Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Herrn Amtmann viel Glück. Ich werde Sie trotzdem so schätzen, als ob Sie eine Baronesse zur Frau bekommen hätten.«

      Die seltsame Antwort machte den Amtmann stutzig. Aber er hatte nicht Lust, weiter zu fragen, sondern ging ins Haus. Tarnow folgte ihm und suchte gleich sein Zimmer auf, wo der Jäger Klein schon im tiefen Schlaf lag.

      Tarnows Arbeit am nächsten Tag glich einer Arbeit, die man im Traum verrichtet. Aber er beherrschte sich so, daß es nicht auffallend war. Er konnte die Schaffnerin von da an nicht mehr sprechen. Der Amtmann war stets zugegen, wenn er sie irgendwo traf, und schließlich kam es so, daß er sich davor fürchtete, sie irgendwo allein zu treffen. Seine Augen waren immer umschleiert, so daß sein Blick etwas dumpf Sinnendes bekam. Sein Gang war schlendernder geworden. Eine merkbare Veränderung war mit ihm vorgegangen.

      Auf den Wiesen wurde das Gras gemäht. Die Libuhn war bei den Kühen und melkte. Das Dach des kleinen Neubaues war schon aufgesetzt. Tarnow schrieb im Bureau. Die Schaffnerin und Truchs saßen in der Wohnstube.

      »Nun Fanny, was hast du mir zu sagen?« fragte der Amtmann, der die Ellbogen auf seine Kniee gestützt hatte und ganz vorgebeugt saß.

      »Ich, Truchs? Was soll ich dir zu sagen haben?«

      »Heut früh hast du gesagt, nachmittags würdest du’s sagen,« murmelte der Amtmann.

      »Es ist nichts, Truchs, ich hab’s schon vergessen.«

      »Ich will es aber wissen, Leutholdin, hörst du?«

      »Ich sag es aber nicht, Truchs.«

      »Du bist in den Schreiber verliebt, Leutholdin, leugn’ es nicht. Das hast du mir sagen wollen. Bist du in den Schreiber verliebt, Fanny?«

      Die Schaffnerin lachte kurz auf. »Was bist du so erregt, Truchs. Nein, zum Verlieben reichts bei mir nicht mehr hin. Aber ich möcht ihn haben. Ich möcht ihn haben, Truchs, das ist die Wahrheit. Ich möcht auch ein Leben führen wie ein Mensch.«

      Die eine Hand des Amtmanns griff nach dem Vogelkäfig, der neben ihm auf einem kleinen Tischchen stand, und bog die starken Drähte zusammen, als ob sie aus Wachs bestünden. Das Rotkelchen im Käfig flatterte angstvoll auf und nieder. Die Schaffnerin begann zu erblassen vor dem Blick des Amtmanns und stand auf wie unter einem Alp. Er zog sie her zu sich und sie kniete vor ihm. Ihre Augen wandten sich keine Sekunde lang von ihm ab. Er beugte sich nieder, faßte sie um die Hüften und lachte sie an. Auch sie lachte gezwungen. Er hob sie auf sein Knie und sagte: »Schwer bist du, Schaffnerin.« Sie nickte geistesabwesend. Er näherte den Mund ihrem Ohr und biß sie ins Ohr. Sie schrie auf und klammerte sich an ihn. »Nun wie ists mit dem Schreiber?« fragte er. Jetzt schüttelte sie krampfhaft eilig den Kopf. Sie deutete hinaus in den Hof oder in den Garten, wo sie Tarnow sah. Der Amtmann machte sich los von ihr, ging hinaus und stand bald vor Tarnow, den er fragte, wie es ihm gehe.

      Aber Tarnow erwiderte ihm nichts.

      »Machen Sie sich keine Hoffnungen, lieber Tarnow,« sagte Truchs boshaft. »Ich lebe schon ein Jahr und länger mit der Leuthold zusammen. Da können Sie sich denken, daß es mit der Keuschheit schon längst am letzten ist, – hä? Pfui Teufel, was sind Sie für ein Kerl, Tarnow, was für ein Pfaffengesicht haben Sie, pfui Teufel. Man kann Ihnen die Finger abhauen, ohne daß Sie schreien.«

      »Ist das wahr, Herr Amtmann, was Sie eben gesagt haben mit der Schaffnerin?« fragte Tarnow, der ein Gefühl hatte, als ob eine Faust sich in seine Brust senke.

      Der Amtmann schwieg und wandte sich kurz ab. Und als dann kurze Zeit nach diesem Zwiegespräch Tarnow durch den Flur gegen die Küche schritt, fühlte er auf einmal zwei Arme um seinen Hals, die ihn zurückhielten. Es war die Schaffnerin. Sie atmete erregt, sie drängte ihren Leib dicht an ihn und suchte seinen Mund mit den Lippen, doch küßte sie in die leere Luft. Tarnow hielt sich an der Mauer fest. Er machte eine verzweifelte Bewegung mit dem ganzen Körper, sein Gesicht rötete sich und wie ein zermalmendes Gewicht drückte es auf seinen Schädel.

