Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
ist es auch die Liebe selbst, ohne daß Sie es wissen,« fiel er bittenden Blickes ein.
Sie aber schüttelte mit trübem Lächeln den Kopf.
»Nein, Hoheit – wir wollen uns beide darüber nicht täuschen. Es frägt sich nur, ob Ihnen genügt, was ich zu bieten habe – –«
»Dolores – –«
»Sie sollen nicht sofort ›Ja‹ sagen, Hoheit,« fiel sie ihm ins Wort, »Sie sollen sich prüfen, ob Sie vorlieb nehmen wollen mit einem Herzen, das ja nicht verneint, lieben zu können, und das auch nicht sagt: Ich werde Sie niemals lieben, denn ich glaube und begreife, daß eine Frau Sie lieben kann. Aber mehr noch als Sie bedarf ich der Prüfung. Es hat so viel verlockendes, Ihren Antrag anzunehmen, weil es der Antrag eines redlichen, großdenkenden Mannes ist, weil ich mir einbilde, Ihr Herz könnte eine Heimat werden für mein heimatloses Herz und weil die Einsamkeit mich oft so trostlos ansieht – aber all' das darf mich nicht verleiten, das Lebensglück – Ihr Lebensglück auf eine Karte zu setzen, von der ich nicht weiß, ob sie gewinnt. Und darum muß ich mich prüfen und Sie müssen mir Zeit lassen, ja?«
»Kann ich ›Nein‹ sagen?« fragte er mit einem Seufzer zurück. »Und wie lange soll ich auf Ihre Entscheidung warten? Denn ich habe für mich schon entschieden!«
»Wie lange?« sagte Dolores träumerisch. »Ich kann nicht wissen, wie lange ich brauche, um die Zweifel meines eignen Herzens zu bekämpfen. Denn wenn ich kämpfe, so geschieht es offenen Visiers und ehrlich, auch gegen mich selbst – –«
»Das weiß ich, Dolores! Und ich will warten – warten, bis Sie mich rufen. Doch eins muß ich Ihnen sagen: auch ich werde kämpfen, aber nicht mit mir, denn in mir ist alles klar, aber um Sie, und ich will damit nicht eher aufhören, als bis Sie selbst mir sagen, daß es vergebens ist, daß Sie einen anderen lieben. Und vielleicht siege ich auch, denn ich gehe ja nicht hoffnungslos von Ihnen.«
Da lächelte sie schmerzlich.
»Mit einem armseligen ›vielleicht,‹« sagte sie leise.
»Nicht armselig,« erwiderte er warm, »denn haben Sie nicht gehört, was ein Geistreicher gesagt, daß das Wörtchen ›vielleicht‹ die Visitenkarte der Hoffnung ist?«
»Und wenn die Hoffnung nun darauf schriebe: p. p. c. – pour prendre congé?« fragte Dolores.
Einen Augenblick sah der Erbprinz ihr in die angstvoll auf sich gerichteten Augen, dann erwiderte er zuversichtlich:
»Das müßte ich schwarz auf weiß haben, denn die Hoffnung nimmt niemals für immer Abschied von den Menschen.«
Sie aber schüttelte nur mit dem Kopfe – sie wußte es besser.
Und der Erbprinz ging, und wenn er das Wörtchen »vielleicht,« auf das er so viel Hoffnung setzte, zurückdrängte, so blieb ihm freilich nicht mehr viel übrig, um darauf zu bauen. Aber Menschen in seiner Lebenslage bauen dennoch – luftige, hohe Schlösser auf sandigen Boden, bis der Windstoß kommt, der sie vor ihren Augen zusammenbrechen läßt und ihnen nichts davon bleibt, als Schutt, Trümmer und Scherben. – –
Dolores war allein zurückgeblieben mit klopfendem Herzen und fliegenden Pulsen, denn kaum war der Erbprinz gegangen, da traten vor ihren redlichen Sinn schon die Fragen: Was hast du gethan? Welches Recht hast du, ein Herz zu versprechen, das du voll und ganz nicht mehr geben kannst? Welches Recht hast du, Hoffnungen zu erwecken, die du nicht erfüllen kannst?
Und doch hätte sie am liebsten gleich »Ja« gesagt, denn ihr schien Hand und Herz des Erbprinzen wie ein wohlgeborgener Hafen, in welchem sie sicher war vor sich selbst, in welchen sie sich allzeit retten konnte, wenn auch die hohe See des Lebens ihr den Gischt in die Augen schleuderte und sie blendete, daß sie ihren Weg nicht mehr klar sah vor sich. Und sie glaubte glücklich werden zu können an der Seite eines solch' edeln Menschen, selbst wenn sie ihn nicht so liebte, wie sie dachte und glaubte, lieben zu sollen, und endlich wußte sie es nicht und ahnte nicht, wie schwer ihr Herz getroffen war und wie unheilbar seine Wunde. Diese Erkenntnis ward ihr noch vorbehalten – sie wäre ihr erspart geblieben, wenn es sie an jenem Abend nicht herausgetrieben hätte, um im Freien in Gottes klarer Luft besser denken, besser prüfen zu können, trotzdem das Zünglein der Wage sich schon tief herabneigte nach der Wagschale des Erbprinzen, denn, wie gesagt, Dolores hatte noch nicht genug gekostet vom Apfel der Erkenntnis, hatte auf die Sprache des eigenen Herzens noch nicht gelauscht oder dieselbe doch gebieterisch zum Schweigen gebracht – kurz, sie war noch nicht sehend geworden.
