahme war die Renovierung der Wohnung, und die ganze Familie Norden erklärte sich bereit, mit anzupacken. Der kommende Sonntag wurde als Termin auserkoren. Danny war schon früh auf den Beinen. Seine Freundin Tatjana ließ er aber so lange wie möglich schlafen. Wegen ihrer Arbeit war sie jeden Tag zu nachtschlafender Zeit auf den Beinen und hatte sich die sonntägliche Ruhe redlich verdient. Irgendwann gab es aber kein Erbarmen mehr.
»Im nächsten Leben wirst du bestimmt eine Fledermaus. Die können ohne Probleme zwanzig Stunden am Tag verschlafen. Oder aber du wirst ein Faultier.« Über seine Freundin gebeugt stand der junge Arzt am Bett und hielt Tatjana eine Tasse Kaffee unter die Nase. Doch an diesem Morgen schien sie noch nicht einmal der aromatische Duft ihres Lieblingswachmachers wecken zu können. Ihre Augen blieben geschlossen, und ihr regelmäßiger Atem verriet, dass sie tief und fest schlief. Doch Danny traute dem Frieden nicht recht.
»Schade, dann werde ich die knusprigen Brezen selbst essen müssen. Und den guten Kaffee allein trinken«, erklärte er laut und deutlich und richtete sich auf.
Er war schon im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Tatjanas Stimme zu hören war.
»Ich vermisse ja wirklich die Zeit, als ich morgens voller Elan aus dem Bett gesprungen bin und gleich hellwach war.«
Nur mit Mühe konnte sich Danny ein Lachen verkneifen. Er drehte sich um und kehrte an Tatjanas Seite zurück.
»Du? In diesem Leben? Schwer vorstellbar«, erwiderte er und setzte sich auf die Bettkante. »Wie alt warst du da?«
»Ungefähr vier«, erwiderte Tatjana und nahm ihm ohne die Augen zu öffnen und ohne einen Tropfen zu verschütten die Tasse aus der Hand. »Du hast recht. Das war ein anderes Leben.«
»Besser oder schlechter als dein Leben mit mir?«, konnte sich Danny eine Frage nicht verkneifen. Im selben Moment wusste er, dass sie ein Fehler gewesen war.
So müde konnte Tatjana gar nicht sein, als dass sie seine Schwäche nicht gnadenlos ausgenutzt hätte.
»Hmmm. Darüber müsste ich nachdenken. Aber mein Kopf arbeitet erst, wenn ich was zu essen bekomme. Eine von diesen knusprigen Brezen zum Beispiel, von denen du gerade gesprochen hast.« Sie blinzelte ihren Freund durch die halb geschlossenen Augen an, der diese Aufforderung auch ohne weitere Erklärungen verstanden hatte.
»Schon gut. Eure Hoheit wünscht also Frühstück ans Bett. Was darf es außer Brezen, Croissants, frisch gepresstem Orangensaft und Kaffee noch sein?«
»Wie wär’s mit einem Kuss? Dann weiß ich auch ohne Nachdenken, dass du das Beste bist, was mir je passiert ist«, ließ sich Tatjana zu einem Kompliment hinreißen, dem Danny nicht widerstehen konnte.
»Du bringst mich noch um den Verstand«, seufzte er und beugte sich über sie, um ihren Wunsch zu erfüllen.
»Nichts lieber als das«, murmelte Tatjana an seinem Mund und zog ihn zu sich hinunter in die weichen Kissen. Ihre kühlen Hände schoben sich unter sein Shirt und jagten ihm einen wohligen Schauer über den Rücken.
»Ich dachte, du hast Hunger«, raunte er ihr zwischen zwei Küssen zu.
»Manchmal muss man Prioritäten setzen. Die Brezen laufen mir nicht davon, du aber vielleicht schon.« Sie küsste ihn wieder. Doch Dannys Pflichtbewusstsein war nur schwer zu besiegen.
»Wir müssen in einer halben Stunde beim Renovieren sein«, erinnerte er sie noch an ihr Versprechen.
»Deine Familie ist es gewohnt, dass wir zu spät kommen. Sie versteht das«, erklärte Tatjana mit vor Leidenschaft heiserer Stimme, ehe sie ihren Worten Taten folgen ließ, die Danny alle Sinne raubten. Endlich gab er sich geschlagen, zog die Decke über sie und beschloss, für diesen Moment sämtliche Pflichten zu vergessen und in vollen Zügen das Geschenk zu genießen, das Tatjana ihm spontan machte.
Mit verstrubbelten Haaren, verräterisch leuchtenden Augen und Wangen und eine Viertelstunde zu spät lief das Paar Hand in Hand die Treppen hinunter und tauchte schließlich am Ort des Geschehens auf. Felix öffnete ihnen.
»Sieh mal einer an. Seid ihr im Stau gestanden?«, feixte er. Hinter ihm im Flur stand ein Eimer Farbe, die Malerrolle lag bereit.
»Nein. Die S-Bahn hatte Verspätung«, scherzte Tatjana gut gelaunt und zwinkerte Danny zu, der ihr heimlich einen Klaps auf den Po gegeben hatte. »Also, was habt ihr für uns zu tun? In welchem Zimmer dürfen wir uns austoben?«
»Das fragst du am besten Marla«, gab Felix nur zu gern Auskunft. »Sie ist ganz in ihrem Element und kommandiert uns herum wie ein Feldwebel.« Er grinste Tatjana an. »Wenn sie das von dir gelernt hat, kann einem mein Bruder nur leid tun.«
»Pass auf, dass ich dich nicht in deinen Farbeimer tauche«, drohte Tatjana im Scherz, als ein Poltern und ein gellender Schrei die ausgelassene Stimmung mit einem Schlag zerstörte.
»Das