Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
(Catilina steht auf der Anhöhe zwischen Gebüsch, an einen Baumstamm gelehnt.)
Catilina.
Du mußt! Du mußt! so drängt mich eine Stimme
Im Innersten, und ich, ich zaudre noch!
Ein Mann, dem Kraft und Mut zu wirken eigen,
Ein Mann, dem jedes hohe Ziel bestimmt,
Verliert sein Herz an zügellose Freuden
Und meint, sie täten ihm genug! Und doch!
Du willst dich nur betäuben, nur vergessen.
Zu spät! Vorbei! Dein Tag ist ohne Ziel
(Nach einer Pause.) Wo bliebt ihr, meiner Jugend reiche Träume? Wie sommerlich Gewölk entschwandet ihr Und ließt ein tiefenttäuscht Gemüt zurück, Dem nicht einmal ein Hoffnungsschein mehr lachte! (Schlägt sich vor die Stirn.) Verachte Dich, Du stolzer Catilina, Verachte Dich, Du nicht gemeiner Mensch, Den doch trotz aller Gaben eins nur lockt: Genuß, Genuß und abermals Genuß. (Ruhiger.) Zwar bläst wohl eine Stunde noch wie diese Die Aschenglut geheimer Sehnsucht auf. Ah, schau' ich diese Stadt, das stolze, reiche, Berühmte Rom, und seine Laster treten Und sein Verfall, in den es längst versunken, In übergroßer Klarheit vor mein Auge, – Dann ruft's in meinem Innern laut und mahnend: Auf, Catilina! Auf, und sei ein Mann! (Abbrechend.) Ach, ihr Gespinste schwärmerischer Schwermut, Gebilde nur der Nacht und Einsamkeit, – Die ihr beim ersten Laut des Lebens wieder Hinabflieht in der Seele stummen Schacht!
(Die Gesandten der Allobroger, Ambiorix und Ollovico, kommen mit ihren Begleitern die Straße daher, ohne Catilina zu bemerken.)
Ambiorix.
Wir sind am Ziele! Seht die Mauern Roms!
Und drüber hoch und klar das Kapitol!
Ollovico.
Dies also dort ist Rom? Italiens Herrin,
Germaniens bald, – vielleicht auch Galliens einst.
Ambiorix.
Ja, nur zu wahr; so dürft' es einmal kommen;
Und ohne Schonung ist die Herrschaft Roms;
Den Unterworfnen beugt sie bis zu Boden. –
Nun, laßt uns sehn, was unser Volk erwartet:
Ob den Allobrogern ihr Recht wird, oder
Ob Übermut sie weiter kränken darf.
Ollovico.
Man wird uns Schutz gewähren.
Ambiorix.
Hoffen wir's;
Denn noch ist alles ungewiß und dunkel.
Ollovico.
Du scheinst in Sorgen?
Ambiorix.
Und mit gutem Grund.
Voll Eifersucht ist Rom auf seine Macht.
Und wisse wohl, daß diesem stolzen Weltreich
Nicht Häuptlinge gebieten, wie bei uns.
Daheim befiehlt der Weise oder Krieger;
Im Rat den obersten, im Streit den größten,
Ihn kiesen wir zum Führer unsres Stamms,
Zum Richter und zum Herrscher unsres Volks.
Doch hier –
Catilina (ruft ihnen von oben zu:) – hier herrscht Gewalt und Eigennutz; Durch List und Ränke wird man Herrscher hier!
Ollovico.
O weh uns, Brüder, er behorchte uns!
Ambiorix (zu Catilina.) Ist dies bei wohlgebornen Römern Brauch? In unsern Tälern würd' ein Mann sich schämen –
Catilina (steigt auf die Straße hinab.) Seid ruhig; Spähen ist nicht mein Beruf; Nur Zufall ließ mich Euer Wort vernehmen.
Ihr kommt vom Lande der Allobroger?
Ihr meint, in Rom werd' Euer Recht Euch werden?
Kehrt um! Zieht heim! Hier sind Tyrannen Herr
Und Schurken mehr denn irgendwo auf Erden.
Von "Freiheit" schallt es, "Republik" und "Recht";
Und doch, kein Bürger, der nicht rechtlos wäre,
Verschuldet tief, ein willenloser Knecht
Von Senatoren, feil um Geld und Ehre!
Längst schwand der Geist des alten Römerstaats,
Der Freisinn, den der Vorzeit Dichter singen;
Sein Leben gilt's der Willkür des Senats
Mit schwerem Gold als Gnade abzudingen.
Hier spricht der Macht und nicht des Rechtes Mund;
Der Edle sieht nur Haß auf sich gerichtet –
Ambiorix.
Doch sprich, wer bist dann Du, der uns den Grund,
Drauf unser ganzes Hoffen stand, vernichtet?
Catilina.
Ein Mann, in dem es warm für Freiheit pocht,
Ein Feind von unbefugtem Rechtsverkürzen;
Ein Freund von jedem, den man unterjocht;
Voll Lust und Mut, die Mächtigen zu stürzen.
Ambiorix.
Das stolze Römervolk –? Wie? Rede klar!
Du willst gewiß nur eitlen Argwohn wecken, –
Ist es nicht mehr, was es vor Zeiten war:
Der Schwachen Schutz und der Tyrannen Schrecken?
Catilina (zeigt auf die Stadt und sagt:) Sehr auf dem Hügel dort, ihr Männer, drohen Voll Herrschertrotz das große Kapitol, Seht es im roten Abendglanze lohen Vom Blitz des letzten Sonnenstrahls! Nun wohl! So bricht auch Rom in Sterbeglut zusammen; So sinkt Roms Freiheit in der Knechtschaft Nacht. Doch bald soll eine neue Sonne flammen, Vor deren Glut das Düster jäh erwacht. (Ab.)
(Ein Säulengang in Rom.)
(Lentulus, Statilius, Coeparius und Cethegus treten in eifrigem Gespräch auf.)
Coeparius.
Ja, Du hast recht; es wird nur immer ärger.
Wer weiß, wie das noch alles enden mag.
Cethegus.
Wie's enden mag? Was kümmert das Cethegus!
Ich will den Augenblick genießen, will
Den Becher leeren jeder Lust – und lasse
Die Welt gehn, wie's ihr selbst am besten paßt.
Lentulus.
Wohl dem, der's kann. Mir ist es nicht gegeben,
Den Tag so ruhig nahn zu seh, an dem
Wir keiner Fordrung mehr genügen können,
Weil unser Säckel leer ward wie ein Sieb.
Statilius.
Und keine Hoffnung, daß es besser werde!
Zwar, eine Lebensweise wie die unsre –
Cethegus.
Hör' auf, hör' auf!
Lentulus. Mein letztes Erbstück ward
Mir heute Schulden halber abgepfändet.
Cethegus.
Genug der eitlen Klagen! Folgt mir, Freunde!
Wir zechen sie in Grund und Boden, kommt!
Coeparius.