Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

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zu wollen.«

      »O – eins hat mit dem anderen nichts zu thun. Ich will bei einem großen Meister in die Lehre gehen – kann ich das hier?« fragte sie zurück und setzte heiter hinzu: »Da der Berg nicht zum Propheten kam, ging der Prophet eben zum Berge. Das ist mein Fall, der noch lange keine Schnödigkeit gegen den Falkenhof in sich birgt, denn den denke ich mir als Erholungswinkel und buen retiro zu reservieren.«

      »Aber doch inzwischen ganz zuzuschließen für unbestimmte Zeit,« warf Doktor Ruß ein.

      »Das ja!« erwiderte Dolores und fuhr harmlos fort: »Und denken Sie nur, wie sonderbar der Mensch doch ist – ich denke gar nicht gern an das Scheiden aus dem lieben, alten Hause, in dem ich meine schönsten Kinderjahre, weil meine ungebundensten, verträumt und mit den Märchengestalten meiner Bücher und meiner Phantasie bevölkert habe. Sie freilich werden den Ort gern verlassen, der Ihrem Geist so wenig oder gar nichts geboten hat, und ich kann mir denken, mit welch' geistigem Hunger es Sie hinaus und nach einem Felde der Thätigkeit verlangt. Sie haben dem verstorbenen Onkel in der That ein großes Opfer gebracht!«

      »O – Sie beschämen mich!« murmelte Doktor Ruß bescheiden. Es war gut, daß es dunkel war – es hätte Dolores sonst auffallen müssen, wie blaß er geworden war. »Daß Sie recht haben wie immer, kann ich ja in Bezug auf mich nicht leugnen,« sagte er im gleichen, ruhigen Gesprächston, aus welchem höchstens die scharfen und an jede Tonnuance gewöhnten Ohren seiner Frau eine leise Schwankung herausgehört hätten.

      »Nein, denn nur das Gegenteil hätte bei einem Geist, wie der Ihrige ist, verwundern können,« entgegnete Dolores freundlich.

      »Ich danke Ihnen,« sagte er innig und beugte sich herab, ihre Hand zu küssen. Doch das gelang ihm nicht, denn lachend verbarg sie beide Hände auf dem Rücken und erlangte dadurch die ersehnte Freiheit des Alleingehens.

      »Und wann gedenken Sie den Falkenhof zu verlassen?« nahm Doktor Ruß den Faden des Gesprächs wieder auf.

      »O, erst im Herbst, wenn es anfängt rauh und kalt zu werden. Ich möchte doch noch den schönen, heiteren, unvergleichlichen deutschen Sommer genießen.«

      »Sicher. Ich fragte nämlich nicht ohne Grund und ohne persönliches Interesse,« sagte Doktor Ruß mit gewinnender Offenheit. »Es läßt sich für mich nichts Annehmbares vor dem Beginn des Wintersemesters erwarten, das liegt auf der Hand –«

      »Gewiß,« bestätigte Dolores, als er einhielt.

      »Ich muß also bis dahin gezwungenermaßen noch unthätig bleiben,« fuhr er fort, »hangend und bangend in schwebender Pein – und obdachlos obendrein –«

      Wieder hielt er ein – aber die gewünschte Einladung kam nicht. Dolores, der sie in ihrer Güte schon auf den Lippen schwebte, fiel der gute Engels ein, sowie dessen wahrscheinliche Verzweiflung und zweifellosen Unhöflichkeiten gegenüber seinem Feinde, und am Ende, dachte sie auch, habe der Besuch sich schon lange genug ausgedehnt – kurz, sie schwieg.

      Langsam zog Doktor Ruß sein Taschentuch hervor und fuhr damit über seine Stirn – sie war feucht geworden.

      »Nun denn, liebe Dolores – dürfen auch wir bis zum Herbst bleiben?« fragte er und legte den ganzen Wohllaut seiner Stimme in die Frage.

      »Aber gewiß – ich bitte darum!« rief sie, doch die Ironie, welche aus ihrer Bitte klang, war nicht beabsichtigt, denn sie war viel zu sehr überrascht und viel zu sehr auf die einzige Antwort, die sie geben konnte, gedrängt, als daß ihr Zeit geblieben wäre, der unwillkommenen Bitte eine eben solche Antwort entgegenzusetzen.

