Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 5 – Arztroman. Patricia Vandenberg
nehmen könne.
Das war ihm momentan nicht eingefallen, was bewies, wie konsterniert er immer noch war. Jetzt ließ er sich ein Taxi kommen, denn er wollte auf jeden Fall zuerst zur Klinik fahren, um sich an Ort und Stelle zu informieren, wie es Inge und den beiden Mädchen ging. Er vergaß Janine nicht, denn er kannte sie auch lange genug und war immer froh gewesen, daß Beate eine so gute Freundin hatte.
Jenny Behnisch war überrascht, daß er doch schon so schnell kam, obgleich sie von Fee unterrichtet war, daß Helmut Hendriks Verbindung zu Daniel aufgenommen hatte.
»Mit Ihrer Frau können Sie gleich reden, sie ist heute schon recht flott«, erklärte Jenny. »Beate schläft noch, aber ihr Zustand ist jetzt ganz stabil.«
Helmut Hendriks atmete hörbar auf. »Gott sei Dank! Wie geht es Janine?«
»Leider noch immer nicht viel besser. Sie hat an der Seite gesessen, mit der das Auto zuerst aufgeschlagen ist.«
»Ich kann mir vorstellen, mit welcher Wucht das geschehen sein muß, wenn ein so stabiler Wagen so demoliert wird, denn ich habe heute morgen Bilder in der Zeitung gesehen. Ich hatte ja überhaupt keine Ahnung, daß ein Unfall in unserer Gegend war, weil ich in Paris keine Zeit hatte, deutsche Zeitungen zu besorgen. Wie hätte ich so was auch denken sollen? Dachte ich doch, Beate sei in Griechenland! Wenn ich nicht ständig vergeblich versucht hätte, meine Frau zu erreichen, wäre ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, bei Dr. Norden anzurufen. Aber bei Inge muß ja auch darauf gefaßt sein, daß sie aus heiterem Himmel einen Nervenzusammenbruch bekommt, wenn irgend etwas schiefgeht.«
»Wir haben festgestellt, daß diese Reaktionen bei Ihrer Frau durch eine Psychodynamik entstehen, die ein sehr starkes Ichbewußtsein einschließt. Man sollte das therapieren.«
»Darüber können wir uns eingehend unterhalten. Ich wäre froh, wenn Inge einsichtiger würde.«
Jenny nickte. »Vor allem, wenn sie sich bewußt würde, daß sie selbst es in der Hand hat, Überreaktionen zu bremsen, zumindest zu mildern.«
»Dann werde ich jetzt zu ihr gehen. Hoffentlich verzeiht sie mir, daß ich so früh keine Blumen bekommen konnte.«
»Ich denke, daß sie sich freuen wird, Sie zu sehen und sich nicht aufregen, daß Ihr Wagen Schrott ist.«
»Den kann man doch ersetzen, und er ist nicht mein liebstes Kind, das ist Beate.«
Er gefiel Jenny, so wie ihr schon Andy gefallen hatte. Sie erlebte sogar, daß Inge tatsächlich sekundenlang sprachlos war, als ihr Mann das Zimmer betrat.
Ungläubig sah sie ihn an.
»Ich bin es, Inge«, sagte er. »Du kannst es ruhig glauben.«
»Wie hast du es erfahren?« fragte sie kleinlaut und sah ihn nun wieder ängstlich an.
»Nachdem ich dauernd zu Hause angerufen habe und nur der Anrufbeantworter sich meldete. Weil ich ja dachte, daß Beate in Griechenland ist, habe ich gefürchtet, daß dir etwas passiert sein könnte und Dr. Norden angerufen. Er hat mir gesagt, was passiert ist. Ich habe zum Glück gestern abend noch einen Flug bekommen, allerdings nur bis Frankfurt, dann mußte ich mit dem ICE nach München weiter und kam mitten in der Nacht zu Hause an.«
»Hast du wenigstens geschlafen?«
»Nicht richtig, aber das kann ich nachholen.«
»Bist du sehr böse wegen des Wagens? Ich hatte keine Schuld«, flüsterte sie beklommen.
»Es geht nicht um eine Schuldfrage. Ich bin froh, daß ihr lebt, aber vielleicht denkst du in Zukunft besser nach, bevor du etwas Unüberlegtes tust. Was meinst du, wie mir zumute wäre, wenn ihr das nicht überlebt hättet.«
Gleich rannen bei ihr die Tränen.
