Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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die Stadt, auf das weite, ebene Land. Und der Abend nahte heran und drüben im Westen war der Himmel mit einem tiefdüsterroten Band gesäumt. Kein Geräusch drang bis hier herauf aus dem Gewimmel der Häuser, und die Türme, die emporragten, erschienen ihm fast wie Stengel ohne Blüten. Jetzt begannen hinten am Giebel die Tauben zu gurren, und immer stärker trommelte der Regen auf das Schieferdach und tropfte in die Rinne hinab. Über das kleine Fenster floß das Wasser in Strömen, so daß man den Himmel nicht mehr sehen konnte. Peter wagte sich nicht mehr zu rühren; alles in der Runde war ihm plötzlich unheimlich geworden, und er bat den lieben Gott um Hilfe in dieser Not. Lizzi begann leise zu weinen, da ging er doch hin, um sie zu trösten und er setzte sich wieder zu ihr. Sie schlang ihren Arm um seinen Nacken und legte ihre Wange an die seine. Peter schloß seine Augen, denn auf einmal war es ziemlich dunkel geworden, und er wagte nicht hineinzublicken in diese Dunkelheit, denn da sah er den Tod leibhaftig vor sich stehen. Und dann kam auch der liebe Gott und blickte streng herab auf Peter. Es fiel ihm ein, daß er noch gar nicht seine Schulaufgaben gemacht habe, und wie ein leiser Schauer wurde ihm dunkel bewußt, daß es nicht gut sei, solch ein Träumer zu sein. Er sagte gute Worte zu dem kleinen furchtsamen Mädchen, dessen Körper zitternd an ihm lehnte, und er küßte sie auf den Mund. Dann sagte er, sie wollten jetzt wieder hinunter gehen, er fürchte sich nimmer. Da wischte Lizzi die Thränen von ihren Wangen und folgte ihm, bisweilen einen leisen Schrei ausstoßend, wenn irgend ein ungewohnter Laut hörbar wurde. Kaum war sie unten, so war es für sie, als ob nichts geschehen wäre. Sie forderte Peter auf, mit ihr zu spielen und sie spielten Namen-Erraten. Da stritten sie, welcher Name schöner sei: Regina oder Agnes. Peter behauptete, Tante Regina laute häßlich, aber Tante Agnes, das sei wunderbar, herrlich sei das. Lizzi fand jedoch, daß damit die Ehre ihrer Mutter angegriffen sei und schmollte mit Peter.

      Am andern Tag kam Peter ins Wohnzimmer, um zu lesen. Als ihn Tante Regina sah, lächelte sie voll Trauer und Güte, und sie sagte, daß die Mutter sehr krank sei. Sie hatte die Thür zum Schlafzimmer nicht ganz geschlossen, darum dämpfte sie ihre Stimme. Aber die Kranke hatte sie trotzdem gehört, und sie rief mit erloschener Stimme, Peter solle hinein kommen.

      Es war halbdunkel drinnen. Es roch nach Karbol und nach jener abgelagerten, aufgespeicherten Wärme, die den Krankenzimmern eigen ist. Weiche Teppiche bedeckten den Boden, und Peter beschaute neugierig die vielen Flaschen und Fläschchen und Schachteln und Schüsseln. Er empfand nicht Mitleid mit der Mutter, sondern nur Neugierde und Ehrfurcht erfüllten ihn. Ja, er wünschte auch einmal so krank zu werden, damit man so besorgt um ihn sei, und damit er alles so schön habe. Und die Mutter legte nun ihren Arm um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund. Da hatte sie auf einmal jenen Zug der Unerbittlichkeit, den die Mutter als die strafende Macht in seiner Vorstellung besaß, verloren. Und das machte ihn traurig. Er hätte ihr gern sein armes Herz ausschütten mögen. Er hätte ihr sagen mögen, wie verhaßt ihm die Schule war und der dumme Lehrer, und daß niemand da sei, der ihn verstehe und der ihn so recht von ganzer Seele lieb habe, und daß er die Mutter schrecklich lieb habe und es nur nicht sagen könne .... Er brachte kein Wort über die Lippen. Die Mutter reichte ihm eine der Aprikosen, die auf dem kleinen Tischchen am Bett lagen, und er konnte ihr nicht einmal danken.

      »Willst du denn ein guter Mensch werden, Peter?« fragte Frau Agnes leise. »Schau, du mußt später immer an mich denken, wenn dir etwas nicht recht erscheint. Ach, und du mußt kein solcher Träumer sein, das mußt du mir versprechen. Du mußt nicht den Kopf immer hängen lassen. Du mußt froh sein, du mußt dir was Großes vornehmen im Leben und mußt immer deine Pflicht erfüllen. Nur nicht so viel träumen; schau, ich hab auch mein Leben verträumt und es ist nichts daraus geworden.«

      Erschöpft hielt sie inne, und dann kamen die Ärzte, und Tante Regina schob ihn hinaus. Immerfort mußte er an die Mutter denken und an das, was sie ihm gesagt. Er vermochte nicht eigentlich darüber nachzudenken, sondern es war nur ein dumpfes Hinträumen; er fragte sich furchtsam, was das wohl sei, dies geheimnisvolle »Leben«, daß man sich so sorgen mußte darob. Er dachte auch wieder daran, daß er bis jetzt noch keine Schulaufgaben gemacht und daß er alle Ferientage verbummelt und verträumt habe. Doch der Abend nahte schon, und er war so müde vom Grübeln, daß er ins Bett ging. Stundenlang hatte er schon geschlafen, da hatte er folgenden Traum.

