Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 4 – Familienroman. Michaela Dornberg
Pam allerdings geflohen war, dass die Großeltern sich bereits verabschiedet hatten, das konnte Inge verstehen. Bei den Abschieden war es immer am schlimmsten, wenn das Gepäck ergriffen wurde und das Auto vorgefahren kam.
Und Werner hatte wieder wie gewohnt einen Termin.
Inge genoss den letzten Moment mit ihrem Sohn, auch wenn ihr Herz dabei schwer war.
»Ach, Hannes, es macht mich ein wenig traurig, dass du schon wieder gehen musst. Du erfüllst das Haus mit Leben. Außerdem habe ich dir noch nicht dafür gedankt, dass du mir unsere Kleine zurückgebracht hast, und …«
Hannes unterbrach seine Mutter.
»Mama, das hat dein Brief gemacht.«
»Ja, aber du hast sie in der schlimmsten Krise mit nach Australien genommen, du hast dich um Pamela gekümmert, und sie ist ein ganz prachtvolles Mädchen geworden.«
Hannes lächelte.
»Das ist sie, und im Leben ist immer alles für etwas gut. Die Zeit hat viel gebracht, sie ist erwachsener und selbstständiger geworden, und es kann nie schaden, mal über den Gartenzaun zu sehen. Australien hat sie geprägt, und das ist gut so, du hast sie in Watte gepackt, und bitte, Mama, fang nicht wieder damit an. Pam ist ein großes Mädchen geworden, sie hat keine Angst vor Schlangen und Koyoten, und sie war eine ganz hervorragende Schülerin. Mrs Brewster, die Schulleiterin, hat geweint und unsere Pam nur schweren Herzens gehen lassen.«
Inge hätte gern noch so vieles gesagt, doch die Zeit reichte nicht, also ließ sie Hannes erst einmal essen, dann kochte sie ihm noch einen Kaffee, den sie jetzt ebenfalls brauchte, und dann war der Augenblick des Abschieds gekommen.
Mutter und Sohn umarmten sich, natürlich brachte Inge ihn zur Tür, und sie winkte dem Auto nach, bis nichts mehr davon zu sehen war.
Es war vorbei.
Hannes war hier durchgeweht wie der Wind durch die Linde, und auch wenn sie vernünftig sein wollte, wenn sie wusste, dass sie sich um ihn keine Sorgen machen musste, wurde ihr das Herz ganz schwer.
Er würde in Australien bleiben. Das hatte er unmissverständlich zu verstehen gegeben. Er würde heiraten, irgendwann Kinder bekommen, und sie würde ihre Enkelkinder nicht aufwachsen sehen können. Die würden nur wissen, dass es da irgendwo in Deutschland Großeltern gab.
Solche Gedanken zerrissen Inge beinahe das Herz, und sie musste sich alle Mühe geben, sich da nicht noch mehr hineinzusteigern.
Nichts war für die Ewigkeit bestimmt.
Hannes war noch so jung, und es konnte sich noch so vieles ändern, und sie befand sich bereits in einer Endzeitstimmung.
Man konnte auch nicht alles haben.
Pamela war wieder daheim, und dafür musste sie froh und dankbar sein. Und das war sie, das war sie wirklich …
*
Es war ja ihr eigener Wunsch gewesen, wieder nach Deutschland zurückzukehren, und sie war auch glücklich. Sie hätte allerdings nicht für möglich gehalten, dass ihr der Abschied von Hannes so schwerfallen würde. Es hatte sie so traurig gemacht, und sie hätte es nicht bis zum Ende ausgehalten, und deswegen war sie froh, jetzt hinauf zu ihrem Freund Manuel radeln zu können. Der wusste noch nichts von ihrer Heimkehr, und der würde Augen machen.
Pamela freute sich so sehr, den Gefährten ihrer glücklichen Kindheit zu treffen, und sie hoffte sehr, da wieder anknüpfen zu können, wie es aufgehört hatte, als sie überstürzt die Heimat verlassen hatte.
Sie waren in Verbindung geblieben, doch die Entfernung war einfach zu groß gewesen, und es hatte ihrer Freundschaft geschadet, die gegenseitigen Nachrichten waren immer spärlicher geworden.
Aber jetzt war sie ja wieder da, und nun wurde alles gut.