»Beate wollte doch noch einiges einkaufen«, schluchzte sie. »Dann habe ich die beiden Mädchen zum Essen eingeladen. Es war sehr nett, und ich habe auch nichts gegen die Griechenlandreise gesagt. Ich weiß ja, daß es noch schlimmer hätte kommen können und mag gar nicht daran denken, daß Janine vielleicht gelähmt bleiben könnte. Du mußt mir glauben, wenn ich sage, daß es mir lieber wäre, ich hätte diese Verletzungen.«
»Daran will ich gar nicht denken, und du solltest lieber darüber nachdenken, was getan werden kann, daß du dich nicht mehr über jede Kleinigkeit aufregst und an allem etwas auszusetzen hast. Dann könnten wir auch viel vernünftiger miteinander reden.«
»Bin ich denn so schlimm?«
»Ich habe dir schon öfter gesagt, was ich nicht ausstehen kann, aber ich habe nicht daran gedacht, daß es psychische Fehlreaktionen bei dir sein könnten. Dagegen kann man etwas tun, aber du mußt es selbst wollen.«
»Ich merke das doch gar nicht! Ich will dich nicht ärgern. Ich möchte nur alles richtig machen!«
»Du bist in vielen Dingen perfekt, Inge, das erkenne ich voll an, aber in anderen bist du kleinlich und kannst ewig auf Nichtigkeiten herumhacken. Ich muß das jetzt gleich mal loswerden, denn jetzt hast du Zeit zum Nachdenken. Ärzte sind da, die dich entsprechend behandeln können.«
»Du denkst, daß das krankhaft ist?« fragte sie erregt.
»Nun reg dich nicht gleich wieder auf! Frau Dr. Behnisch sagt, daß es mit der Psychodynamik zu tun hat. Wir werden uns darüber genau informieren und dann eingehend unterhalten. Du mußt mir aber versprechen, daß du nicht gleich wieder in Abwehrstellung gehst.«
Sie spielte ein wenig nervös mit der Bettdecke. »Wegen des Wagens machst du mir keine Vorwürfe?«
»Nein, warum sollte ich das, Inge? Außerdem habe ich heute morgen im Bad aufgepaßt, daß die Handtücher richtig hängen und keine Wasserpfützen geblieben sind, so folgsam bin ich.«
Sie wurde sehr verlegen. »Das klingt ja gerade so, als ob ihr bei mir unter der Fuchtel steht.«
»Du kannst ganz schön kommandieren, das sollte auch mal gesagt werden.«
So was hörte sie nicht gern, widersprach aber nicht.
»Wie sieht es denn zu Hause aus? Ich hatte noch keine Gelegenheit, Frau Bauer Bescheid zu sagen, damit sie alles sauber macht.«
»Es ist sauber, und lüften kann ich auch.«
»Sie wird ja erfahren haben, was passiert ist. Ich weiß ja nicht, wie lange ich noch in der Klinik bleiben muß, möchte aber, daß mir Frau Bauer erhalten bleibt. Man bekommt so schwer eine zuverlässige Hilfe.«
»Ich kann sie ja anrufen und etwas mit ihr vereinbaren.«
»Das würdest du tun? Du bist ein wahrer Schatz. Ich bin so froh, daß du gekommen bist, Helmut. Ich hatte richtig ein bißchen Angst, daß du mir Vorwürfe machen würdest.«
»Du bist ein Dummerchen, Inge. Wir haben es schon so lange miteinander ausgehalten, hast du wirklich gemeint, ich würde Theater machen wegen des kaputten Autos?«
»Du warst ärgerlich auf mich, als du weggefahren bist. Meinst du, das habe ich nicht gemerkt?«
»Ich habe mich oft geärgert, Inge, warum sollte ich das leugnen. Deine negative Einstellung zu vielen Dingen, deine ungerechtfertigte Nörgelei war oft wirklich anstrengend. Es hat mir auch nicht gefallen, daß du gegen diese Griechenlandreise warst. Was denkst du jetzt, da die beiden Mädchen auf der Intensivstation liegen?«
Sie begann zu weinen.
»Es tut mir so leid, Helmut! So ein schöner Tag war es, und wir haben uns gut verstanden. Ich bete doch ständig, daß sie gesund werden. Daß man mich hier auch als Nervensäge bezeichnet, habe ich auch schon gehört, aber ich habe mich schon gebessert. Mir war nicht bewußt, wie ich auf andere wirke. Jetzt kann ich nur Scherben zusammenlesen.«
»Lassen wir das Zusammenkitten, Inge, das bringt nichts. Wagen wir einen Neuanfang. Beate braucht Eltern, die zusammenhalten, und wir wollen doch nur das Beste für unsere Tochter. Es ist für Janine schlimm genug, daß sie zwischen die Fronten geraten ist. Ich kann nur hoffen, daß