Leni Behrendt Box 1 – Liebesroman. Leni Behrendt
dann setzte der prächtige Rüde in langen Sätzen davon. Aber nicht durch die Anlagen, über den riesengroßen Hof zum Tor hinaus, sondern nach der entgegengesetzten Seite. Raste quer durch den verschneiten Park, über den zugefrorenen Weiher, wo sich inmitten zierlich und kokett das Schwanenhaus erhob. Jetzt unbewohnt, weil seine stolzen Insassen während der klirrenden Kälte im warmen Stall untergebracht waren.
Die beiden andern Hunde setzten dem Spaniel nach. Das Windspiel ohne Laut, in weichen, eleganten Sprüngen, der Dackel aufgeregt kläffend, daß das samtige Gehänge nur so flog.
Bis die hohe, oben mit scharfem Stacheldraht versehene Parkmauer den Tieren Einhalt gebot. Winselnd sahen sie Herrchen entgegen, der ihnen Platz gebot und zum Gärtnerhaus glitt, um sich von dort den Schlüssel zur nächsten Pforte zu holen. Leise jaulend verharrten die Rüden, bis ein scharfer Pfiff ertönte. Da rasten sie ihm nach, durch die geöffnete Pforte, über das weite, weiße Feld – und Herrchen immer dem Bellen nach, das fern und ferner klang.
Es war selbst für diesen routinierten Schifahrer nicht einfach, vorwärtszukommen. Denn die Schneeflocken klebten an der Brille und nahmen ihm so die Sicht. Immer wieder mußte er stehenbleiben, um die Gläser zu wischen, was natürlich aufhielt. Der eisige Wind drang durch Mark und Bein, gellte in den Ohren wie Höllenmusik.
Aber dieser mühsame Weg schien wenigstens nicht umsonst zu sein, wie der Mann befürchtete; denn weitab hörte er Harras Standlaute geben. Also schien er die Gesuchte gefunden zu haben, wovon der Graf sich dann auch schon fünf Minuten später überzeugen konnte. Denn inmitten der weißen Einsamkeit saß die Dörth und streichelte die Hunde, die sie winselnd umdrängten.
»O Edzard, wie gut, daß du da bist«, sagte sie kleinlaut. »Ich glaube, ich habe mich verirrt.«
»Das ist nicht nur Glaube, sondern Tatsache«, kam es knapp zurück. Ein Griff unter die Achselhöhlen, ein scharfer Ruck – und sie stand wieder aufrecht. Und obwohl das vergötterte Töchterlein eines reichen Vaters sonst gewiß nicht ängstlich war, sah es jetzt doch unsicher in das rassige Männerantlitz.
»Edzard, sei mir nicht böse –«, begann sie zaghaft, doch schon schnitt eine herrische Bewegung ihr das Wort ab. Nicht gerade zärtlich griff er nach ihrer Hand und zog sie mit sich fort. Immer dem eisigen Wind entgegen, der bis auf die Knochen ging, wie man so sagt.
Doch keine Klage kam über Doros Lippen, obgleich sie das Gefühl hatte, jeden Augenblick in sich zusammensinken zu müssen. Tapfer hielt sie stand, bis das Schloß erreicht war, wo ihnen in der Halle das gräfliche Paar angstvoll entgegeneilte.
»Unserem Herrgott Lob und Dank«, sagte Linda leise, dabei die Schulter der Schwiegertochter umfassend, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Wenig später lag diese dann in dem durchwärmten Bett und schlief vor Erschöpfung sofort ein.
Doch schon drei Stunden später erschien sie zum Abendessen, munter und vergnügt wie eh und je.
»Ich glaube, du bist einfach nicht kleinzukriegen«, sagte der Schwiegervater halb anerkennend, halb ärgerlich, und sie lachte ihn lieblich an.
»Uijeh, Papa, werde bloß nicht grantig. Freue dich lieber, mich so wohlbehalten vor dir zu sehen, was bestimmt nicht der Fall wäre, wenn mein lieber Gatte mich nicht aus dem Hexenkessel herausgeholt hätte. Im übrigen habe ich Hunger.«
Ja, was sollte man da machen? Am besten gute Miene zum bösen Spiel. Denn Vorwürfe hätten ja doch jeden Eindruck auf diesen kleinen Nichtsnutz verfehlt.
»Das war grausig«, bekannte dieser jetzt offen, während er sich den delikaten Fleischsalat trefflich munden ließ. »Kein Wunder, daß ich mich bei dem abscheulichen Schneetreiben, das mir jede Sicht nahm, verirren mußte.«
»Und warum bliebst du da nicht zu Hause?« fragte die Schwiegermutter knapp.
