Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 4 – Familienroman. Michaela Dornberg
nicht leid.«
Oh Gott, fing das wieder an?
»Ja, Sandra, ich bin froh, ich habe alles nicht geliebt, es war für mich eher eine Last, und ich habe mich hier nicht wohlgefühlt, ich kam mir immer wie ein Eindringling vor. Es kann ja sein, dass es anders gewesen wäre, hätten wir den Besitz schon zu Lebzeiten deines Großvaters kennengelernt. Und wenn ich …«
Marianne brach ihren Satz ab.
»Sandra, komm, lass es gut sein, wir müssen uns nicht gegenseitig von unseren Meinungen überzeugen. Da du ja jetzt deinen Gehgips hast, sollen wir im Park einen kleinen Spaziergang machen? Wir können aber auch unten in der Cafeteria etwas trinken. Vorhin, als ich kam, haben sie sehr leckeren Kuchen hineingetragen. Darauf hätte ich jetzt Lust.«
Eigentlich wäre Sandra jetzt am liebsten allein gewesen, um alles noch einmal zu überdenken. Doch sie wusste, dass man sich da sehr schnell im Kreis drehen konnte und man dadurch alles sehr viel schlimmer machen konnte.
»Eine gute Idee, Mama, machen wir doch beides. Du kannst aussuchen, womit wir anfangen.«
Insgeheim atmete Marianne erleichtert auf.
»Gut, dann gehen wir zuerst in die Cafeteria, und hinterher trainieren wir ein paar von den Kalorien ab und gehen in den Park.«
Marianne von Rieding war ihrer Tochter behilflich, aus dem Bett zu steigen, dann reichte sie ihr eine leichte Jacke. Der Sonnenschein draußen war trügerisch, im Schatten war es kühl, und erkälten durfte Sandra sich jetzt nicht auch noch.
Gemeinsam verließen sie das Krankenzimmer.
Marianne nahm vorsichtshalber einen der leichten fahrbaren Krankenstühle mit. Für alle Fälle. Sandras Kondition war noch nicht gut, was auch kein Wunder war. Der Aufenthalt in dem wirklich gut angelegten Park des Krankenhauses würde ihr guttun und sie auf andere Gedanken bringen.
Sandra stand sich so oft selbst im Wege, und sie tat sich, ganz im Gegensatz zu ihr, schwer mit Veränderungen, das war schon immer so gewesen. Schon als Schulmädchen, welche Ängste hatte sie ausgestanden, als der Schulwechsel von der Grundschule zum Gymnasium anstand. Deswegen war schwer zu verstehen, dass sie eine riskante Autofahrerin war, die sich am Tempo berauschte und da alle Vorsicht und Besonnenheit vergaß.
Tja, jeder Mensch tickte anders.
Manches war für Marianne nicht nachvollziehbar, musste es auch nicht sein. Jeder Mensch hatte für alles seine Gründe. Eines allerdings wusste sie, weil sie ihre Tochter in dieser Hinsicht kannte. Irgendwann würde Sandra froh und erleichtert sein, wenn die schwarzen Wolken der Vergangenheit, die jetzt noch drohend über ihr lasteten, sich verzogen hatten.
*
Dr. Roberta Steinfeld war froh, ihren Beruf zu haben, in dem sie ihre Erfüllung fand, den sie über alles liebte und der sie täglich forderte. Vermutlich hätte sie sonst das heulende Elend bekommen. Etwas, was sie niemals für möglich gehalten hätte. Doch nicht sie.
Ihre Liebe zu Lars Magnusson ließ sich nicht mit dem Verstand erklären, das war Gefühl pur, das waren Faszination und Magie. Ja, so war es. Seit sich Lars still und leise in ihr Leben, in ihr Herz geschlichen hatte, war alles anders geworden, und sie konnte über sich nur selbst staunen.
Bei dem Gedanken an ihn bekam ihr Gesicht einen schwärmerischen Ausdruck, allerdings zeigte sich auch eine leise Spur von Wehmut. Sie würden jetzt erst einmal für eine Weile getrennt sein, und es war nicht abzusehen, wann er zurückkommen würde.
Für jemanden, der liebte, waren es schreckliche Gedanken, und eigentlich konnte sie sich nur damit trösten, welch wundervolle Stunden sie miteinander verbracht hatten, davon konnte man eine Weile zehren. Ja, so wundervoll, so magisch war es gewesen. Leider war die Zeit viel zu schnell vergangen. So war es immer, erlebte man unangenehme Dinge, glaubte man, die Zeit bliebe stehen, waren es beglückende Augenblicke, dann raste die Zeit nur so dahin.
