Seewölfe - Piraten der Weltmeere 19. John Curtis
„Mr. Pellew“, begann er abermals, aber diesmal klang seine Stimme eine Spur schärfer, „tun Sie jetzt bloß nicht so, als wüßten Sie nichts. Sie sind an Bord der ‚Golden Hind‘ der Mann, der sogar die Kakerlaken husten hört. Verdammt noch mal, Pellew, Sie müssen mir helfen, verstehen Sie das nicht, oder wollen Sie das nicht begreifen? Also ’raus mit der Sprache: Killigrew und seine Männer haben die ganze Sache mit dem Kutscher nur in Szene gesetzt, weil sie Pete Ballie und Matt Davies suchen wollten, suchen und befreien. So verhält es sich doch?“
Drake trat noch näher an Mac Pellew heran und erreichte damit wenigstens, daß der Koch ihn anblickte. Aber in seinen Augen war keine Spur von Furcht. Im Gegenteil, Drake bemerkte die Aggression, den Trotz, der plötzlich in ihnen funkelte.
„Also, Sir, ich hab Ihnen das alles ja schon einmal erklärt. Der Kutscher hätte sich ja nur mit einer Hand am Want festzuhalten brauchen. Aber genau das hat er nicht getan, und deswegen sauste er ins Wasser. Dan O’Flynn und Batuti sind dem Kutscher nachgesprungen. Wie Sie wissen, kann der Kutscher ja nicht schwimmen, Sir. Dann wurde das Boot sofort besetzt. Anschließend sah ich noch, wie dieses Boot unter dem Kommando von Mr. Killigrew hinter dem Heck hervorschoß. Aber inzwischen hatte die starke Strömung Dan, Batuti und den Kutscher schon so weit in die Dunkelheit abgetrieben, daß von ihnen nichts mehr zu sehen war. Bestimmt sind sie den dreien gefolgt und haben sie nicht sofort finden können, zumal Carberry dauernd etwas davon in die Nacht brüllte, daß er dem verdammten Kutscher schon beibringen werde, wie man Abfälle über Bord schütten könne, ohne gleich ins Wasser zu fallen, und daß er ihm die Haut von seinem Affenarsch in Streifen abziehen würde. Natürlich konnte Mr. Killigrew dadurch bestimmt die Rufe der drei nicht hören. Es sollte mich wirklich nicht wundern, wenn sie die drei erst bei der Insel wiedergefunden haben, und dann wurden sie vermutlich von den Araukanern überfallen und mußten um ihr Leben kämpfen. Ja, Sir, mehr weiß ich nicht, und wenn Sie den alten Mac Pellew dafür an der Großrah aufknüpfen lassen!“
Mac Pellew klappte den Mund zu. Und das sah so endgültig aus, daß Drake unwillkürlich die Hände ballte.
„Mr. Pellew!“ stieß er drohend hervor, aber da geriet er gerade an den Richtigen.
„Ich will Ihnen noch etwas sagen, Sir!“ fauchte der Koch. „Jeder Mann vom Vordeck weiß, daß diese Seewölfe und dieser schwarzhaarige Satan eine ganz verdammte Bande sind, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten. Wer sich mit einem von ihnen anlegt, der legt sich mit allen an. Und das ist gut so. Jeder Kapitän sollte froh sein und dem Himmel danken, wenn er eine solche Bande von Kerlen an Bord hat. Kein vernünftiger Kapitän kann erwarten, daß ausgerechnet die Seewölfe die Hände in den Schoß legen, wenn zwei von ihnen von den Indianern geröstet und verspeist werden. Die nicht, die ganz bestimmt nicht. Denn wenn sie das täten, dann taugten sie einfach nichts, Sir. Und wenn der Kapitän eines Schiffes eine Anordnung gibt, dann muß er sich von vornherein überlegen, ob er diese Anordnung auch durchsetzen kann. Aber so ein Rudel wie diese Seewölfe, also von denen läßt sich jeder einzelne lieber hängen, als daß er den anderen im Stich läßt. Und das ist richtig so. Denken Sie mal an Blackwater, an Batuti. So, Sir, tun Sie mit dem Mac Pellew, was Sie wollen. Ich weiß gar nichts – was ich Ihnen jetzt gesagt habe, das war meine Meinung, Sir, und auf die hatten Sie ja schließlich ein Anrecht, die wollten Sie doch wohl wissen, oder etwa nicht? Sie sollten wirklich froh sein, Männer wie die Seewölfe an Bord der ‚Golden Hind‘ zu ...“
Drake trat den Rückzug an. So wütend hatte er den Koch noch nie erlebt. Es war völlig zwecklos, weiter in ihn zu dringen. Und wenn selbst ein Mann wie Carberry zu dem Seewolf hielt, dann hatte Mac Pellew vielleicht sogar recht.
Er sah nicht mehr, wie Mac Pellew hinter ihm her grinste. Dazu war es zu dunkel, und das spärliche Licht der Deckslaternen reichte dazu auch nicht aus.
