Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Sie das lieber, Falkner,« meinte Keppler.
»Nein. Es ist besser so,« entgegnete er, und Keppler ging, aber der Auftrag war ihm peinlich, und er entledigte sich seiner auch erst gegen das Ende der Sitzung. Der Ausdruck von Schmerz und Qual in dem schönen Antlitz der Lehnsherrin, der seiner Mitteilung folgte, erschreckte ihn tief, aber er sagte nichts, da auch sie nichts erwiderte. Doch als die Sitzung schloß und sie die Estrade verließ, sagte sie:
»Wenn Sie einen Augenblick warten wollen, Herr Professor, bis ich mich umgekleidet habe, so will ich Sie nach Monrepos begleiten.«
»Sie wollen nach Monrepos – Sie?« fragte er erstaunt.
»Ja,« erwiderte sie fest. »Soll ich die Eris sein, welche den Zankapfel wirft in diese Ehe? Da sei Gott vor, und wenn ich einen Bruch da drüben verhüten kann und ich thäte es nicht – wie könnt' ich das im Jenseits verantworten?«
»Es wird nicht jeder so groß denken,« sagte Keppler bewegt.
»Ich sehe nichts Großes darin, nur das rein Menschliche.« Sie nickte müde, und rauschte in ihrer goldgestickten Schleppe hinaus, die Kleider zu wechseln, während er noch an der Stickerei und den Spitzen auf dem Gemälde weiterarbeitete. Als er dann die Palette beiseite legte und hinunterging, fand er Dolores schon wartend, und schweigend schritten sie über das Bowling-green nach der Allee, welche nach Monrepos führte. Endlich brach Keppler das Schweigen.
»Ich habe noch gar nicht einmal gefragt, wie Sie sich heut' fühlen.«
»Besser und weniger matt,« erwiderte Dolores in Gedanken.
Da blieb Keppler stehen.
»Hätte ich doch das Recht, ein offenes Wort mit Ihnen zu sprechen,« rief er, sichtlich erregt.
»Das Recht gebe ich meinen Freunden gern,« sagte sie erstaunt, aber freundlich.
»Wirklich? O, dann lassen Sie mich kraft dessen eine Bitte wagen: kehren Sie um! Thuen Sie nicht diesen Gang nach Monrepos.«
»Warum?«
»Weil – weil – – kurz, dieser Gang hat seine Gefahren,« erwiderte er mit sichtlichem Kampfe.
»Ja –
Sehr gefährlich ist der Aufenthalt
So allein im dunkeln Pinienwald
singt die Gräfin in Gasparone,« scherzte Dolores. »Aber ich fürchte mich nicht,« schloß sie lächelnd.
»Dolores, es ist mir heiliger Ernst,« sagte Keppler. »Hören Sie mich an, ja?«
»Sprechen Sie.«
»Nun dann – nochmals, kehren Sie um; lassen Sie das Verhältnis mit Monrepos auf diesem Fuße stehen, den Falkner einnimmt – seine thörichte, eigenwillige Frau thut Ihnen und ihm den größten Dienst damit!«
»Das verstehe ich nicht,« sagte Dolores kühl und verwundert.
»Dolores, Sie müssen mich verstehen,« rief er beschwörend.
»Nein,« wiederholte sie kurz und kühl.
Da rang er mit sich einen kurzen Augenblick.
»Dolores,« sagte er dann leise und schnell, »ich weiß, wie es mit Ihnen und Falkner steht – er hat sich bei der Scene mit der Schlange unbewußt verraten – Sie schon früher. Ich habe alles gesehen. –« –
»Sie haben Gespenster gesehen, Herr Professor Keppler und überschreiten das Ihnen erteilte Recht eines offenen Wortes in unverantwortlicher Weise,« unterbrach sie ihn, blaß bis an die Lippen, aber fest, kalt und hochmütig, doch in ihrem Herzen rang der Schrei sich los: »Um Gott, ist es so weit gekommen, daß das Tote wieder erwacht und sich aus mir verrät? Und aus ihm?«
Und wie der echte, rechte Mut zu wachsen pflegt im Augenblick der Gefahr, wie Heldenherzen lieber gegen sich selbst den Stoß richten, ehe sie wanken und irren, so fand auch Dolores in diesem Moment den Mut der Selbstentäußerung, denn ehe Keppler noch etwas erwidern konnte, fuhr sie schon fort:
»Und dies Überschreiten Ihrer Rechte zwingt mich, Ihnen ein Geheimnis preiszugeben, dessen Wahrung ich Ihrer Ehre anvertraue – ich werde mich mit dem Erbprinzen von Nordland vermählen!«
Wieder blieb Keppler stehen – vernichtet, betäubt.
