Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


Скачать книгу
und über eine Fahrt, die sie zusammen nach dem Rottendorfer Jahrmarkt machen wollten. Tarnow, der sonst stets glücklich war, wenn der Amtmann wieder freundlich wurde, sagte diesmal kein Wort.

      Gleich nach dem Essen fing der Amtmann an, Stiefel und Jacke auszuziehen und sagte: »Kinder, wenn euch so schläfert wie mich, dann geht schlafen.« Er wünschte gute Nacht und ging in sein Schlafzimmer.

      Auch Tarnow legte sich zu Bett. Der Jäger, der sonst zugleich mit ihm schlafen ging, war noch nicht da. Er hörte ihn bald darauf im Wohnzimmer mit der Schaffnerin sprechen, so deutlich, als ob es in der Stube nebenan wäre. Die Schaffnerin sagte ihm, er solle jetzt auch schlafen gehen. Der Jäger kam nun und sagte zu Tarnow, der Amtmann sei schon zu Bett.

      Tarnow lag in unerträglicher Hitze da. Er hörte in der Nebenstube die Libuhn buttern. Nach einer Weile hörte sie damit auf, verließ die Stube, war aber nach kurzer Zeit an Tarnows Thür und rief leise durch die Thür: »Herr Tarnow, schlafen Sie?«

      »Warum?« fragte er.

      »Wenn Sie mal rauskommen könnten, thäten Sie was Schönes belauern,« entgegnete sie kichernd.

      »Was denn?« fragte er.

      »Wie der Jäger fort war, ist die Schaffnerin zum Amtmann ins Zimmer. Und jetzt ist sie immer noch drin,« flüsterte die schwatzhafte Magd.

      Tarnow erwiderte nichts, und die Libuhn fuhr fort zu buttern. Zu dem Jäger, der noch nicht schlief, und der alles gehört hatte, sagte Tarnow: »Sehen Sie nur, Klein, was das für eine Hundezucht ist. So heilig hat mir der Amtmann versprochen und zugeschworen, daß er und ich und die Schaffnerin gleichzeitig in unsere Stuben sollen und jetzt ist es doch nichts!«

      Der Jäger lachte. Ob denn das was Neues sei, meinte er.

      Nun kam die Libuhn abermals vor die Thüre. »Herr Tarnow,« raunte sie, »ich hab gehorcht an der Thür. Sie ist noch drin.«

      Tarnow richtete sich ein wenig auf und stützte den Kopf auf die Hand. Er empfand immer größere Hitze im Kopfe und am ganzen Körper. Er konnte nicht einmal die Augen zumachen und warf sich wild im Bett umher.

      Es schlug zehn und es schlug halb elf und da kam jemand in die Stube nebenan, wo die Magd immer noch butterte. Das muß die Schaffnerin sein, dachte Tarnow. Und als er dann wirklich ihre Stimme hörte, schlugen seine Zähne aneinander wie im Fieber. Er wollte ihr merken lassen, daß er noch wach sei, daß er bis jetzt gewacht habe, und mit einer seltsam metallisch klingenden Stimme schrie er lauter als nötig war hinüber: »Haben Sie jetzt Butter, Libuhnin?«

      Statt ihrer antwortete die Schaffnerin: »Wir werden bald welche bekommen; ich brühe jetzt.« Und Tarnow lauschte ihren Worten, als sie schon längst verklungen waren. Es kam ihm vor, als klängen sie nach in der Stille der Stube, als wiederhole sie der Wind draußen tausendzüngig. Er hatte eine Lust in sich zu klagen, was ihm alles widerfahren, aber die Hitze, die er empfand, drückte seine Kehle zusammen. »O Gott,« murmelte er, »wirst du mich denn nicht erlösen!«

      Eine kleine Weile darauf wurde es nebenan still. Dann wünschte die Schaffnerin durch die Thür in einem freundlichen Ton Tarnow gute Nacht.

      »Gut Nacht,« sagte auch Tarnow.

      Er horchte gespannt. Ihre leichten Schritte verhallten auf dem Flur. Sie ging in ihr Zimmer, aber sie verschloß die Thüre nicht, wie es doch verabredet war.

      »Sehen Sie, Klein, jetzt schließt sie doch ihre Thür nicht zu,« sagte Tarnow und biß wie verzweifelt in sein Kissen.

      Der Jäger, verwundert, den Tarnow heute so redselig zu finden, brummte bestätigend.

      Es schlug elf Uhr.

