Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
der Rätsel dieses stolzen Herzens war gelöst.
»Arme Dolores!«
Im übrigen traten sie sich auch bei dieser Gelegenheit nicht näher, als beim zufälligen Begegnen zur Aufrechterhaltung der äußeren Formen nötig war, und die Welt, welche alles beobachtet, alles sieht, sagte:
»Er kann es nicht verwinden und ihr nicht vergeben, daß nicht er, sondern sie den Falkenhof bekommen hat.«
Und Fragern, welche die einfachste Lösung dieses Erbfolgekriegs in einer Vermählung der Erbin mit dem Enterbten sahen, wurde geheimnisvoll geantwortet:
»Ja sehen Sie - er hat sie nicht gemocht, weil sie doch Opernsängerin gewesen ist. Und sie ist ihm auch zu antipathisch; das kann ja jedes Kind sehen. Rote Haare sind eben auch nicht jedermanns Sache.«
***
Am Tage nach der Vermählung der Prinzeß Alexandra hielt der Freiherr von Falkner mit seiner Frau den Einzug in Monrepos, das ihr der Herzog, vollständig eingerichtet, als Morgengabe geschenkt zum Sommeraufenthalt, während Dolores dem großherzoglichen Paare auf einige Tage in dessen Residenz folgte, um dort bei den Einzugsfeierlichkeiten ihres Amtes zu walten – und so kam es, daß sie erst nach vierzehntägiger Abwesenheit in den Falkenhof zurückkehrte.
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Die junge Freifrau von Falkner hatte sich in Monrepos sofort mit großem Selbstbewußtsein installiert und energisch Besitz ergriffen von ihrem Regiment. Bis dahin immer noch halb als Kind behandelt, jeden Zwang hassend, war sie in einer Atmosphäre aufgewachsen, welche, wie ihrer Mutter, ihren ganzen Neigungen widersprach. Die programmmäßigen, geregelten Vergnügungen machten ihr gar keinen Spaß, sie wollte Vergnügungen nach ihrem eigenen Maßstabe. Auch liebte sie's gar nicht, erzogen zu werden, und emancipierte sich auch vielfach mit Erfolg von den guten Lehren, welche sie nicht als solche anerkannte, sondern sie einfach für eigens zu ihrer Qual erfundene Plackereien hielt. Daß das Leben eine sehr ernste Sache sei, und der Schmerz, als ein herber, doch treuer Gast dem Menschen kaum von der Seite weicht, das begriff sie nicht und lachte insgeheim über die »Thränenweiden,« welche die Aufgabe dieses Lebens in einer Vorbereitung für das künftige erblickten und das Elend aufsuchten, um es zu lindern. Das Leben war für Eleonore von Nordland ein ewiger Tanz, in welchem man wohl Pausen machte, sich zu erholen, aber um Gottes willen nicht ganz aufhörte zu tanzen. Es ging ihr eben wie so vielen anderen, welche für ihre Eigenart zu früh und zu spät geboren werden – und bei ihr war entschieden das Letztere der Fall, denn wenn König Jerôme »lustiken« Andenkens diese leichtblütigste Prinzeß der Welt kennen gelernt und, da sie ganz sein Genre war, zur Königin gemacht hätte, so wäre es sicher noch viel, viel »lustiker« zugegangen im schönen Wilhelmshöhe.
Da man aber nun leider nicht mehr in diesen vergnügten Zeiten lebte und auf dem Vulkan tanzte, lachte und Tollheiten trieb, sondern unsere Zeit darin entschieden decenter und würdiger geworden ist, so wünschte Prinzeß Lolo nichts sehnlicher, als, da sie doch den König Jerôme nicht heiraten konnte, herauszukommen aus dem Zwange eines Hofes und dem Schicksal zu entrinnen, dereinst als »sitzengebliebenes« Herzogstöchterlein in dem Familienstift als Äbtissin desselben zu enden. Da war Falkner, den sie bisher eigentlich schon zu den »Alten« gerechnet hatte, erst in Monrepos so recht in ihr Leben getreten, und nachdem er ihr erst imponiert, hatte sie sich sterblich in ihn verliebt – eine Backfischliebe, wie sie fast immer vorkommt, wenn Schulmädchen der ersten Klasse oder Selekta sich in einen der Lehrer – meist den Zeichen- oder Gesangslehrer – verlieben, heimliche, sehr schlechte Gedichte an ihn machen und sonstigen Kultus mit ihm treiben, von dem er keine Ahnung hat. Da Prinzeß Lolo nun aber keine höhere Töchterschule und kein Pensionat besucht hatte, ihre Privatlehrer aber alle sehr gesetzten Alters und keine Epigonen des schönen Adonis waren, so hatte sie dieses Herzensstadium auch nicht durchgemacht und sie trat erst in dasselbe, als der Freiherr von Falkner mit seiner imposanten Erscheinung, seinem kühl-vornehmen, ernsten Wesen zu Monrepos ihren Weg kreuzte. Nun fing das junge, unerfahrene Herzchen Feuer, und da sie wußte, daß Prinzessinnen auf den Bällen nicht engagiert werden, sondern selbst ihre Tänzer wählen und befehlen, so versicherte sie sich erst, daß die gefährliche Konkurrenz von Dolores keine Nebenbuhlerschaft war, und präsentierte ihm, der sich von Dolores aussichtslos zurückgewiesen sah, ihr junges Herz mit einer Deutlichkeit, die ihm bei der Jugend und der Unerfahrenheit der Herzogstochter schmeichelte und wohlthat. Durch welche Motive der Herzog bestimmt worden war, seine jüngste Tochter außerhalb ihres hohen Standes zu verheiraten und sie einem simplen Edelmann zu geben, mit dessen Haus er freilich lange schon befreundet war, wissen wir.
