Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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und übermäßige Anstrengung. Nur die Stadt war ihm verhaßt gewesen, und ein Städter war in seinen Augen ein untauglicher Mensch.

      Dem Begräbnis wohnte der Generalleutnant selbst bei. Er hielt eine kurze Ansprache in strengen militärischen Worten, die wie mit dem Messer geschnitten von seinem lippenlosen Mund fielen und legte einen Kranz auf den Sarg. Da der Amtmann keinerlei Anverwandte in der Welt hatte, verlief die Feierlichkeit im ganzen ziemlich kühl. Auf dem Gut wurde nachmittags ein Gelage abgehalten, bei dem von Trauer nicht mehr viel zu spüren war. Tarnow hielt sich jedoch fern. Er war der Abrechnungen halber mit den Büchern zum Generalleutnant gegangen. Die Knechte spöttelten darüber; ob er wohl glaube, daß er den ledigen Posten jetzt für sich bekomme? Da hätte es aber gute Wege. Stauff saß mit der Libuhn Arm in Arm, und beide lachten über den ehrgeizigen Schreiber.

      Möglich, daß Tarnow gehofft hatte, Amtmann zu werden. Redlich und geduldig genug hatte er gedient. Auf jeden Fall schlug sein Herz gewaltig, als am Sonntag in der Früh der Überlandbote einen an den Wirtschaftsschreiber gerichteten Brief brachte, dessen Adresse von der Hand des Generalleutnants stammte. Mit zitternden Fingern riß Tarnow den Umschlag entzwei; die Augen gingen ihm fast über, und er bat den Jäger Klein, der heute vom Forst gekommen war, um einen Stuhl. Aber der Generalleutnant schrieb in seiner kurzen, gemessenen Weise nichts als das, daß der neue Amtmann am 1. Juni auf Bruneck eintreffen werde und befahl, die nötigen Vorkehrungen unverzüglich zu treffen.

      Tarnow saß noch lange mit dem Papier in der Hand und starrte auf die Wiesen hinaus. Dann aber streichelte er seinem Kater das pechschwarze, glänzende Fell und lächelte in seiner geduldigen Weise.

      Einige Tage später traf der neue Amtmann ein. Er hieß Truchs. Er war weit über Mittelmaß gewachsen. Dabei war er ziemlich dick, so daß seine Schultern etwas nach rückwärts gebeugt waren. Er hatte einen hellbraunen Bart, der an manchen Stellen schon ins Graue spielte, eine Adlernase und eine vollkommene Glatze. Seine Augen hatten etwas Unruhiges, Spähendes, fast Irres. Sie waren stets wie in weite Ferne gerichtet, schienen durch die Gegenstände hindurchzublicken und nahmen oft einen kalten, tückischen Ausdruck an.

      Gegen Mittag war er in einer etwas altmodischen Kalesche vorgefahren, in Begleitung eines jungen Weibes, die er dem Tarnow gegenüber als seine Wirtschafterin bezeichnete. Er besah das Herrenhaus vom Giebel bis zum Keller, ließ sich die Ställe zeigen, ging in den Garten, auf die Äcker und in die Vorwerke, wobei ihn der Knecht Stauff begleitete. Als er zurückkam, suchte er das für ihn hergerichtete Wohnzimmer auf und ließ den Kaffee bringen, den Frau Leuthold, seine Wirtschafterin, inzwischen bereitet hatte. Während er aß, gab er seine Zufriedenheit zu erkennen. »Fanny,« sagte er unter behaglichem Schmatzen, »man wird sich hier gut einnisten. Hier ist gut sein.« Lachend tätschelte er ihre Hand.

      Fanny Leuthold nickte nachdenklich.

      Als er fertig war, rief der Amtmann nach Tarnow. Tarnow kam. Sein Gesicht war etwas blasser als sonst, seine Haltung etwas gebückter. Mit Augen, die fast den fragenden Augen eines Kindes glichen, sah er den Amtmann an. Truchs warf sich mit übertriebenem Behäbigthun auf seines Vorgängers alten Lehnstuhl, den man hierherein geschafft hatte, und fragte spöttisch: »Na, was machen Sie denn für ein Gesicht?«

      Tarnow senkte den Kopf und lächelte schüchtern.

      »Mir scheint, das Gut wurde bisher ziemlich schlecht verwaltet, wa?« sagte Truchs plötzlich mit gleichsam drohendem Ernst und auf seine Stirn legte sich eine lange, tiefe Falte wie ein Reifen.

      »Wir haben nach besten Kräften gearbeitet,« erwiderte Tarnow langsam und unbefangen.

      Der Amtmann brach in ein wieherndes Gelächter aus und patschte sich auf die Schenkel. »Vorzüglich, hähä! Haben Sie gehört, Fanny, – hähä –? Nach besten Kräften ist doch vor – züglich, hähähä! wa? Der Mann hat Talent. Wo haben Sie denn die Schule besucht, Tarnow?«

      »In Arnstein,« sagte Tarnow mit völliger Ruhe.

