Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


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alte »Graf Erfurt« genannt wurde. Charakteristisch bei ihm war, daß er sehr zerstreut war und nie eine Geschichte zu Ende erzählte, da er diese durch das Dreinreden und Aushelfen der Kameraden längst vergessen hatte, bis er dazu kam.

      »Ja,« sagte er jetzt nachdenklich. »Wie war denn die Geschichte eigentlich?«

      »Na, du lagst beim Bankier Schweigeles im Quartier,« half ein Leutnant ein.

      »Richtig,« nickte der alte Graf erfreut. »Schöne Frau, wohlerzogen und vornehm –«

      »Die Schweigelessen?« fragte Graf Schinga.

      »Ja. Konnte ebensogut Gräfin Schweigeles sein. Famose Frau! Wirklich! Reizend, nett und so was Angenehmes –«

      »Und der alte Schweigeles?« fragte jemand.

      »Greulicher Kerl, protzig, eklig – auf jedem Finger einen Brillantring – wie der zu dieser Frau gekommen, ist mir ein Rätsel!«

      Pause.

      »Aber die Geschichte, Erfurt!« rief der Kommandeur.

      »Ja so!« sagte der alte Graf zur allgemeinen Heiterkeit. »Also dieser Lulatsch, der Schweigeles –«

      »Halt!« rief Lolo dazwischen, »das ist etwas für den Doktor Ruß! Er muß uns einen Vortrag halten über den klassischen Ursprung und die ästhetische Berechtigung des Wortes ›Lulatsch.‹«

      »Nachher! Der Herr Vorredner hat das Wort,« erwiderte Ruß lächelnd.

      »Ja, nun weiß ich gar nicht mehr, wie es war,« sagte der alte Graf perplex.

      »Es fing mit dem Mittagessen an,« soufflierte einer der Offiziere.

      »Ah, ja richtig!« nahm der alte Graf den Faden wieder auf. »Mockturtlesuppe. Dann gab es solches grünes Zeug –«

      Er machte die Bewegung des Bohnenschnitzelns und man begriff.

      »Dazu Lachs und – na, wie nennt man das?« fragte er, auf seine herausgestreckte Zunge tippend.

      »Ochsenzunge,« übersetzte nach dem Anblick des fraglichen Objektes ein Leutnant die Pantomime, und als sich das um den Kreis laufende Kichern gelegt hatte, fuhr der Erzähler fort:

      »Eben! Ox tongue heißt es englisch. Nachher kam so eine gebackene Splitterteig-Chose, gefüllt mit einem Mansch von Krebsschwänzen, Spargeln und – und – und« er klopfte mit dem Zeigefinger auf den Kopf.

      »Kalbsgehirn,« interpretierte man die bezeichnende Bewegung.

      »Jawohl,« sagte der Erzähler freudig, aber nun war es vorbei mit aller Fassung und ein brausendes Gelächter versenkte auf ewig die »kapitale Geschichte« in das Meer der Vergessenheit. Der Graf nahm auch den Fund von Kalbsgehirn und Ochsenzunge bei ihm selbst gar nicht übel, er war froh, daß er schweigen durfte und den guten Sekt trinken.

      »Und nun der Vortrag des Doktor Ruß,« rief Lolo, als das Lachen sich gelegt hatte.

      »Er ist noch nicht ausgearbeitet,« wehrte der Angeredete ab.

      »Ich höre hübsche, nette Geschichten für mein Leben gern,« gestand der Kommandeur. »Es hört sich so behaglich zu, besonders hier im Freien, eine gute Cigarre dazu als Würze. Wer erzählt noch eine Geschichte?« rief er laut.

      »Ich,« sagte Frau Ruß in das allgemeine Schweigen hinein.

      »Du? Liebes Weib, du scherzest,« flötete Doktor Ruß taubensanft.

      »Frau Ruß hat das Wort,« sagte der Kommandeur erstaunt, aber sehr höflich, und alles lauschte gespannt, was wohl diese Frau, welche immer die Rolle der Stummen spielte, erzählen könnte.

      Frau Ruß aber suchte mit den Augen ihren Sohn und nickte ihm zu, dann richtete sie die Augen auf das Wasser und begann:

      »Es war einmal eine Frau –«

      »Also ein Märchen,« sagte Graf Schinga mit langem Gesicht.

      »Ja, ein Märchen,« sagte Frau Ruß und begann nochmals: »Also, es war einmal eine Frau, die war Witwe und hatte ein Kind, das einmal einen großen Besitz erben sollte. Erbschaften aber sind Güter im Monde – Luftschlösser. Und auch dieses Luftschloß zerfiel in Staub und Spreu und das Kind der Witwe blieb arm. Die Witwe aber heiratete wieder –«

      »Kommt zuweilen vor,« brummte Graf Schinga.