      Er fuhr in einer Karosse und neben ihm saß die Mutter. Und sie blickte mit ihren großen, wundervollen Augen nachdenklich vor sich nieder. Durch eine weite Wüste fuhren sie, in der man nichts als Sand und Steine und die rote Sonne sah. Und hinter der Kutsche lief der Vater und schwang die Peitsche. Sein Gesicht war ganz rot und aufgequollen, ganz häßlich und er schrie immer und konnte nicht nachkommen. Die Mutter aber lächelte verächtlich und streichelte Peters Haar langsam und liebevoll und flüsterte: verträumt hab ich mein Leben, verträumt ... Plötzlich aber traf sie die Peitsche des Vaters mitten ins Gesicht, und das helle Blut floß aus ihren Wangen und aus ihrer Stirn. Sie wurde immer bleicher, aber der Vater schrie immerzu, und die Karosse stand nicht still. Peter fühlte, wie die Hand der Mutter auf seinem Kopf erstarrte, wie sich die Finger ins Haar einkrampften, als sie sich zurücklehnte, seufzend und bleich .....

      Da erwachte er mit einem halberstickten Schrei. Es war anfangs so völlig Nacht um ihn, daß er nicht einmal das Fenster sehen konnte, gerade wie wenn seine Augen im Traum durch eine grelle Lichtflut geblendet worden wären. Eine unbestimmte Angst erfaßte ihn, jenes Gefühl, das gar oft in der Finsternis der Nacht kommt, und das den Menschen unerbittlich zwingt, Schreckbilder zu sehen und an sie zu glauben. Und dann ging diese Angst wieder in jene allgemeine und beklemmende Furcht vor dem Leben über und er kam sich so hilflos vor, so allein. Sein Herz klopfte laut ... Doch plötzlich war es, als ob ein wilder und ungestümer Entschluß in seiner Seele erwacht sei. Ich will nicht träumen, sagte er sich, ich will ein Mann werden. Und jetzt muß ich auch meine Schulaufgaben machen, ja heute Nacht noch, und die Mutter soll sehen, daß ich nicht so ein Herumträumer bin. Feldmarschall werden, das ist ja Unsinn; Baumeister will ich werden, da kann man viele schöne Häuser bauen, und man kann über alle Maurer befehlen und hat auch viel Geld. Da kann ich dann der Mutter was davon geben. Ich will ihr ein großes, marmornes Schloß am Meer bauen, darinnen soll sie wohnen, ganz allein mit mir. Und ihm wurde das Leben plötzlich golden und heiter in seiner Wirklichkeit, nicht mehr wie früher im Traum. Und eine ganz fremde Glut erwärmte nun seinen Körper, so, als ob er vorher hätte leiden müssen durch Frost, und als ob man ihn an nun ein wärmendes Feuer getragen hätte. Ein ganzes Weltbild spiegelte sich in seinem kindlichen Geist, und er sah wohl, daß er noch im Thal wandere, wo es düster war, in der Schlucht, dahin der Tag noch nicht dringen könne; doch oben auf dem Kamm der Berge, da war das Licht und da war Helligkeit, so daß man die Augen zumachen mußte davor. Glück war da oben und Frohheit und Jauchzen und frischer Kampf und keine Träume, sondern der Weg lag da so klar und bestimmt, daß man nicht fehltreten konnte. Und eine schöne Frau stand da. Sie lächelte ihm zu, sie warf ihm Blüten ins Gesicht, und sie neckte ihn, wenn er den Kopf hängen ließ und grübeln wollte. Blühende Landschaften sah er und Flüsse, die vom Gold der Sonne glänzten, und er gewahrte nichts mehr von der Finsternis ringsumher. Ach, wenn er doch jetzt groß wäre und stark, dann hätte er heiraten können, und ein Schloß würde er sich bauen mitten im Wald, und lauter Schlösser in der Runde so herrlich, wie die Residenz des Königs ... Was wollte er alles ausrichten im Leben, was alles vor sich bringen! Wie große Augen würde Lizzi machen, wenn er ihr dies alles berichtete! Und nun mußte er zur Mutter, jetzt gleich, und mußte ihr sagen, daß er kein Träumer mehr sei und kein Kopfhänger, daß er froh sein werde und gut, und gegen alle Menschen freundlich ....

      Er sprang aus dem Bett und eilte in das Zimmer der Mutter. Im Wohnzimmer war es finster und ihm schien, als klänge vom Sofa her ein Stöhnen. Er blieb stehen und betastete sich und knöpfte das Hemdchen, das über der Brust offen stand, wieder zu. Denn es fror ihn, barfüßig und im Hemd, wie er war.

      Im Krankenzimmer brannte Licht. Aber die Lampe war so tief heruntergeschraubt, daß von der Schwelle aus kaum noch die Gardinen sichtbar waren. Dem Knaben erschien alles anders, gleichsam starrer, lebloser. Er wußte nicht, wie weit die Nacht vorgerückt war, und ihm graute auf einmal vor dieser Einsamkeit und vor der Stille. Wo war Tante Regina? Wo war Barbara? Indem er ins Wohnzimmer zurückschaute, sah er sich selbst im Spiegel, nur einen weißen Fleck, düster und gespensterhaft.

      Dort lag die Mutter. Sie rührte sich nicht. Er flüsterte: »Mutter!«


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