»Weil ich die Vorwürfe, die man mir wie am laufenden Band machte, endlich satt bekam.«
»Nimmst an, daß man dich hier damit verschonen wird?«
»Ja –«, kam es mit solch entwaffnender Zuversicht zurück, daß man verblüfft war. »Ihr seid hier anders als Paps und Ma – ihr seid beinahe so wie meine Jo.«
»Wie uns das ehrt«, mußte der Schwiegervater widerwillig lachen. »Und warum bliebst du denn nicht bei dieser phänomenalen Jo?«
»Damit ist es leider ex«, bekannte sie traurig. »Sie will jetzt seßhaft werden mit ihrem Bertie, der ein fanatischer Gestütler ist. Pferde, Pferde und nochmals Pferde – wie kann man nur. Na, bescheide ich mich eben. Hier ist es ja auch ganz schön.«
»Da fühlen wir uns aber geehrt«, ironisierte der Gatte. »Neugierig bin ich nur, wie du deine Zeit hier totzuschlagen gedenkst.«
»Dein Spott rührt mich gar nicht, mein lieber Mann«, wies sie achselzuckend ab. »Ich werde mir schon die Zeit vertreiben.«
Was sie denn auch tat. Tagsüber tummelte sie sich im Freien, und abends machte sie gleich der Schwiegermutter Handarbeiten, wobei zuerst eine arge Pfudelei zustande kam. Doch sie ließ nicht nach, versuchte es im verbissenen Eifer immer wieder aufs neu.
»Warum plagst du dich so ab?« fragte eines Abends der Schwiegervater.
»Um mir nicht immer nachsagen zu lassen, daß ich zu nichts nütze bin.«
»Hm. Wer hat dir denn den Vorwurf gemacht?«
»Paps. Gestern erst, als er hier war. Der hat nämlich neuerdings ständig an mir etwas auszusetzen. Wahrscheinlich will er schleunigst nachholen, was er in zwanzig Jahren versäumte.«
Es kam so trocken heraus, daß die andern lachen mußten, und vergnügt tat sie mit. Sie nahm eben nichts ernst, spielte sich durchs Leben wie ein unbekümmertes Kind.
*
Der Frühling wollte sich in diesem Jahr durchaus nicht kalendermäßig einstellen. Der Schnee lag noch dick auf den Fluren, und immer noch wehte ein kalter Wind, der einen Aufenthalt im Freien nicht lange zuließ. Also suchte man gern die warmen Stuben auf und empfand die Wärme des brennenden Kamins als wahre Wohltat.
So saß denn auch an einem Nachmittag Familie Sölgerthurn geruhsam beisammen. Um sich die Zeit zu vertreiben, spielten die Herren Schach, während die beiden Damen sich beim Halma vergnügten.
Dabei ging es nicht so ruhig zu wie bei den Schachpartnern. Hauptsächlich Doro tat lebhaft ihre Freude kund, wenn ihr ein ganz besonders guter Zug geglückt war, was allerdings nicht oft geschah. Denn sie als Anfängerin konnte sich nur schwer gegen die routinierte Spielerin behaupten.
»Gefangen, mein Kind«, sagte die soeben lachend. »Aber hast dich gut gewehrt. Noch eine Partie als Revanche?«
Dazu sollte es jedoch nicht kommen, weil der Diener eintrat und den Justizrat Elbitz meldete, der dann auch gleich danach in Erscheinung trat.
»Schönen guten Tag, meine Herrschaften«, grüßte er vergnügt die ihm bekannte Familie. »Ich komme diesmal als Amtsperson.«
»Dann bleiben Sie lieber draußen«, lachte die Hausherrin, ihm dabei die Hand entgegenstreckend und ihm einen Platz bietend, nachdem er auch die andern begrüßt hatte. »Mit Amtspersonen wollen wir nichts zu tun haben.«
»Erst abwarten, Frau Gräfin. Auch von Amtspersonen kann etwas Gutes kommen.«
»Und das wäre?«
»Eine Erbschaft.«
»Jetzt hören Sie aber auf«, lachte der Hausherr. »Wer sollte uns schon etwas vererben?«
»Tante Eulalia zum Beispiel.«
»Ausgerechnet das liebe Kirchenmäuslein. Außerdem pflegt man nur Verstorbene zu beerben.«
»Eben, Herr Graf«, wurde der Anwalt nun tiefernst. »Fräulein von Grottau ist gestern verschieden.«
»Um Himmels willen, wie konnte das denn so plötzlich geschehen?« rief Gräfin Linda zutiefst erschrocken. »Sie war doch immer gesund, unser gutes Eulachen.