      »Und sie heiratete einen bösen Mann,« fuhr Frau Ruß fort.

      »So? Sonst sind meist die Weiber die Xantippen,« sagte Graf Schinga trocken, doch Frau Ruß erzählte unbeirrt weiter.

      »Sie heiratete einen bösen Mann – einen schlechten Mann. Denn er liebte, weil seine Frau alt und welk wurde, ein junges, schönes Mädchen, die Erbin der Güter, als deren Herrn er seinen Stiefsohn erträumt – –«

      Sie hielt einen Augenblick inne, ohne den Blick vom Wasser abzuwenden, ohne auf das fest auf sie gerichtete Antlitz ihres Sohnes zu sehen, ohne das blasse Gesicht von Dolores mit den Augen auch nur zu streifen.

      »Eine recht uninteressante Geschichte, mein Herz,« sagte Doktor Ruß leise, mit seltsam schwankender Stimme.

      Währenddem war auch Falkner neben seine Mutter getreten.

      »Möchtest du uns deine Geschichte nicht lieber zu Hause erzählen, Mutter?« fragte er leise, sich über sie beugend. Aber sie achtete weder auf den einen, noch auf den anderen.

      »Und weil der zweite Mann der Witwe das junge Mädchen nicht sein nennen konnte, und weil sie ihn nicht wieder liebte, beschloß er sie zu töten.«

      »Gott, wie romantisch,« gähnte Lolo.

      »Unangenehmer Gentleman,« knurrte Schinga, Doktor Ruß aber lachte laut auf. Er lachte sonst immer leise.

      »Das glaubte nämlich seine Frau,« fuhr Frau Ruß in ihrer gleichen, monotonen Weise fort. »Aber es mochte ihn noch anderes treiben – der Besitz. Denn der Sohn der Witwe war der Erbe des Mädchens, und als Stiefvater des Besitzers dachte er sich wohlversorgt. Vielleicht war das auch der richtige Grund – aber die Frau war eifersüchtig, weil sie alt geworden war, weil er jünger war als sie, und sie keinen Reiz mehr auf ihn ausüben konnte. Und weil die Frau eifersüchtig war, da spürte sie seinen Wegen nach – o, so sacht, so unverdächtig, so sicher! Sie schlief nachts nicht einmal mehr, denn der Mann hatte die Gewohnheit im Schlafe zu sprechen, und sie lauschte alle Nächte mit bitterem Weh und wild schlagendem Herzen, ob er von dem schönen Mädchen und seiner Liebe zu ihr im Traume reden würde. Doch nur selten nannte er ihren Namen. Aber die Frau erfuhr aus seinen Reden etwas anderes – nämlich, daß er ein Mörder sei, daß er das Mädchen töten wollte. Und so erfuhr sie, wie er sie belauscht am Wasser, und daß sie einen anderen liebte – wen sagte er nicht. Aber er redete wild davon, wie er sie ins Wasser gestoßen und ein anderer sie gerettet – ›Wer hätte auch voraussehen können, daß sie schreien würde!‹ so sagte er unablässig in jener Nacht.«

      Von den Zuhörern flüsterten längst während der Erzählung der Frau Ruß Zwei und Zwei oder Gruppen miteinander. Nur Dolores hörte hoch aufgerichtet, aber leichenblaß zu, Doktor Ruß zupfte die Rippen eines Buchenblattes aus und Falkner stand wie hypnotisiert und sah nach Dolores hinüber.

      »Als aber das Mädchen aus dem Wasser errettet worden war, versuchte es der Mann mit einem anderen Mittel,« fuhr Frau Ruß fort. »Denn das Mädchen hatte eine Schußwaffe, die nahm er, als sie abwesend war, und übte sich damit. Er wollte sie erschießen und die Pistole dann in ihre Hand geben, als hätte sie es selbst gethan, und er bereitete alles vor, indem er erzählte, daß das Mädchen lebensmüde sei aus unglücklicher Liebe. Aber der Schuß ging fehl, und er fand Zeit, die Waffe zurückzulegen an ihren Platz, ehe das Mädchen sie suchen konnte. O, seine Frau spürte ihm wohl nach und sah alles, alles, alles. Denn sie hatte eine wilde Freude an seinem Thun, weil sie das Mädchen haßte, haßte, haßte! Und weil sie eifersüchtig war. Als nun aber der Mann sah, daß er so nichts ausrichtete, da fing er an, dem Mädchen Gift zu geben, ein langsames, schleichendes Gift, das die sonst so


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