Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
schnell wie möglich zu Bette, liebe Dolores,« redete nun Doktor Ruß auch zu; »doch auch du, Alfred, mußt dich hier umkleiden. Ich gehe, Ihnen aus meiner Apotheke ein Vademekum gegen Erkältung zu holen!« – Damit eilte er hinein, und Falkner führte Dolores ins Haus und bis vor ihre Zimmer. Dort wollte sie ihm danken, aber er ließ es nicht zu.
»Daß deine Rettung mir gelang, war ja keine Heldenthat, sondern barer Egoismus,« meinte er, und verließ sie so schnell, daß sie ihm eben nur noch ein halb ersticktes »Lebewohl« zurufen konnte.
In Kleidern von Doktor Ruß, die ihm zur Not paßten, langte Falkner erst spät in Monrepos an, begrüßt von besorgten Fragen seines späten Kommens wegen, das man natürlich einem besonderen Ereignis zuschrieb. Nur Prinzeß Lolo, welche sich in Zorn und Ungeduld über das lange, unentschuldigte Ausbleiben ihres Verlobten in Wein- und Schreikrämpfe versetzt hatte, wollte von triftigen Gründen nichts wissen, und beruhigte sich erst, als Falkner nach diversen, sehr geduldigen Versuchen, sie zur Vernunft zu bringen, sich kurz auf dem Absatz umdrehte und das Zimmer verlassen wollte. Da hörte das Schluchzen und Schreien wie mit einem Zauberschlage auf, und derselbe Mund, der eben noch verzerrt und zuckend geschrieen hatte, wie ein eigensinniges Kind, er lachte hell auf und fragte:
»Aber wie siehst du denn aus? Dein Rock schlägt ja auf dem Rücken eine Wasserfalte.«
»Weinen und Lachen steckt in einem Sacke,« murmelte der Herzog, dessen Autorität sich diesem Kinde gegenüber wieder als machtlos bewiesen, während die Bitten der Prinzeß Alexandra um Mäßigung die Sache entschieden verschlimmert hatte.
Falkner wandte sich auf die Anrede seiner Braut um, heißen Zorn im Antlitz, aber äußerlich sehr ruhig und beherrscht.
»Ich werde dir den Rock, der einen so wohlthätigen Einfluß auf deine Stimmung hat, schenken,« sagte er nicht ohne Schärfe, welche dem Erbprinzen, den das Benehmen seiner Schwester unsäglich reizte und empörte, viel zu schwach und »bräutigamhaft« erschien. »Vielleicht,« fuhr er nicht ohne Galgenhumor fort, »vielleicht ist die Wasserfalte eine natürliche Folge davon, daß ein Sprung ins Wasser mein spätes Kommen verschuldet hat.«
Und nun berichtete er kurz von dem Unfall, der Dolores betroffen, bei größter Anteilnahme der herzoglichen Familie, welche seinem von ihm nur flüchtig berührten Rettungswerke die wärmste Bewunderung spendete.
»Da hättest du denn bei dem Herausfischen deiner Cousine selbst ertrinken können?« fragte Prinzeß Lolo, welche bis dahin mit großen Augen zugehört.
»Es gehört ein harter Kampf dazu, dort das eigene Leben zu retten, geschweige denn das anderer,« sagte der Erbprinz, welchen die Gefahr, in welcher Dolores geschwebt, aufs Tiefste erschüttert hatte.
»Dann war es schlecht von dir, hinein zu springen,« rief Prinzeß Lolo außer sich, »du hast kein Recht dazu, dich für andere in Gefahr zu begeben, du gehörst mir!«
»Lolo!« mahnte Prinzeß Alexandra empört, »vergiß nicht, was der Dichter sagt:
Ein braver Mann denkt an sich selbst zuletzt,
Vertraut auf Gott und rettet die Bedrängten.
Und Falkner hat sich als ›ein braver Mann‹ gezeigt! Muß dich das nicht mit Stolz erfüllen? Die einzige Entschuldigung für dich ist, daß dieser empörende Egoismus nur ein Ausbruch deiner nachträglichen und gerechtfertigten Angst um sein Leben war!«
»Ratteltatteltattel!« äffte die kleine Durchlaucht blitzenden Auges ihrer Schwester nach. »Was ihr nicht immer über mir zu meistern habt! Ich habe mir gar nichts anderes gedacht, als ich gesagt habe, und bleibe dabei, daß Alfred gar nicht das Recht hat, sich in Gefahr zu begeben. Was hast du überhaupt mit Dolores Falkner abends am Hexenloch zu thun?« setzte sie eifersüchtig hinzu.
