Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman. Britta Winckler

Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman - Britta Winckler


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auf ein Glas Wein noch bei uns vorbeikommt. Aber wie ich ihn kenne, wird er sich zuerst genau über jede seiner Patientinnen informieren. Er wird die Karteikarten der Neuaufnahmen studieren, und vor allem wird er nach den Babys sehen.« Sie fing den erstaunten Blick der Stellvertreterin ihres Vaters auf. »Ich mache mich nicht lustig über meinen Vater. Ich weiß, dass er nicht anders kann. Daher ist er auch mein großes Vorbild. Ich bewundere ihn sehr.«

      Astrids Blick hatte an Wärme gewonnen. »Grüßen Sie ihn bitte von mir. Ich freue mich für ihn, dass er Erfolg hatte. Ich bin stolz auf ihn.«

      Dr. Westphal folgte der Kinderärztin hinaus auf den Flur. Dort verabschiedete Astrid sich. Sie widerstand dem Wunsch, noch einmal in die Kinderabteilung zu gehen und verließ stattdessen auf dem kürzesten Weg die Klinik. Schließlich hatte sie auch noch an einen Mann und ein Kind, an die sie denken musste.

      Anja Westphal ging ins Ärztezimmer. Sie tat genau das, von dem Astrid angenommen hatte, dass ihr Vater es bei seiner Rückkehr tun würde. Sie sah die Eintragungen auf den Karteiblättern durch. Erneut befasste sie sich mit jeder einzelnen Krankengeschichte. Probleme hatte es nur bei den Zwillingen gegeben und bei Frau Holl. Sie hatte es jedoch verhindern können, dass es bei Frau Holl zu einem totalen Kreislaufzusammenbruch gekommen war. Kaum hatte sie das Baby an die Schwester weitergegeben gehabt, war die Frau weggekippt. Sie legte das Karteiblatt zur Seite, da öffnete sich die Tür.

      »Da bist du ja! Ich habe dich schon gesucht.«

      »Hallo!« Die Frauenärztin erhob sich. »Lange kannst du aber noch nicht im Haus sein.«

      »Bin ich auch nicht. Es ist jedoch später geworden, als ich gedacht hatte. Ich kam später weg, außerdem hatte ich eine Beifahrerin.«

      »Eine Beifahrerin?« Anja war überrascht.

      »Ja, aber ich will davon nichts mehr wissen. Ich habe mich während der ganzen Fahrt mit ihr beschäftigt, das heißt, kurz nach der Schweizer Grenze brachte ich sie zu einem Bahnhof. Es war ihr Wunsch.« Er sah Anjas Lächeln.

      »Nicht, was du denkst. Sie ist verheiratet, jung verheiratet, hatte aber offensichtlich andere Vorstellungen von der Ehe. Aber lassen wir das, ich wurde aus ihr nicht klug.«

      Anja legte ihren Kopf schief. Sie war wirklich überrascht. Es sah so aus, als habe diese Frau den Chefarzt beeindruckt. Ehe sie aber nachhaken konnte, wechselte er das Thema.

      »Wie viele Geburten hat es während meiner Abwesenheit gegeben? Jedenfalls gab es keine Totgeburten, das habe ich bereits vom Portier erfahren. Es ist dir also gelungen, die Zwillinge zu holen?«

      Anja nickte, dann bekannte sie: »Leider geht es dem Zweitgeborenen nicht besonders gut. Bei ihm kam es zu einer Zangengeburt. Die Geburtslähmung ist noch zu sehen, aber ich bin der Ansicht, dass sie schon nachgelassen hat.«

      »Hast du durch das Zustandsbild Hinweise auf eine Hirnverletzung oder eine Hirnblutung erhalten?« Dr. Lindau war jetzt ganz bei der Sache.

      »Das Baby war zu schwach. Ich musste es sofort in den Brutkasten stecken. Nach einigen Stunden hatte es den Anschein, als würde die Herztätigkeit aussetzen. Ich hatte Angst, dass mir das Baby unter den Händen stirbt. Ich bat Astrid zu kommen, und zusammen kümmerten wir uns um das Baby. Jetzt liegt es wieder im Brutkasten, und morgen werden wir uns ein Bild über den Zustand des Kindes machen.«

      »Sollten wir nicht …«

      Dr. Westphal ließ ihn nicht ausreden. »Heute nicht mehr!« Sie sagte es energisch, erklärte dann jedoch: »Wenn es zu einer Hirnverletzung gekommen ist, was ich nicht hoffe, können wir im Moment sowieso nichts unternehmen. Noch geht es um das Überleben des Babys. Im Brutkasten ist es gut aufgehoben.«

      »Einverstanden!« Dr. Lindau ging zum Schreibtisch. Er nahm die Karteikarten auf, begann darin zu blättern. Bei der Karteikarte von Frau Holl hielt er inne. »Wie wir vorausgesehen haben, war es eine schwere Geburt, nicht wahr?« Er sah hoch.