      Stunden vergingen, ohne daß es ihm gelungen wäre, sich einigermaßen zu fassen. Eine geheimnisvolle Stimme in seinem Innern rief ihn fortwährend bei seinem eignen Namen, und diese Stimme verwirrte sein Nachdenken gänzlich. Es war schon spät nachts, als er immer noch auf der Treppe vor dem Haus saß, seinen Kater auf dem Schoß hielt und grübelnd vor sich hin sah. Es wehte ihm ein kühler Wind ins Gesicht.

      Auf einmal kam der Amtmann zu ihm heraus; Tarnow schien es, als käme er aus dem Zimmer der Schaffnerin. Er wunderte sich im stillen, daß er diesem Umstand so wenig Wichtigkeit beimaß. Des Amtmanns Haare waren verwirrt und hingen in Strähnen herab. Sein Gesicht war verstört.

      »Warum gehen Sie nicht in Ihr Nest?« fuhr er Tarnow wild an.

      Tarnow stand auf und blickte schweigend vor sich hin.

      »Warum Sie nicht in Ihr Nest gehen?« schrie Truchs mit heiserer Stimme.

      »Ich bin nicht müde, Herr Amtmann,« sagte Tarnow gefaßt.

      Der Amtmann sah jetzt die Katze in Tarnows Arm. Er lachte kichernd in sich hinein. »Ach so,« sagte er gedehnt, »Sie pflegen das Vieh da! Jetzt weiß ich doch, wohin die jungen Hühner kommen. Bis jetzt hab ich immer gemeint, der Herr Tarnow selbst stiehlt sie und verkauft sie. Marsch!« Mit diesen Worten riß Truchs den Kater an sich, packte mit der einen Hand den Kopf des Tiers und drehte ihn, während er den Körper festhielt, ein paarmal rundherum. Einen raubvogelartigen Pfiff ausstoßend warf er den Kadaver mitten in den Hof.

      Tarnow strömte alles Blut, so daß er es deutlich empfand, zum Herzen. Er ächzte und hielt sich nur mit großer Mühe aufrecht. Der Amtmann nickte ihm hämisch zu und ging in den Flur zurück.

      Tarnow hob das Tier vom Boden auf. Es war tot. Die Augen waren ganz aus den Höhlen getreten. Mit weitgeöffneten Lidern blickte Tarnow zum bewölkten Himmel empor. Aber noch immer gewannen seine Sanftheit und die angeborene Demut seines Wesens Macht über ihn. Er fühlte jetzt nur noch großes Mitleid mit dem treuen Gefährten seiner Spaziergänge.

      Doch erwachte zugleich eine nagende Furcht vor dem Wiederanbruch des Tages in ihm.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Prediger und der Organist von Veitshöchheim waren zu Gast bei dem Amtmann. Sie waren schon nachmittags herüber gekommen und hatten ein Spielchen arrangiert. Ihre Bekanntschaft mit Truchs lag höchstens um einen Sonntag zurück.

      Die Unterhaltung bei der Abendmahlzeit zwischen dem Amtmann und seinen Gästen war laut und ungezwungen. Die Schaffnerin, die Truchs gegenüber saß, blickte ohne eine Bewegung zu machen und ohne ein Wort zu sprechen, auf ihren Teller nieder und berührte die Suppe nicht, die vor ihr stand. Tarnow, der neben der Schaffnerin saß, war ebenso schweigsam.

      Es gab Brotsuppe. Der Amtmann hatte sich und seinen Gästen Suppe gegeben und reichte nun Tarnow den Vorlegelöffel, damit er sich selbst nehme. Tarnow nahm den Löffel und schöpfte sich Suppe, aber er vermied dabei das Brot, das er nie aß, wenn es in der Brühe gelegen hatte. Da fuhr ihn der Amtmann zornig an: »Das thun ungezogene Leute. Das ist unschicklich.«

      Tarnow schwieg.

      Der Organist platzte mit Lachen heraus. Der Prediger, ein noch junger Mann, der unter widerwärtigem Schlürfen seine Suppe aß, nickte etwas stupid vor sich hin. Der Amtmann stieß während der ganzen Dauer der Mahlzeit beleidigende und kränkende Worte gegen Tarnow aus, machte sogar zotenhafte Witze, bei denen der Prediger errötete und wie beschwörend die Hand erhob, während der Organist krampfhaft Brotrinden zerbiß. »Na, Leutholdin,« sagte dann der Amtmann jedesmal und warf der Schaffnerin funkelnde Blicke zu, »meinen Sie nicht auch?« Die junge Frau lächelte dann, – aber mit welch einem rätselhaften Lächeln! Ihr Gesicht erhielt dadurch fast gar keine Veränderung, außer daß der Mund sich in die Länge zog.

      Tarnow schwieg zu allem.

      Es war schon zehn Uhr vorbei, als


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