      Der Amtmann schien dem Ersticken nahe; sein Gewieher wurde immer dumpfer. »Vor–züglich!« ächzte er, »giebt’s da mehr von der Sorte, in Arnstein? Vor–züglich! Nach besten Kräften ist unbezahlbar!« Er klopfte sich noch ein paarmal wie beschwichtigend auf seine fleischigen Schenkel und verschnaufte dann. Plötzlich stand er auf, und sein Gesicht zeigte nun unvermittelt eine bösartige Ruhe. »Von heute ab wird das anders,« sagte er rauh. »Oder sagen wir lieber von morgen früh ab, ich will nicht tyrannisch sein. Also von morgen früh ab wird hier ein anderes Regiment sein. Jetzt können Sie sich trollen, mein lieber Tarnow aus Arnstein.«

      Tarnow verließ die Stube und wie er in den langen, schmalen Flur trat, glaubte er, die getünchten Mauern hätten auf einmal eine andere Farbe erhalten. Vor dem Thor mußte er die flache Hand vor die Augen halten; denn die untergehende Sonne blendete ihn. Die Berge und der Strom waren verschwenderisch übergossen mit gelber Glut, die von Sekunde zu Sekunde tieffarbiger wurde, bis die ersten scharlachroten Streifen über einer zerfließenden Wolke im Westen hervorquollen. Alles zitterte und bebte auf den Feldern und Wiesen: die Halme der Gräser und des Getreides, das Insektengetier in den Lüften, die Dächer ferner Hütten und die Eisenschienen der Bahn glitzerten an den Kurven so sehr, als seien sie nahe daran, Feuer zu fangen. Tarnow erschrak fast vor all dem Leben in Flammen. Er dachte: nun, heuer wird man guten Wein haben.

      Er sah von der Richtung der Kaserne her ein Mädchen kommen. Zuerst war er ungewiß, wer es sei, denn die Gestalt schien völlig zu verfließen im Sonnenglast. Dann aber nickte er beifällig vor sich hin; er wußte schon, es war Galeners Anna, eine Base der Libuhn, ein junges Ding von vierzehn Jahren. Sie kam jeden Samstag auf das Gut heraus und schleppte einen Korb mit sich, in welchem sich Fettnudeln befanden. Für geringes Geld verkaufte sie die an die Knechte und Mägde, und auch Tarnow nahm bisweilen ein Stück, nicht, weil ihm die Mehlspeise besonders wohlschmeckte, sondern aus Gutmütigkeit und weil er damit dem Mädchen eine Freude zu machen glaubte. Nun kam sie wieder und lachte schon aus aller Ferne dem Wirtschaftsschreiber zu. Auch der Knecht Stauff sah es und kam und die Miresin, eine Magd, die schon mehr als zwanzig Jahre auf Bruneck war, »dazumal, als die Herrschaft noch da war.«

      Tarnow stand schon bei ihr, öffnete mit der einen Hand den Korb und strich mit der andern sanft über die erhitzten Wangen des Mädchens. Auch die andern schauten neugierig, halb verschmitzt, halb begehrlich lächelnd in den Korb, aus dem ein fettig-süßer Geruch stieg. Auf einmal machte sie eine harte, zornige Stimme auseinander fahren. Bestürzt sahen sie sich um: es war der Amtmann. »In des Teufels Namen, was ist hier los!« Er schrie so, daß der Hofhund mit eingekniffenem Schwanz in seine Hütte kroch. Der Kopf des Amtmanns war blutrot vor Wut, er fletschte die Zähne und seine Augen quollen vor. »Herr, haben Sie nichts Besseres zu thun, als hier zu stehen?« schrie er Tarnow ins Ohr, der mit gesenktem Kopf schweigend zurücktrat. »Haben Sie keine Bücher, haben Sie keine Abrechnungen?«

      Dann ging Truchs auf das Mädchen zu, das vor Schrecken zu zittern begann. »Nun Fräulein Balg«, schrie er sie an, »wollen Sie sich wohl vom Hof scheren!« Und er packte das Kind wie ein Kleidungsstück, schlug es ins Gesicht und gab ihm Stöße in die Brust, dann warf er es wie ein Scheit Holz mitten auf die Straße hinaus, wo es liegen blieb und leise zu weinen begann. Selbst der Knecht Stauff schien entsetzt. Er ging hin, sammelte die zur Erde gefallenen Fettnudeln wieder in den Korb, trug ihn zu dem Mädchen hinaus, richtete es auf und staubte, mehr aus Verlegenheit als weil es nötig war, mit der flachen Hand das Röckchen ab.

      Tarnow strich sich mit der Hand über die Augen. Ruhig und bescheiden antwortete er auf Truchs Frage, wieviel Uhr es sei: »Einviertel vor acht.« Der Amtmann kniff das eine Auge zu, zerrte an der Schnurrbartspitze und sah aus, als ob er sich nur mit Mühe das Lachen verbeißen könne. »Weiches Herz, was?« kicherte er und schlug Tarnow leutselig auf die Schulter. Tarnow versuchte zu lächeln.

      Dann wandte sich der Amtmann zu Fanny Leuthold, die unterdes auf die Schwelle getreten war. Er rieb sich die Hände, schnalzte mit der Zunge und sagte: »Was, liebe Leutholdin, das haben wir doch wieder mal fein gemacht? Wie das Mädel flog! Ein Hui und weg war se.« Er lachte und schien über alle Maßen vergnügt.

      Fanny Leuthold sah ihn an, und es war ein seltsam sirenenhafter Blick, den


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