Roberta hatte Lars ja zum Flughafen bringen wollen, doch jetzt war sie froh, dass er darauf bestanden hatte, allein zu fahren, weil er Abschiede in vollen Abflughallen hasste.
So hatte es einen liebevollen, innigen Abschied gegeben, nur sie, keine neugierigen Zuschauer. Und Lars war längst schon gegangen, als sie noch immer in dem kleinen Haus am See weilte. Sie konnte sich nicht trennen. Seine Gegenwart war noch so präsent gewesen, und das hatte sie genießen wollen.
Und dann hatte sie ihn gefunden, den Brief, den er ihr noch geschrieben hatte.
Roberta griff in ihre Jackentasche, holte den Brief hervor, der längst deutliche Gebrauchsspuren aufwies, der zerknittert war, weil sie ihn immer bei sich trug und bereits gefühlte unzählige Male gelesen hatte.
Sie faltete das Blatt auseinander, sah seine markante, ausdrucksstarke Schrift.
Meine Liebste, auch wenn wir uns nicht sehen, so bist Du doch immer bei mir, in meinen Gedanken, mehr noch in meinem Herzen. Ich genieße das Wunder unserer Liebe und bin unendlich dankbar dafür, Dich gefunden zu haben.
In ewiger Liebe, Dein Lars.
Es waren wenige Worte, doch die gingen zu Herzen, und sie waren wahr. Lars war der aufrichtigste Mensch, dem sie je in ihrem Leben begegnet war.
Er würde kommen und gehen, das hatte er ihr von Anfang an klargemacht. Und sie hatte keine andere Wahl als es zu akzeptieren. Man konnte nicht alles haben, manchmal musste man einen Teil seiner Träume begraben.
Roberta betrat ihre Praxisräume, Ursel Hellenbrink war bereits da, wirbelte herum.
»Guten Morgen, Frau Doktor«, sagte sie, »Frau Schiffer ist ohne Anmeldung hier, sie hat diffuse Schmerzen im Oberbauch. Ist es in Ordnung für Sie, sie schnell dranzunehmen?«
Es war für Roberta in Ordnung. Der eigentlich Praxisbeginn war in zwanzig Minuten, also konnte niemand herummeckern, es wurde keiner benachteiligt.
So sehr Roberta ihren Lars auch liebte, so gern sie an ihn dachte. Ihr Privatleben musste augenblicklich hintenan geschoben werden, denn jetzt zählten nur noch ihre Patienten, und selbst an den Zettel, den sie immer bei sich trug, durfte sie jetzt nicht denken.
»Also dann, schicken Sie mir bitte Frau Schiffer in mein Zimmer«, sagte Roberta.
Jetzt war sie nur noch die Ärztin, die auf das Wohl ihrer Patienten bedacht war.
Die Patientin kam herein, Frau Schiffer war eine äußerst sympathische Frau, die es allerdings mit ihrer Ernährung nicht so genau nahm, da oftmals über die Stränge schlug.
Roberta begrüßte ihre Patientin.
»Frau Doktor, ich habe Angst, einen Herzinfarkt zu haben.«
Roberta beruhigte die Patientin. »Wo genau sitzt der Schmerz, Frau Schiffer? In der rechten Hälfte des Oberbauches oder in der linken.«
Der Schmerz saß in der rechten Hälfte, und nun erklärte Roberta ihr, dass sich in dem rechten Oberbauch die Leber befanden, dahinter und darüber die Gallenblase, der obere rechte Teil des Dickdarms, die Bauchspeicheldrüse.
»Jede Beeinträchtigung dieser Organe kann Schmerzen verursachen, die sich vor allem in der rechten oberen Ecke des Bauches und unter dem Brustkorb bemerkbar machen.«
Roberta blickte ihre Patientin an. »Es ist kein Herzinfarkt, Frau Doktor, nicht wahr? Bei mir kommen die Schmerzen von der Gallenblase, und da muss ich leider gestehen, dass ich unvernünftig war. Ich habe ein Eisbein gegessen, mit all dem Fett, das reichlich dran war. Aber es schmeckt halt so gut. Ich dachte, einmal ist keinmal und habe mich darüber hinweggesetzt, dass Sie mir eingetrichtert haben, dass ich bei der Gallenblasenentzündung, die Sie bei mir diagnostiziert haben, auf eine strenge Fettreduzierung achten muss.«
Frau Schiffer warf Roberta einen treuherzigen Blick zu.
»Es tut mir ja so leid, aber ich dachte nicht, dass ein Eisbein solche Folgen haben kann.«
Roberta sagte nichts, sie hörte vorsichtshalber die Patientin ab, stellte den Blutdruck fest, der war auch zu hoch, besonders der diastolische,