Für Falkner gab es nach der Scene an der Gruftkapelle kaum noch einen anderen Weg, als den, welchen er eingeschlagen hatte, und nun er ganz gebunden war, wußte er auch, daß Dolores ihr Herzensgeheimnis niemals preisgegeben hätte, nie sich hätte abringen lassen, wenn es anders gekommen wäre, wenn der Herzog dem Vasallen die Hand seiner Tochter versagt hätte.
Und so fand denn die Schließung einer Ehe statt, die ein vierfach verfehltes Rechenexempel war, die ein Blick in die Zukunft verhindert hätte. Freilich hätte auch jetzt noch dieser eine Blick beiden viel ersparen können, doch es soll ja nicht sein, wir sind, zu unserem Glück meist, unwissend über die Ereignisse der nächsten Stunden und Tage. Die Freifrau von Falkner nahm also Besitz von ihrer Freiheit mit einem Eifer und einer Energie, welche deutlich bewiesen, wie die langersehnte Selbständigkeit ihr wohlthat. Ihr Anordnen, ihr Befehlen, Arrangieren verriet eine Sicherheit, welche bezeichnend war und erstaunlich zugleich, wenn man die Abhängigkeit in Betracht zog, in welcher sie bisher gelebt hatte. Nun fühlte sie sich ganz Schloßfrau, und am Tage nach ihrer Ankunft in Monrepos hatten viele Hände viel zu thun, denn ihr Geschmack verwarf die meisten Arrangements, änderte, setzte Möbel um, verlegte ganze Zimmer, und als sie dann erklärte, es sei so gut, da war freilich ein genialer Zug, ein gewisser künstlerischer Sinn nicht zu leugnen, der in den Arrangements lag.
Eine ganze, volle Woche lang beschäftigte das neue, unumschränkte Eigentum, das eigene Heim den unruhigen Geist der jungen Freifrau wie ein langersehntes, oft begehrtes Spielzeug; eine ganze Woche lang war sie auch glücklich und zufrieden in Gesellschaft ihres Gatten, welcher alles that, ihr dieses neue Heim durch seine Gesellschaft anziehend zu machen, welcher freundlich und liebreich einging auf ihre Intentionen, ihre bizarren Gedankensprünge, und in dem glücklichen und zufriedenen Ausdruck ihrer lachenden blauen Augen Ersatz fand für manches Verlorene, oder vielmehr zu finden glaubte und zu finden hoffte. Für ihn selbst war ja diese Zeit des gezwungenen dolce far niente ein Opfer, das er angesichts des elfenhaften, quecksilbernen Wesens an seiner Seite ein kleines nannte, das er auch in dieser leicht gleitenden, ruhevollen ersten Woche auf Monrepos als solches empfand. Aber er liebte die Arbeit und liebte Beschäftigung, und da er »auf höheren Befehl bis auf weiteres« von allem und jedem Dienst freigegeben war, bis sich der gesuchte höhere Posten, wie er sich für den Schwiegersohn eines regierenden Fürsten schickte, gefunden hatte, so war er entschlossen, diese Pause in seinem Arbeitsleben durch selbstgewähltes Studium auszufüllen. Damit freilich kam er in dieser ersten Woche nicht weit, denn wenn er Lolo in einem entfernten Zimmer wirtschaften, räumen und befehlen hörte und die Bücher aufschlug, da war sie gewiß im nächsten Moment schon da, steckte das Köpfchen mit der winzigsten Spur einer Frauenhaube auf dem Blondhaar zur Thür hinein und fragte lachend und eifrig tausend und eine Frage, bis er resigniert die Bücher zusammenklappte und freundlich auf ihre Wünsche einging.
Aber eine Woche verstreicht schnell, besonders wenn sie Glück bringt und Friede, und Falkner hatte den allerbesten Willen für beides.
Und so geschah es denn genau eine Woche nach dem Einzuge des jungen Paares auf Monrepos, als beim ersten Frühstück an einem herrlichen Sommermorgen auf der Veranda die junge Frau ihre Theetasse hinsetzte, die kleinen rosigen Hände im Schoß faltete, sich zurücklehnte und – gähnte.
»Ei, noch müde, Lolo?« fragte Falkner lächelnd, denn es war nicht gerade mehr sehr früh am Morgen.
»Müde? Nein, langweilig,« gestand Frau Lolo offenherzig genug.
»O! O! Ich fühle mich sehr geschmeichelt,« meinte Falkner heiter.
Das aber nahm seine Frau übel.
»Dabei ist gar nichts zu lachen,«