      Die Hitze, in der Tarnow lag, wurde zu einer furchtbaren Glut. Alle Beleidigungen, die er in diesem Haus erlitten, vom ersten Tag an bis heute, alles trat ihm vor die Seele. Dann lag er gedankenlos im Bett. Er fühlte nur noch ein Sausen und Brausen, als ob ihm das Gehirn im Kopf herumgewälzt würde. Er konnte es nicht mehr aushalten im Bette; auch die Stille im Haus war ihm zu groß. Sie drückte weniger auf ihn, wenn er saß, als wenn er lag. Er setzte seine Füße hinaus, zog seine Pantoffeln an, blieb aber so sitzen und sitzen, hörte halb zwölf und zwölf und halb eins und eins schlagen. Dann zog er seine Strümpfe und Beinkleider und seinen Überrock an und fragte: »Schlafen Sie, Klein?«

      Keine Antwort kam. Klein schlief.

      Er verließ die Stube. Er riegelte das Hausthor auf und ging in den Hof, wo ihn ein jagender Wind empfing. Er lief ein ganzes Stück hinaus in die Wiesen und kehrte dann ebenso schnell laufend wieder um. Er ging dann in die Amtsregistratur. Er wußte, daß der Amtmann in der Registratur an einem Nagel einen Strick aufbewahrte. Er ging immer schnell und fühlte nur das Sausen und Brausen in seinem Kopf. Er fand den Strick nicht an dem Nagel. Aber im Finstern suchte er und fand den Strick an einem zweiten Nagel. Und er nahm den Strick und steckte ihn in die Tasche.

      Dann stand er wie erstarrt still und sagte ziemlich laut: »Nein, mit dem Strick geht es nicht.« In einem Zimmer nebenan stand eine Kiepe mit Eisenzeug. Er nahm einen Hammer daraus, den größten und schwersten, den er fand. Sobald er den Hammer in der Hand hatte, wurde es ruhig um ihn und das Sausen und Brausen hörte auf. Er dachte: ich mache es wie der Blutmartin, dessen Bild ich auf der Messe gesehen habe. Und wenn er seine Thür zugesperrt hat, will ich ihn um Zündhölzer bitten; will sagen, es ist mir recht schlecht, Herr Amtmann, zünden Sie mir die Kerze an.

      Er stand vor der Thür der Schaffnerin, kniete hin und betete.

       Inhaltsverzeichnis

      Zwei Stunden später, ungefähr um drei Uhr morgens, kehrte er in seine Stube zurück. Es tagte schon. Drüben, in der Richtung des Klosters, wurde der Himmel schon fahl; die Vögel begannen zu zwitschern, erst schüchtern, gleichsam fragend, dann zuversichtlich, dann ganz stürmisch.

      Tarnow trat herein, und in seinem Gesicht glänzten die Augen, wie sie gewiß nie zuvor geglänzt hatten, – als wollte er sagen: jetzt kann ich wieder rein dastehen vor mir selber. Aber das dauerte kaum Sekunden, die man zählt. Er warf sich neben das Bett des Jägers hin und schüttelte ihn. »Klein!« rief er aus, »Klein, der Kerl, der Amtmann schläft schon!«

      Der Jäger war sofort wach geworden. Er sah Tarnow an, dessen Gesicht wie Wachs war. »Was ist geschehen?« fragte er und stand auf. Und er sah nun auch, daß Gesicht und Hände und Kleider des Tarnow mit Blut besudelt waren. »Was ist geschehen, Tarnow?« fragte er noch einmal erregt und packte den Knieenden am Nacken.

      »Da haben Sie den Schlüssel, Klein,« sagte Tarnow. »Er schließt ins Schlafzimmer vom Amtmann. Und grüßen Sie halt meine Mutter schönstens von mir, lieber Klein.«

      Tarnow streckte sich ganz auf den Boden, legte die Stirn auf den Arm und schloß müde die Augen.

      Die Mächtigen

       Inhaltsverzeichnis

      Wenn ein Gewitter im Anzug ist, darf die Kompagnie auf Heimkehr ins Quartier hoffen. Die Posten werden zusammengezogen, der Leutnant nimmt den Rapport entgegen, die Unteroffiziere versammeln ihre Korporalschaften um sich, die Kolonne wird formiert und setzt sich in dumpfem Trab in Bewegung. Die Soldaten sind müde und staubbedeckt; sie sollen singen, damit ihnen der Marsch müheloser werde, aber sie können nicht singen. Es ist eine schwere und schwüle Stimmung in der Natur und es ist, als ob diese rohen Söhne des Dorfes und der Fabrik zum Nachdenken gezwungen würden, über etwas, das bisher nur als dumpfe Sehnsucht oder als starrer Groll in ihrer Brust gewohnt. Der Leutnant fragt den Sergeanten, warum nicht gesungen würde; der Sergeant giebt einigen Unteroffizieren freundschaftliche Rippenstöße und diese fluchen leise in die Sektionen hinein und kommandieren das Lied: Der Feind, der kommt von Frankreich her. Aber kaum begonnen, ersterben die unwillig hingemurmelten Laute wieder und der Leutnant verzichtet für heute


Скачать книгу