Die Seele Chinas. Richard Wilhelm

Die Seele Chinas - Richard Wilhelm


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auch der Lehrer fest in seiner Ecke, und nur langsam und undeutlich entströmten ihm schnarchende Laute: »I … Go … Jen …« Diese Art, Chinesisch zu lernen, die mehr von der Beeinflussung des Unterbewusstseins ausgeht als von intelligenter Geistestätigkeit, war übrigens jahrtausendelang auch von den Chinesen selbst geübt worden. Wenn man einer chinesischen Schule sich näherte, so klang es in der Ferne wie ein Bienenschwarm und in der Nähe wie das Getöse eines Jahrmarkts, und die kleinen Knaben sagten jeder für sich sein Sprüchlein her, von dessen Bedeutung keiner eine Ahnung hatte, während der aufsichtführende Lehrer auch meist in tiefer Selbstbeschauung in seiner Ecke saß. Das waren selige Zeiten. Schließlich hat man auch so Chinesisch gelernt. Die Hauptsache war, dass man etwas zu sagen hatte, dann stellte sich der richtige Ausdruck schon irgendwie ein. Chinesisch1 ist die leichteste Sprache, wenn sie unbefangen gelernt wird, vom Sinn her eher als vom Einzelausdruck. Aber für neugierige Frager bietet die Sprache eitel Tücken. Da hilft auch die modernste Methode nichts. In Peking ist jetzt eine Language School mit reichlichem Aufwand amerikanischer Millionen erbaut. Da hängen Tafeln lautphysiologischer Art, Zunge, Zähne und Kehlkopf sind abgebildet, wie sie bei den verschiedenen Lauten stehen müssen und schließlich machen die Schüler die Zunge krumm und hängen sie zum Mund heraus und ihr Chinesisch klingt darum doch nicht besser. Auch die Berlitzsche Unterrichtsmethode hilft solchen Menschen nichts; denn als ein chinesischer Lehrer auf sich deutend »wo« und auf die amerikanische Schülerin deutend »ni« gesagt und dies eine halbe Stunde wiederholt hatte, begann die Schülerin endlich zu begreifen, und sie ging aus der Stunde weg mit der Überzeugung, dass »wo« die Nase heiße und »ni« der Zeigefinger.

