Die Entdeckung Alaskas mit Kapitän Bering. Georg Wilhelm Steller
»Beschreibung von Kamtschatka« erst 1774, seine »Beschreibung der Beringinsel« 1781 und seine »Reise nach Amerika« erst im Jahre 1793. Doch war Steller nicht nur ein hervorragender und fleißiger Wissenschaftler, sondern auch ein ausgezeichneter Schriftsteller. Man kann zwar nicht gerade behaupten, Steller habe sich bewusst um einen gepflegten Stil bemüht. Vieles hat er, wie Hünefeld bemerkt, ohne am Ausdruck zu feilen, einfach niedergeschrieben, um die Fülle seiner Gedanken und des Erforschten schnell zu Papier zu bringen. Angesichts der schwierigen Umstände seines Schreibens ist seine schriftstellerische Leistung jedoch gar nicht hoch genug zu bewerten: »Der gelegentliche Vorwurf, seinen Schriften fehle der letzte Schliff, kann ebenso gut als Vorteil ausgelegt werden: Gerade dieses Drauflosschreiben bedingt eben jene Ursprünglichkeit und damit jene Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit seiner Sprache, die der antiken Komödie gleicht: derb und realistisch, aber auch durch die köstliche Situationskomik und die Kunst der Charakteristik in den Bereich des Künstlerischen gehoben« (Hünefeld). Stellers Sprache ist teils wissenschaftlich sachlich und nüchtern (besonders bei seinen naturwissenschaftlichen Darstellungen), teils vermittelt sie echte Erlebnisnähe, besonders in seinem Bericht über die Reise nach Amerika, in dem sich hier und da kräftiger Humor, feine Ironie und beißender Sarkasmus finden. Trotz ihres Alters sind Stellers Werke von einer erstaunlichen Gegenwärtigkeit: »Wir können uns dem Zauber jener streng sachlichen Darstellung von De bestiis marinis ebenso wenig entziehen wie der farbigen Schilderung der Beschreibung von Kamtschatka, ganz zu schweigen vom ›Tagebuch‹ über jene Unglücksexpedition ins Beringmeer, das mit seiner verhaltenen Dramatik voll menschlichen Leids und Elends, aber auch voll Heldentum noch in unseren Tagen zu dichterischer Gestaltung anregen konnte« (Hünefeld).
Das Material zu seiner »Beschreibung von dem Lande Kamtschatka« sammelte Steller nicht zuletzt auf zahlreichen Reisen kreuz und quer durch die Halbinsel, obwohl, wie er selber schrieb, die Sommer- wie auch die Winterreisen an keinem Ort im ganzen Russischen Reich so beschwerlich und gefährlich waren wie auf Kamtschatka. Im Sommer kam man wegen der vielen Moraste, Binnenseen, Flüsse, Gebirge und steilen Täler selbst mit Pferden kaum voran. Im Winter lief man ständig Gefahr, in das Eis der Flüsse einzubrechen und zu ertrinken oder sich bei rasender Schlittenfahrt durch dichte Wälder die Knochen zu brechen und vom Schlitten zu fallen.
Auf seinen Reisen lernte Steller Land und Leute bestens kennen, besonders die Kamtschadalen oder Itelmenen, die zu den Paläoasiaten gehören; wie auch die Korjaken und Tschuktschen stellen die Itelmen Reste der altasiatischen Urbevölkerung Sibiriens dar, die in Randgebiete wie Kamtschatka abgedrängt worden waren. Steller konnte die durch eigentümliche Sprache, Fischfang, Erdhaus und Hundeschlitten gekennzeichnete alte Itelmenenkultur noch relativ unverfälscht erleben, erforschen und der Nachwelt schildern. Doch zeigt Steller in seiner Beschreibung der »Okkupation des Landes Kamtschatka« zugleich auch den Prozess der Eroberung, Unterdrückung, Ausbeutung und Vernichtung der Itelmenen durch die Russen auf, den er zum Teil noch selbst miterlebte.
Von 1697 bis 1699 durchzog der Kosaken-Konquistador Atlassow die Halbinsel und verleibte sie dem Russischen Reich ein. Nun begann eine langjährige grausame Schreckensherrschaft der Kosaken auf Kamtschatka, die raubten, plünderten, töteten und die Bewohner versklavten. Um die volkreichen Itelmenen zu dezimieren und zu schwächen, gaben die Kosaken, wie Steller schreibt, »ihnen durch unüberwindliche Beleidigungen Gelegenheit, mit Streit anzufangen, schlugen dann von Alten und Erwachsenen alles tot, was ihnen vorkam, machten ihre Weiber und Kinder zu Sklaven und ihre Güter zur Beute. So haben sie binnen vierzig Jahren die Zahl der Einwohner bis auf den zwölften oder fünfzehnten Teil reduziert.«
Später pressten die Kosaken die Itelmenen mit dem »Jassak« aus, dem in Pelzwerk erhobenen Tribut. Folge dieser russischen Unterdrückung waren zahlreiche Aufstände der Itelmenen, als deren größter die Rebellion von 1731 gilt, an die zu Stellers Zeiten die Erinnerung noch wach war. Es kam daher nicht von ungefähr, dass, wie Steller in dem Kirchenbuch geschrieben fand, nicht der dritte Teil von allen Kosaken auf Kamtschatka eines natürlichen Todes starb, sondern die meisten hier und da erschlagen wurden. Doch wurden die Widerstandskraft und der Überlebenswille der Itelmenen schließlich doch gebrochen; das Volk ging langsam seinem Untergang entgegen. Reichlicher Branntweingenuss und von den Russen eingeschleppte Krankheiten trugen mit dazu bei, dass die Reste der eingeborenen Bevölkerung Kamtschatkas elendig dahinkümmerten.