»Die morganatische Gemahlin eines regierenden Duodezfürsten – dazu sind Sie zu schade!« brach er dann los.
»Die Beurteilung dieses Schrittes bitte ich mir zu überlassen,« erwiderte sie heftig, sprühenden Blickes.
Da schwieg er, und sie gingen weiter, doch ehe sie bis dicht an das Gitter von Monrepos kamen, da reichte er ihr bittenden Blickes die Hand.
»Es war gut gemeint, verzeihen Sie.«
»Gern,« erwiderte sie tonlos.
»Ich habe Sie und meinen Freund Falkner auch mit keinem Hauch eines Verdachtes gekränkt,« fuhr er fort, »und warnen kann nicht beleidigen –« –
»Gewiß nicht. Aber ich vertraue darauf, daß ich den Warner in der eigenen Brust trage,« unterbrach sie ihn stolz.
Da lächelte er trübe.
»Das Herz ist oft stärker und siegt,« war seine Antwort.
Doch sie waren bei Monrepos angelangt und das Gespräch damit zu Ende. Dolores sah zu ihrer Freude, daß Falkner und Lolo allein an einer Blumenrabatte standen und wohl ihre Gäste zum Lunch erwarteten. Und während Keppler sich zurückzog, trat sie schnell auf die Überraschten zu.
»Liebe Lolo,« sagte sie herzlich, aber auf den Wangen noch die Blässe der Erregung, »liebe Lolo, ich komme dir zu sagen, daß ich neulich nach meinem thörichten Schreck über die Schlange, recht abweisend und unhöflich zu dir war, die als Gast bei mir weilte. Das thut mir herzlich leid, denn ich bin überzeugt, daß du dir nur einen Scherz machen wolltest, weil du nicht wußtest, wie weit meine Antipathie gegen diese Tiere geht. Sei mir also nicht böse, und du auch nicht, Cousin Alfred!«
»Siehst du nun, wer unrecht hatte?« rief die junge Frau triumphierend. »Und da sollte ich mich vor ihr demütigen, die jetzt zu mir kommt? Haha, ich werde deiner Abgötterei, die du mit Dolores treibst, keinen Weihrauch mehr liefern!«
»Eleonore!« rief Falkner erschrocken, aber Dolores, welche auf diese Wendung freilich nicht gefaßt war, mußte unwillkürlich lachen.
»Bravo, Lolo,« rief sie gutmütig, »da hast du aber recht, denn Weihrauch macht mir stets Kopfschmerzen.«
»Und ich muß davon niesen,« gestand Lolo, deren momentane Empörung gegen die eingebildete Ungerechtigkeit ihres Gatten der rosigsten Laune wich, weil ihr von der Seite recht gegeben wurde, auf der Falkner ihr das Unrecht gezeigt.
In diesem Augenblicke erschienen auf der Veranda die auf Monrepos einquartierten Offiziere, und die junge Frau ging ihnen strahlend heiter entgegen. Nach der gegenseitigen Begrüßung erklärte Dolores indes nach Hause gehen zu müssen, und Falkner begleitete sie bis an das Thor.
»Das war ein Schritt von dir, Dolores, welcher dir alle Ehre macht, eine große Selbstverleugnung, deren Motive ich zu erraten glaube,« sagte er beim Abschied, »aber du hast gesehen, wie Lolo es aufgefaßt hat. Das verzogene Kind wird dadurch von dem eigenen Unrecht nicht überzeugt –«
»Das hab' ich auch nicht gewollt,« unterbrach sie ihn. »Ich war ihr diese Rechtfertigung schuldig, denn ich habe sie als meinen Gast verletzt!«
»O, wäre sie nur halb so wie du,« murmelte er, doch sie war davon geeilt, ehe er den Satz vollendet hatte.
Im Parke hielt sie ein im schnellen Gehen – die erregten und aufgestachelten Nerven ließen nach, und die alte, rätselhafte Schwäche, Müdigkeit und Apathie kam wieder, unterbrochen von Momenten bittersten Wehs und heftiger Anklagen gegen Keppler. Was hatte dieser Mann davon, den Schleier von ihrem Herzen zu ziehen und ihr armes, unseliges Geheimnis bloß zu legen? Welches Recht hatte er, ihr die Harmlosigkeit