      Zuweilen gab es übrigens doch auch Unterbrechungen in dem chinesischen Sprachbetrieb. An einem schönen Sommerabend, als ich gerade hinter den Büchern saß, gingen vor dem Fenster ein paar Pferde vorüber. Die chinesischen Pferde sind, wie alles Chinesische, ein wenig anders als die entsprechenden europäischen Dinge, aber doch wieder so ähnlich, dass man merkt, es handelt sich schließlich um dasselbe Wesen. Die chinesischen Pferde sind zum Beispiel viel kleiner als die europäischen, weniger zart und edel, unglaublich genügsam und ausdauernd. Sie sind nur um der Menschen willen da, zum Reiten und Ziehen. Was der Reiter aushält, halten sie auch aus. Sie verlangen auch keine besondere Kunst, um sich reiten zu lassen. Man muss einfach oben bleiben, energisch vorwärts wollen und darf keine Angst haben. Wenn sie merken, dass dem Reiter etwas von den entsprechenden Eigenschaften fehlt, so spielen sie mit ihm, sind faul und eigensinnig und werfen auch ab. Die Psychologie des chinesischen Pferdes lernte ich aber erst später. Damals sah ich die Tiere wehmütig vorüberziehen ins ungewisse Land, hinein in den goldnen Abendsonnenschein. Da stieg mir der Wunsch nach Abenteuern auf. Ich schickte meinen chinesischen Diener hinaus, ob die Pferde für ein paar Tage zu mieten seien und er kam mit der freudigen Nachricht zurück, dass alles in Ordnung sei. Über das Reiseziel war man sich bald einig. Der chinesische Diener schlug die Stadt Tsimo vor, und ich war’s zufrieden. Ich glaube, er tat es, weil er dort zu Hause war und die Gelegenheit zu einem Urlaub benutzen wollte. Denn an sich war es nicht besonders weise, für den ersten Ritt ein Ziel zu wählen, das 90 chinesische Li – etwa 45 km – entfernt war, zumal da die Sonne doch schon recht tief stand. Aber jeder Europäer hält seinen Boy – so nennt man ganz unabhängig von ihrem Alter die Diener im Osten – in gewissen Stücken für ein höheres Wesen, der nicht nur weiß, ob es morgen regnet oder schön ist, sondern der auch beim Einkauf chinesischer Kunstgegenstände zu Rate gezogen wird und in allen schwierigen Situationen Bescheid weiß. So hatte mein Boy gesagt, dass man gut nach Tsimo reiten könne, also musste es auch möglich sein. Die bissige Antwort D. Fabers, den ich pro forma über die Sache befragte, dass ich meine Wunder erleben werde, kam demgegenüber nicht in Betracht, denn ich wollte ja meine Wunder erleben. Und erlebte sie auch. Das Reiten lernte ich merkwürdig schnell. Wir hatten wohlgezogene, kräftige Tiere, die nicht mit irgendwelcher Wildheit kokettierten, sondern schlecht und recht mit ihren Lasten in gemessenem Trab voranmachten. Sie wussten alles ganz genau. Schwache Versuche, einmal Schritt zu reiten oder Galopp, prallten an der überlegenen Entschlossenheit meines Pferdes ab, das auf den fremden Reiter ebensowenig reagierte wie auf die Schwankungen der Warenpacken, die es sonst zu tragen gewohnt war. So fügte ich mich denn ins Notwendige und genoss den Ritt ins Unbekannte in vollen Zügen. Bald waren die höchsten Felshügel überstiegen und die fruchtbare Ebene dehnte sich bis fern an die Gipfel des Laoschan, der purpurgolden im Schein der untergehenden Sonne zu leuchten begann. Auf den Feldern stand Hirse und Kaoliang (Sorghum). Dieser Kaoliang wächst in fruchtbaren Sommern so hoch, dass selbst ein Reiter kaum darüber wegsehen kann. Auch verschiedene Arten von Sojabohnen, Erdnüsse, Bataten und sonstige Nutzpflanzen waren heimisch. Dazwischen standen Obstbäume in großer Zahl, von denen besonders die süßen und dauerhaften Schantungbirnen und die rotglänzenden Kakifeigen (Persimona Kaki), die im Unterschied zu den Tomaten wirklich so gut schmecken wie sie aussehen, in der Gegend gedeihen. Rings am Horizont reihten sich die Dörfchen, alle von dichten, hohen Bäumen umgeben. Die Häuser in der Tsingtauer Gegend sind meist aus Granit gebaut, der den Hauptbestandteil der Gebirge in der Nähe bildet. Es ist ein ziemlich weicher, feldspatreicher Granit, der leicht verwittert und vom Regen stark mitgenommen wird und dann die Ravinen mit ihren seltsam steilen Wänden bildet, deren Hänge oft auf weite Strecken von den grünen Ranken der Puerariapflanze bedeckt sind. Dieser Granit lässt sich verhältnismäßig leicht bearbeiten, so dass es ein einfaches Geschäft ist, die Mauern zyklopisch aufeinanderzuschichten. Der Fußboden besteht aus gestampftem Lehm. Die Türen haben hölzerne Riegel und die Gitterfenster werden mit Papier beklebt, das im Sommer allmählich zerreißt und luftdurchlässig wird, während man zum nächsten Winter alles wieder frisch bezieht. Vor dem Haus, das mit Kaoliangstengeln und Lehm gedeckt wird und meist aus drei ineinandergehenden Räumen besteht, ist ein ummauerter Hof, mit lehmgestampfter Tenne, auf der das Getreide mit Walzen oder Flegeln gedroschen und mit geflochtenen, schaukelähnlichen Körben geworfelt wird. An der einen Seite des Hofes stehen die Stallungen mit den kleinen, rötlichen Rindern, die weder geschlachtet noch gemolken werden, sondern nur dem Menschen bei der Feldarbeit helfen, daneben ein paar Eselchen, die zwar eigensinnig sein können, aber nicht als dumm gelten. Die Frau und die Töchter sind vielleicht an der Walzenmühle beschäftigt mit Mahlen. Ein Eselchen mit verbundenen Augen zieht im Kreise trottend die Walze herum. Ein Schweinekoben mit fetten, runzligen, schwarzborstigen Schweinen steht in der Ecke neben dem Behälter, in dem alle Reste gesammelt werden, um mit Erde gehörig vermischt dem Boden wieder zugeführt zu werden, der sie zur Nahrung von Mensch und Tier hat wachsen lassen. Ein Hund unedler Rasse mit gerolltem Schwanz bellt nach dem Wanderer und wird, wenn man im Hause höflich ist, von irgendeinem Familienmitglied durch einen Steinwurf zur Ruhe gebracht. Hühner gackern und scharren. Im Dorfteich schwimmen auch wohl ein paar Gänse, sogenannte Singgänse, mit merkwürdigen Höckern auf ihren gelben Schnäbeln. Katzen kommen vor, nicht sehr zahlreich zwar, und gelten fast als etwas Heiliges, so dass zum Beispiel nicht leicht jemand sich bereit finden wird, eine Katze zu töten. Unter dem Hoftor spielen die Kinder, die kleinen Knaben im Sommer meist völlig nackt – zur gerechten Entrüstung gewisser Missionare und zum Entzücken eines jeden Menschen, der Natur, Unschuld und Freiheit schätzt – die Mädchen haben meist ihre roten Höschen an. Die Frauen tragen ja in China auf dem Land Hosen und nur in den Städten werden darüber Röcke getragen. Der Kleiderstoff ist aus Baumwolle gewoben und in der Regel mit Indigoblau gefärbt, jenem gleichmäßigen Blau des Himmels, das mit dem Gelb der Erde und dem Grün der Pflanzen die großen kosmischen Grundakkorde der chinesischen Landschaft bildet. Die Männer tragen meist solche heller oder dunkler blau gefärbten Stoffe, während die Frauen und Mädchen in bunten Farben strahlen. Nur wo Trauer eingekehrt ist in einem Haus, trägt man den fahlen, ungefärbten Sack und lässt die Haare wachsen, ohne sie zu ordnen. Die Frauen und Mädchen sitzen des Abends unter den Toren ihrer Höfe, plaudern und lachen und haben sich viel zu erzählen, während die älteren Männer am Tempelchen des heiligen Schützergenius, des Kuanti, oder unter dem großen Sophorabaum beieinandersitzen, ihre dünnen, geraden Pfeifchen rauchen und über die Ereignisse in Dorf und Welt reden, über die man sich eine Meinung bilden muss.

      So war der Ritt durch den Abend recht vergnüglich. Aber der Weg führte immer weiter. Schon sank die Sonne hinter den feingezackten Spitzen der Perlberge jenseits der Kiautschoubucht. Die Dämmerung brach herein. Der blaue Rauch stieg aus den Dörfern in die Höhe und weiße Nebel legten sich auf Felder und Haine. Aber das Ziel war noch nicht wesentlich näher gerückt. Die Pferde trotteten immer


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