In seinem Verhältnis zu den Itelmenen erwies sich Steller als ein Menschenfreund im Sinne jener Aufklärungsepoche, in der er in Deutschland groß geworden war. Eindeutig galten seine Sympathien nicht den russischen Eroberern, in deren Dienst er auf Kamtschatka weilte, sondern den unterdrückten und ausgebeuteten Itelmenen: »Es ist zu vermuten, dass man Kamtschatka von Anfang bis jetzt ohne Unruhe und Blutvergießen hätte erhalten können, wenn man mit diesen Leuten christlich, vernünftig und menschlich umgegangen wäre. So aber mussten sie die äußersten Verfolgungen und Drangsale ausstehen«, aus denen klar erhelle, »woher die vielen Rebellionen entstanden, wer die Urheber sind und wie man diesem noch zum Teil grassierenden Übel und dem gänzlichen Untergang dieser Nation noch beizeiten vorbeugen könne«.
Der junge Deutsche hatte mit seinen Forschungen in Kamtschatka eines der dunkelsten Kapitel der europäischen Kolonialgeschichte beleuchtet; infolge der furchtbaren Ereignisse auf Kamtschatka nahm Russland seiner Meinung nach »ebenso großen Schaden an der eigenen Nation wie an den Itelmenen«.
Seine größten Leistungen aber vollbrachte Steller als Naturwissenschaftler. Er war Zeitgenosse des schwedischen Forschers Carl von Linné, des Begründers der modernen zoologischen und botanischen Systematik, lebte also in einer Zeitenwende der Naturwissenschaften. Man wendete sich zunehmend von überkommenen Fabeln und Halbwahrheiten der Tier- und Pflanzenkunde ab und bemühte sich um exakte Naturbeobachtung und -beschreibung. Steller ging sogar noch weit darüber hinaus: »Er suchte die Tiere und Pflanzen in ihrer Umwelt auf, er lebte mit ihnen, beobachtete sie und schilderte ihr Dasein in einem verblüffend modern anmutenden Stil, so exakt und zutreffend, dass seinen Berichten bis heute kaum etwas hinzuzufügen ist« (Wendt). In seinen Forschungsmethoden näherte sich Steller bereits der modernen Verhaltensforschung und Vergleichenden Anatomie. Er war der erste naturwissenschaftlich gebildete Forschungsreisende im Gebiet des Nordpazifiks und der »Pionier der Naturgeschichte Alaskas« (Stejneger). Auf der Kayak-Insel entdeckte er einhundertsechzig Pflanzenarten (Steller hinterließ einen »Katalog der Pflanzen, die innerhalb von sechs Stunden im nördlichen Amerika in der Nähe des Elias-Vorgebirges am 21. Juli unter dem 59. Breitengrad beobachtet wurden«) und den nach ihm benannten Schopfhäher (Cyanocitta stelleri), der ihm als Beweis dafür galt, wirklich in Amerika zu sein. Auf der Beringinsel erlebte er eine reichhaltige arktische Tierwelt, noch bevor sie durch den Eingriff des Menschen gestört wurde. Er beobachtete Seevögel, Steinfüchse, Wale, Seeotter, Seelöwen, Seebären und vor allem die eigentümlichen Seekühe. In seinem großen Werk »De bestiis marinis« (Petersburg 1751; dt. 1753 in Halle unter dem Titel »Ausführliche Beschreibung von sonderbaren Meerthieren«) gibt Steller eine meisterhafte Beschreibung von vieren dieser Meerestiere; im »Resümee der gelehrten Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften« zu Petersburg wird von diesem Werk Folgendes gesagt: »In dieser Abhandlung beschreibt der selige Autor vier Meerestiere, nämlich die Seekuh, den Seebären, den Seelöwen und den Seeotter so sorgfältig, dass man sich keine vollkommenere Darstellung dieser Tiere wünschen kann. Sehr genau und lebendig beschreibt er ihren Körperbau und macht gründliche Angaben über jeden Teil und jedes Glied, ihre Lage, Größe und Proportionen … Aber auch die inneren Teile lässt er nicht unerklärt … Er zeigt, wie man sie zur Nahrung, zu Heilmitteln und ähnlichen Zwecken zubereitet, und erklärt dann die Bewegungsweise, die Eigenart und die Gewohnheiten dieser Tiere.«
Unsterblichen Ruhm erlangte Steller durch seine Entdeckung und Beschreibung der nach ihm benannten großen nordischen Seekuh (»Stellersche Seekuh«; Rhytina Stelleri bzw. Hydromalis gigas). Er war der einzige Wissenschaftler, der jemals eine lebende Seekuh sah. Die Ordnung der Seekühe, zu der die Manatis und Dugongs gehören und die den wissenschaftlichen Namen »Sirenia« erhielt, steht in der stammesgeschichtlichen Entwicklung der