Falkner wollte diesen unbewußt gerechtfertigten Ausbruch mit Stillschweigen übergehen und unbeantwortet lassen, aber ein forschender Blick des Erbprinzen schien ihm dieselbe Frage vorzulegen. Er antwortete daher, was die reine Wahrheit war:
»Ich wollte auf dem Wege über das Hexenloch nach Monrepos zurückkehren und traf sie dort an. Der Unfall ereignete sich erst, als ich schon im Weitergehen war – glücklicherweise nicht weit genug, um noch helfen zu können.«
»Glücklicherweise!« höhnte Prinzeß Lolo mit so eigenem Ausdruck, daß Falkner auffuhr, sich aber beherrschte und von dem Herzog die Erlaubnis ausbat, sich zurückziehen zu dürfen, da das lange Tragen der nassen Kleider ihm ein gewisses Gefühl des Unbehagens verursacht habe. Als er seiner Verlobten aber Gute Nacht sagte, hatte diese schon die Reue erfaßt.
»Sei nicht böse,« flüsterte sie, »es war ja nur, weil ich eifersüchtig auf dich bin! Ich werde mir heut' Nacht noch die Augen ausweinen in dem Gedanken an die Gefahr, in der du geschwebt – und weil ich dich geärgert habe. Aber du darfst wirklich nicht böse sein!«
Er küßte ihr die kleine, rosige Hand und ging – schuldbewußt, elend und glücklich zugleich, denn er war sich einer Untreue gegen seine Verlobte bewußt, welche nur strengste Buße, absolutes, unbedingtes Entsagen zu sühnen vermochte vor dem Richterstuhl seines eigenen unbeugsamen, strengen Gewissens, das selbst seinen Schmerz um ein verscherztes Glück und seinen Unwillen gegen die Ungezogenheiten seiner Braut nicht freisprechen wollte. Und was er sich der Stimme seines Gewissens gegenüber heut' Abend gelobte, er wußte, er würde es halten, und er wußte, daß Dolores es achten würde.
Die herzogliche Familie schickte am selben Abend noch nach dem Falkenhof einen Boten, der sich nach dem Befinden der Baroneß erkundigen sollte und die Nachricht zurückbrachte, daß sie ruhig und fest schlafe.
Und in der That schlief Dolores ruhig und fest, erschöpft von ihrem Kampfe mit den schrecklichen Wassern, bewacht von der alten treuen Tereza, welche die Nacht nicht von dem Bette der Herrin wich. Diese aber träumte, sie flöge durch einen weiten, weiten Raum, unten aber stand Falkner mit ausgebreiteten Armen sie aufzufangen, doch ein Windstoß riß sie dahin, bis sie in den Wolken verschwand und nichts mehr sah. Plötzlich aber zerrissen die Wolken wie ein Vorhang, und einer Laterna magica gleich zog die Scene am Hexenloch noch einmal an ihr vorüber, nur anders in einzelnen Dingen, und wie sie das Wasser über sich zusammenschlagen sah auf dem Bilde in den Wolken, da wachte sie auf und wußte, sie hatte das schon einmal geträumt – –
Geträumt und erlebt?
Doch ihr Geist war allzu schlafbefangen, um darüber grübeln zu können, und als sie die Augen wieder schloß, glaubte sie es neben ihrem Bette rauschen zu hören wie von seidenen Kleidern, und als sie die Augen deshalb wieder mühsam öffnete, sah sie die Ahnfrau Dolorosa über sich gebeugt.
»Das war der zweite Traum, den ich dir gezeigt,« meinte sie es flüstern zu hören. »Denk' an die beiden anderen Traumbilder und hüte dich!«
Da fuhr sie hoch empor aus ihren Kissen – es war niemand zu sehen.
»Tereza, war jemand hier?« fragte sie die sich besorgt über sie beugende Dienerin.
»Verzeihe, Herrin – ich war eingeschlafen,« sagte diese, »da hat mir geträumt, es kam eine schöne, fremdartig gekleidete Dame herein und ging an dein Bett, und ich hörte sie mit dir flüstern. Und wenn es nicht ein Traum sein müßte, weil doch niemand hier ist, so würde ich schwören, ich hätte sie mit eigenen Augen gesehen!«
»Es war doch nur ein Traum,« dachte Dolores und schlief wieder ein.
***
Doch noch ein anderer hatte im Falkenhof unruhige Träume – das war der Doktor Ruß, und wenn er auch dabei fast ununterbrochen schlief, so störte er doch seine Frau durch sein lautes Sprechen im Schlafe, und ihre Müdigkeit wich vollends, als sie ihren Gatten öfters den Namen »Dolores« aussprechen hörte. Wilde, wahnsinnige Eifersucht ergriff das Herz der alternden Frau, und mit der Freude der Selbstqual, mit dem Verlangen jener Leidenschaft, »welche mit Eifer sucht, was Leiden schafft,« opferte sie gern den eigenen Schlaf, um aus den abgerissenen Worten und Sätzen ihres sich unruhig hin- und herwerfenden Mannes einen Zusammenhang herauszufinden, aus dem sie mit wilder Freude neue Qualen herausdüfteln konnte für ihr altes Herz, das in seiner eisigen