      Dr. Anja Westphal lächelte. »Ich gehe mit dir gleich alle Ereignisse durch. Nur, wie wäre es, wenn du mich zuerst begrüßen würdest?«

      »Oh, entschuldige!« Er reichte Anja die Hand. Diese lachte noch immer.

      *

      Die Klinik am See hatte einen ruhigen Vormittag erlebt. Es hatte keine Geburt gegeben, keine Frau lag in den Wehen, und den Neugeborenen ging es gut. Frau Killian und ihr erstgeborener Zwilling waren am Morgen aus der Klinik entlassen worden. Dem zweiten Kind ging es den Umständen entsprechend, die Geburtslähmung war jedoch vollständig zurückgegangen. So wagten Dr. Lindau und seine Stellvertreterin zu behaupten, dass voraussichtlich keine Hirnverletzung vorlag. Im Laufe der kommenden Woche würden die letzten Untersuchungsergebnisse vorliegen.

      Es war Mittagszeit. Selbst Dr. Lin­dau fand an diesem Tag Zeit zum Essen. Er saß mit Kollegin Westphal und dem Assistenzarzt an einem Tisch.

      Ausnahmsweise drehte sich das Gespräch nicht um die Patientinnen, sondern ums Wetter.

      »Nach dem Regen der letzten Tage tut es gut, die Sonne wieder zu sehen. Man lebt auf. Mich wundert es nicht, dass die Patienten sich bei so einem Wetter wohler fühlen.« Beifallsheischend sah Dr. Bernau den Chefarzt an.

      »In den letzten Tagen konnte man wirklich kaum den Fuß vor die Tür setzen«, meinte Dr. Lindau. Er hob die Kaffeetasse an die Lippen, nahm einen Schluck. »Ich musste stets den Wagen nehmen, um vom Doktorhaus in die Klinik zu kommen.«

      »Es tut wirklich gut, die Sonne wieder zu sehen«, bestätigte Dr. Westphal. Sie beugte sich etwas zur Seite. So konnte sie in den Park hinaussehen. »Wir müssen uns aber darauf einstellen, dass der Herbst zu Ende geht. Der Regen hat bereits viele Blätter von den Bäumen gewaschen.«

      Dr. Lindau leerte die Tasse, er stellte sie auf den Tisch zurück und sah auf die Uhr. »Es ist noch etwas Zeit. Ich werde einen Spaziergang machen.«

      »Gute Idee! Auch mich lockt die Sonne hinaus. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich begleite?« Fragend sah Anja Westphal den Chefarzt an.

      »Selbstverständlich nicht! Frische Luft tut immer gut.« Er erhob sich, nickte dem Assistenzarzt zu. Anja folgte ihm. Zusammen gingen sie ins Ärztezimmer, wo sie ihre weißen Mäntel gegen wärmere Oberbekleidung austauschten. Durch den Seitenausgang verließen sie die Klinik. Sie hatten sich erst wenige Schritte von der Klinik entfernt, als Dr. Lindau stehen blieb.

      »Was hast du auf dem Herzen?« Anja lachte.

      Irritiert zogen sich die Augenbrauen des Chefarztes zusammen. »Ich dachte, du hast wegen des Zwillings Bedenken bekommen. Du warst doch am Vormittag lange bei ihm?«

      »Mit dem Kleinen scheint alles in Ordnung zu sein. Er gedeiht besser, als ich erwartet habe.«

      »Aber dann …« Er schüttelte leicht den Kopf. »Wir haben sonst keinen Problemfall.«

      »Da stimme ich dir zu. Es ist doch ein gutes Gefühl, oder?« Erneut lächelte sie. »Auf den Gedanken, dass ich mir wirklich nur die Beine vertreten will, scheinst du gar nicht zu kommen.«

      »Nein, da hast du recht!« Dr. Lin­dau sah sie an. »Ich vergesse nur zu leicht, dass du eine Frau bist. Du bist wie eine Maschine, immer da. Stets drehen sich unsere Gespräche nur um die Klinik. Liegt das etwa an mir?«

      »Ich glaube, an uns beiden. Dein Leben ist nun mal die Klinik, und dieses Leben teile ich mit dir.« Sie sah ihn offen an und setzte hinzu: »Ich möchte es auch nicht anders. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass ich nicht anders leben kann.«

      »Ich kann dich verstehen«, meinte er nachdenklich. Er griff nach ihrem Arm. »Lass uns zum See gehen.«

      Die Hand leicht unter ihren Arm geschoben, so schlenderten sie dahin. Man hätte sie für ein Liebespaar halten können, aber sie waren nur gute Freunde. Sie kehrten nicht um, als sie das Ufer erreicht hatten, sondern gingen noch ein Stück die Promenade entlang. Die Luft war klar, die Berge auf der anderen Seite des Sees zum Greifen nah.

      Sie waren nicht die Einzigen, die das schöne Wetter zu einem Spaziergang nutzten. Sie gingen bis zum Parkplatz, dort


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