      Doktor Ruß aber hörte eine Ironie heraus, denn wer viel riskiert, hat feine Ohren, die oft mehr hören als zu hören ist. Das Blut, das ihm Wangen und Stirn flammend rot färbte, verbarg die Dunkelheit und auch den raschen Griff, mit der seine Hand sein Taschentuch in Fetzen riß, machte der tiefe Schatten unkenntlich – nur das Geräusch, das das reißende Leinen verursachte, drang zu Dolores' Ohren und erregte ihre Nerven unangenehm. Nun aber war's geschehen – Doktor Ruß und Frau blieben bis zum Herbst auf dem Falkenhof, und der Humor, mit dem Dolores gesegnet war, führte sofort den entsetzten Engels vor ihr geistiges Auge, daß sie lächeln mußte, was freilich auch die nivellierende Dunkelheit verbarg. Nun machte sie gleich das Beste aus der Situation, und da nur ein undeutliches Gemurmel die Antwort des Doktor Ruß war, so setzte sie hinzu:

      »Ich bitte Sie schon aus Egoismus, bis zum Herbst bei mir zu bleiben, denn ich hoffe noch viel von Ihren Kenntnissen zu profitieren!«

      »Ihre Güte ist größer als mein Wissen,« erwiderte Ruß mit vollkommen wiedergewonnener Ruhe und echt chinesischer Höflichkeit.

      Dolores aber lachte.

      »Sagen Sie das nicht,« meinte sie, »wenigstens nicht eher, als bis Sie genau wissen, daß ich wirklich keinen Pferdefuß in meinen Wiener Schuhen verberge. Doch jetzt gute Nacht – und auf morgen!«

      Damit ging sie hinein ins Haus.

      Doktor Ruß aber stand unter den Bäumen und sah ihr nach, als sie schon längst nicht mehr zu sehen war.

      »Deinen Pferdefuß kenne ich, du noli me tangere,« murmelte er.

      »Nun wohl – du hast es so gewollt, und so falle der Würfel denn. Doch nein – noch einen Gnadenweg giebt es, und wenn du einen guten Engel hast, so mag er dich darauf hinführen.«

      Die Falkner vom Falkenhof: Zweiter Band

       Inhaltsverzeichnis

      Dolores hatte in der letzten Nacht schwere, seltsame Träume. Ihr träumte, sie müßte gegen dichte wogende Nebel ankämpfen in kalter Nacht auf einem unebnen, steinigen Wege, dessen scharfe Kanten ihre Füße verletzten. Endlich aber stand sie vor einer undurchdringlich grauen Wand – sie wußte nicht, war's Nebel, war's ein Felsen, der den Weg versperrte. Rechts und links gähnten tiefe Abgründe, die ins Unendliche zu führen schienen, und als sie sich wendete, um zurück zu gehen, da hatte ein rauschender Strom den Weg überschwemmt oder fortgerissen, so daß sie verloren schien. Und in der furchtbaren Angst, die sie befiel, klopfte sie an den Felsen wie an eine Thür. Und siehe da – die kahle graue Wand schien sich auseinander zu schieben, die Nebel schienen zu zerreißen, dünner und dünner zu werden, und endlich sah sie durch die Wand hindurch, und sah – sich in ihrem eignen Zimmer sitzen. Aber sie war nicht allein. Ihr gegenüber hatte Doktor Ruß Platz genommen. Der sprach eifrig in sie hinein – sie hörte den musikalischen Ton seiner Stimme, aber sie verstand seine Worte nicht. Und er schob ein auf großem, weißem Bogen entworfenes Schriftstück auf dem Tisch zu ihr hinüber und sie sah, wie sie selbst das Dokument ergriff, zerriß und in das Feuer warf, welches im Kamin brannte. Da erhob sich Doktor Ruß und drückte auf den Kopf der linken Kaminmantelfigur und der ganze Kamin drehte sich hinein in die Wand mitsamt dem Doktor Ruß wie ein Karussell, und als er wieder mit seiner Vorderseite erschien, war Doktor Ruß verschwunden. Da begannen wieder Nebel zu ziehen über das klare Bild – hastig, wie vom Sturm gejagt, und wieder zerrissen die grauen Wolken, und wieder sah Dolores sich selbst stehen im Dämmerlicht, im weißen Kleid, Hand in Hand mit Alfred Falkner. Und der Ort, an dem sie standen, war das Hexenloch unten im Park. Schwarz schimmerte das scheinbar regungslose Wasser, geheimnisvoll flüsterten die Tannen und Buchen über ihren Häuptern, es webte in der stillen Abendluft seltsam und geheimnisvoll, und wo im Westen der Park eine Lichtung hatte, schimmerte blutrot ein Streifen an der Stelle, wo die Sonne eben untergegangen war. Und Alfred Falkner ließ ihre Hände los und schritt durch die Lichtung dem Streifen entgegen. Da ward es ganz dunkel. Und es hob sie ein Etwas empor, und die Wasser des Hexenloches schlugen über ihr zusammen, und es ward dunkel und dunkler um sie.

      Und als sie die Augen aufschlug, träumte ihr weiter, da sah sie sich langsam durch den Park schreiten, einen Brief in der Hand mit einem fremden Poststempel. Sie zerriß das Couvert und begann den Brief zu lesen, aber während sie dazu ihre Schritte anhielt, schlug etwas in das Briefblatt, sie wußte nicht was, doch sie sah, daß ein erbsengroßes, rundes Loch mit versengten Rändern in dem Papier


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