Pamela blieb stehen, wischte sich energisch die Tränen weg, die sie wegen Hannes geweint hatte. Sie konnte Manuel nicht wie eine Heulsuse gegenübertreten. Dann atmete sie tief durch, danach war sie bereit, zu ihrem alten Freund zu gehen und konnte nur hoffen, dass er daheim war.
Sie fühlte sich aufgeregt, als sie das Haus erblickte, in dem sie so schöne Zeiten verbracht hatte, und dann kam auch schon das Herrenhaus in Sicht, und die Felsenburg, die sie in Australien bis in ihre Träume verfolgt hatte, thronte eh über allem. Sie war noch viel, viel beeindruckender und geheimnisvoller, als Pamela sie in Erinnerung hatte.
Ja, jetzt war sie wirklich daheim angekommen, ohne die Ruine ging überhaupt nichts, und bei der hatte ihre Freundschaft zu Manuel auch so richtig begonnen.
Pamela wollte in Erinnerungen versinken, als sich am Haus der Münsters etwas tat.
Das Garagentor ging auf, und Manuel schob sein Fahrrad heraus. Zum Glück war er daheim. Pamela merkte, wie ihr Herz zu klopfen begann, er hatte sich ganz schön verändert und war so richtig erwachsen geworden.
Manuel wollte sich auf sein Fahrrad schwingen, als er sie erblickte. Er stutzte, dann warf er sein Fahrrad hin und kam mit langen Schritten auf sie zugelaufen.
»Ich glaube, ich spinne«, schrie er. »Mensch, das gibt es doch nicht.«
Auch sie hatte ihr Fahrrad hingeworfen, sie standen sich gegenüber. In dem Alter war man scheu, umarmte man sich nicht, wie es Erwachsene taten oder zwei Freundinnen, die fielen sich bei allen nur möglichen Gelegenheiten um den Hals. Ab einem gewissen Alter gingen ein Mädchen und ein Junge behutsam miteinander um. Auch wenn sie Freunde waren.
Manuel wollte wissen, seit wann sie wieder daheim war, und er bedauerte zutiefst, Hannes nicht gesehen zu haben, den er seit frühester Kindheit bewunderte.
Die Münsters waren nicht daheim, und auch das Herrenhaus wirkte wie ausgestorben.
»Komm rein«, rief Manuel, »und dann musst du mir alles erzählen. Bleibst du jetzt für immer?«
Sie betraten das Haus, setzten sich, Manuel holte Limonade und Kekse. Es war wie immer, fast schien es, als habe es die lange Zeit der Trennung nie gegeben. Und doch war etwas anders. Es lag etwas in der Luft, zumindest empfand Pamela es so, ganz besonders, nachdem sie noch einmal beteuert hatte, wie froh sie doch sei, wieder daheim zu sein und dass jetzt alles wieder so werden könne wie früher.
Warum guckte Manuel so komisch?
Pamela kam ein furchtbarer Verdacht. Sie wusste von dieser Leonie, die in den Sonnenwinkel gezogen war und mit der Manuel viel Zeit verbrachte.
Hatte dieses Mädchen ihren Platz eingenommen?
Das musste sie jetzt wissen.
»Manuel, bist du jetzt lieber mit dieser Leonie zusammen?«, erkundigte sie sich.
Zum Glück winkte er ab, aber so richtig freuen konnte Pamela sich nicht.
»Die wohnt überhaupt nicht mehr hier, sondern in der Schweiz, und sie heißt auch nicht Leonie, sondern Claire, und die ist bei einer Frau aufgewachsen, die überhaupt nicht ihre Mutter war, man hat sie als Baby geklaut, und das ist erst jetzt herausgekommen. Das ist voll krass, oder?«
Was redete er da?
Wollte er sie mit dieser Geschichte beeindrucken?
»Manuel, das finde ich nicht komisch. Warum erzählst du mir eine so abenteuerliche Geschichte?«
Er begann zu lachen, klar, wenn man das nicht erlebt hatte, musste man auf solche Gedanken kommen.
»Sorry, es stimmt wirklich«, sagte er, und dann erzählte er seiner Jugendfreundin die ganze Geschichte. Und auch wenn es für dieses Mädchen schrecklich gewesen sein musste zu erfahren, dass die Mutter nicht wirklich die Mutter war, so atmete Pamela doch insgeheim erleichtert auf.
Die Konkurrentin war weg!
Sie war nicht böse darum.
Sie heuchelte ein wenig Mitleid, dann sagte sie: »Dann kann es für uns ja wieder so werden wie damals, ehe ich nach Australien ging.«
Warum