Während der Erbprinz droben war bei ihr, hatten Doktor Ruß und seine Frau auf der Terrasse vor ihren Zimmern Platz genommen, und kurz darauf kam auch Falkner von Monrepos herüber, um, wie er sogleich sagte, seiner Mutter den heut' von der herzoglichen Familie fixierten Tag seiner Hochzeit zu melden.
»Die Einladungskarten werden jedenfalls zur rechten Zeit hier eintreffen,« schloß er, »aber ich denke, der Herzog wird noch vor seiner Abreise von Monrepos Gelegenheit nehmen, davon zu sprechen, das heißt seine Einladung persönlich anbringen.« –
Frau Ruß strickte ihre Nadel ab, an deren Maschen sie eifrig zählte. »Dreiundzwanzig – vierundzwanzig,« schloß sie und ließ dann das Strickzeug sinken, um auf die Einladungsfrage einzugehen. Diesen Moment aber hatte Doktor Ruß sehr wohl abgepaßt.
»Wäre es nicht besser, lieber Alfred,« begann er, »wenn du drüben in Monrepos einen Wink darüber fallen lassen könntest, daß die Einladung besser ganz unterbleibt? Du würdest dadurch deiner Mutter den peinlichen Moment der Entschuldigung über ihr Fernbleiben von deiner Hochzeit ersparen.« –
Frau Ruß hatte ihren Gatten, während er sprach, angesehen, ohne ihn zu unterbrechen. Jetzt nahm sie mit einem Ruck ihr Gestrick wieder auf, doch um ihren festgeschlossenen Mund zuckte es seltsam.
Falkner aber hielt sein Erstaunen nicht zurück.
»Warum willst du meiner Hochzeit nicht beiwohnen, Mutter?« fragte er.
Wieder öffnete Frau Ruß den Mund zur Antwort und wieder übernahm Doktor Ruß dieselbe.
»Deine Mutter hat drei Gründe für ihre Weigerung,« sagte er. »Erstens sind wir pekuniär nicht so gestellt, um die für einen solchen Tag und an solchem Orte nötigen Ausgaben für Reise, Kleider etc. bestreiten zu können.« –
»Nun, meine Mutter wird die Deckung dieser Auslagen von mir in diesem Falle wohl annehmen,« fiel Falkner dem Redner ins Wort.
»Zweitens,« fuhr Ruß unbeirrt fort, abermals eine Antwort seiner Frau abschneidend, »zweitens will deine Mutter einer derartigen Feier niemals ohne ihren Gatten – meine Wenigkeit – beiwohnen.«
»Man wird aber auch am herzoglichen Hofe den Takt haben, diesen Gatten meiner Mutter mit einzuladen,« fiel Falkner abermals ein.
»Diesen Fall vorausgesetzt, wird deine Mutter drittens sich nicht der Möglichkeit aussetzen, in der Hofrangordnung auf eine Stufe gestellt zu werden, welche vielleicht ihrer jetzigen bürgerlichen Stellung, nicht aber ihrem Geschmacke entspricht; ganz abgesehen davon, daß es ihr peinlich wäre, mich, ihren Gatten, dabei übersehen und beiseite schieben zu lassen,« schloß Doktor Ruß.
Falkner konnte dem klugen, alles erwägenden Manne in diesem Falle nicht unrecht geben.
»Ich glaube kaum, daß ihr euch in eurem Verhältnis zu mir derartigen Dingen aussetzen würdet,« sagte er indes sehr ruhig.
»Nein, du glaubst es nicht, und ich glaube es auch nicht, was den Herzog und die Seinen persönlich anbetrifft,« erwiderte Ruß, »aber die Hofrangordnung macht der Hofmarschall, und du wie wir sind dessen eben nicht sicher, sowie seiner Ansichten über den Fall. Sparen wir also dem Herzog das Peinliche, seine Gegenschwieger deplaziert zu sehen, und sparen wir uns den Ärger, es zu sein!«
»Nun, das wird sich alles noch finden,« meinte Falkner, um das Gespräch zu beenden.
»Der zweite und dritte Punkt vielleicht – der erste sicher nicht,« beharrte Doktor Ruß. »Denn,« fuhr er fort, »es fällt mir nicht ein,