In diesem Moment erschallte an Steuerbord ein Ruf.
„He, Blacky – Smoky! O ihr verdammten Decksaffen, wo kommt ihr denn her? Wo sind die anderen?“
Mit einem Satz war Drake an der Steuerbordreling.
„Ho – Tim Brewer, du junger Walfisch, rede nicht so dummes Zeug, laß lieber den Kapitän rufen! Da drüben auf der Insel ist der Teufel los. Der Seewolf braucht Hilfe, und zwar schnell, oder die Dons löschen das ganze Indianerdorf aus, mit Mann und Maus. Mindestens hundert schwerbewaffnete Kerle, wahrscheinlich aber mehr, rüsten sich zum Sturmangriff auf die Araukaner. Und bei denen, hinter den Palisaden, sitzen bestimmt auch Pete Ballie und Matt Davies!“
Tim Brewer, der im Mars auf Ausguck gesessen hatte, enterte wie der Blitz ab. Andere stürzten an die Reling. Sie erkannten nun ebenfalls das Boot, das von Smoky und Blacky mühsam gegen die starke Strömung herangepullt wurde.
Leinen flogen, Patrick Evarts, der Segelmacher, fing eine auf. Dann zogen die Männer das Boot längsseits. Gleich darauf enterte Blacky an Deck. Er erkannte Drake im Schein der Deckslaternen und erstattete sofort Bericht. Nicht nur über die Situation bei dem Araukanerdorf, sondern auch über ihren Kampf bei dem kleinen Tempel, über das gefolterte Mädchen, über den bestialisch hingemordeten jungen Araukaner.
Drake hörte Blacky ohne Zwischenfrage bis zu Ende an. Dann wandte er sich an einen stämmigen, breitschultrigen Mann, der neben ihm stand und trotz der ganzen Aufregung die Ruhe in Person zu sein schien.
„Mr. Moone!“
„Aye, Kapitän?“
„Sie nehmen sofort zwanzig Männer und setzen mit der Segelpinasse zur Insel über. Blacky und Smoky werden Sie führen. Sie unterstützen Mr. Killigrew sofort gegen die Spanier. Wir müssen den Araukanern helfen, die Spanier dürfen das Dorf auf keinen Fall einnehmen und die Araukaner abschlachten. Lassen Sie die Männer so schwer bewaffnen wie möglich. Ich selbst werde sofort mit der ‚Golden Hind‘ ankerauf gehen und zur anderen Seite der Insel segeln. Ich nehme an, daß die Spanier dort an der Ostseite gelandet sind. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Unternehmen um eine der Strafaktionen, mit der die Spanier aufständische Indianer befrieden. Und befrieden heißt in jedem Fall völlige Ausrottung oder absolute Versklavung. Aber wir werden den Kerlen die Suppe gründlich versalzen! An die Arbeit, Männer!“
Thomas Moone, der ehemalige Schiffszimmermann Drakes und der spätere Kapitän der kleinen „Benedict“, verlor keine Zeit. Während sich an Bord der „Golden Hind“ hektische Betriebsamkeit entfaltete und ein Teil der Männer bereits daranging, eine der Segelpinassen klarzumachen, suchte er zwanzig Männer aus und ließ sie so schwer bewaffnen, wie das eben möglich war. Smoky und Blacky halfen ihm dabei.
Die kleine Truppe war in Rekordzeit bereit, von Bord zu gehen.
Thomas Moone strich sich über sein braunes Haar, und seine braunen Augen blickten zur Insel hinüber.
„Ich gehe jede Wette ein“, sagte er, „daß der Seewolf den Kerlen schon jetzt die Hölle ganz schön angeheizt hat. Er ist nicht der Mann, der wartet, bis Hilfe eintrifft. Also, los, Männer, kaufen wir uns diese verdammten Dons, und jagen wir sie zum Teufel!“
Die Segelpinasse wurde abgefiert. Die Männer enterten über hinabgeworfene Taue hinunter. Dann blähte sich auch schon das Segel im Wind, und Thomas Moone rauschte mit seinen Männern in Richtung Insel davon.
Auf dem Vorkastell der „Golden Hind“ hievten die Männer am Spill den Anker. Laute Kommandos erschallten, die Männer stürzten an die Brassen, enterten die Wanten auf. Ein Segel nach dem anderen wölbte sich im Wind, dann nahm auch die „Golden Hind“ Fahrt auf.
Auf dem Hauptdeck wurden die Geschütze gefechtsklar gemacht. Stangenkugeln und Kartuschen aus Segeltuch wurden zurechtgelegt, die Drehbassen bestückt, und schließlich enterten noch die Pfeilschützen auf, um den Gegner auch mit ihren Brandpfeilen zu spicken.
Unterdessen flackerten irgendwo auf der Mocha-Insel wieder Brände auf. Deutlich sahen die Männer den Flammenschein, der über den dunklen Wäldern aufzuckte. Und viele von ihnen stießen Verwünschungen aus. Sie brannten darauf, den Dons mit Blei und Kanonendonner einzuheizen.
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