Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 4 – Familienroman. Michaela Dornberg
in diesem Augenblick brachte die Bedienung einen köstlichen Antipasti-Teller als Vorspeise. Der war im ›Seeblick‹ besonders gut, und deshalb bestellten sie den auch immer. Warum Experimente machen?
Sie waren wieder allein.
Sie schwiegen.
Doch Sandra wollte sein Angebot ergreifen, sie griff danach wie nach einem Strohhalm, und dann brach es aus ihr heraus. Sie sagte ihm, wie schlecht sie sich fühlte, wie sehr sie ihn liebte, welch große Angst sie hatte, von ihm verlassen zu werden.
»Felix, ich möchte meinen Weg weitergehen mit dir, und ja, wie gern würde ich alles zurücklassen, was nicht gut für uns, für unsere Beziehung ist. Ich kann es schaffen, wenn du mir dabei hilfst.«
Er blickte sie zärtlich an.
»Sandra, Liebes«, zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten nannte er sie wieder so, und das überwältigte sie. »Wir müssen uns gegenseitig helfen. Ich brauche deine Hilfe ebenso wie du meine.«
Welch ein Glück, dass sie in den ›Seeblick‹ gegangen waren, zu Hause wären sie sich weiterhin verbindlich freundlich begegnet, und die Mauer zwischen ihnen wäre immer höher geworden.
Und nun schien plötzlich alles so einfach!
Sie mussten einander wirklich verzeihen, das war der richtige Weg, aber auf dem Hintergrund ihrer Liebe konnten sie den beschreiten.
Als Nächstes aßen Sandra und Felix eine köstliche Edelfischplatte, für die der ›Seeblick‹ ebenfalls berühmt war. Es waren, weiß Gott, keine Fische aus dem Sternsee, doch alles war so frisch, dass man sich fragte, wie Roberto Andoni es schaffte, seinen Gästen das Gefühl zu vermitteln, alles sei gerade erst vor der Haustür geangelt worden. Zu diesen Köstlichkeiten aus dem Wasser gab es ein Steinpilzrisotto.
Dazu tranken sie einen herrlichen Wein aus der Toscana, der alles abrundete.
War es der Wein, der sie locker machte, oder lag es daran, dass sie endlich ausgesprochen hatten, dass sie zueinander gehörten, dass sie ohne einander nicht sein wollten?
Felix und Sandra unterhielten sich beinahe wie in alten Zeiten, und sie konnten, was auch seit gefühlten Ewigkeiten nicht vorgekommen war, miteinander lachen. Ja, das konnten sie wirklich. Auf ganz leisen Sohlen begann sich die alte zärtliche Vertrautheit in ihre Herzen zu schleichen.
Welch wundervoller Abend! Jetzt mussten sie sich nur noch auf den Nachtisch freuen, und auch da mussten sie nicht überlegen, da wählten sie immer die ›Überraschung des Hauses‹, die jedes Mal anders war, aber von der man niemals enttäuscht wurde.
Felix hielt ihre Hand, und Sandra fühlte sich so unendlich wohl. Müsste sie diesen Abend auf einer Skala von eins bis zehn bewerten, das ginge überhaupt nicht. Sie würde ganz spontan mindestens die Zahl zwanzig wählen, wenn nicht sogar noch mehr.
Am Himmel ihrer neu entdeckten Zärtlichkeit, ihrer Nähe zueinander zeigte sich nicht das allerkleinste Wölkchen.
Sandra gab sich dieser zärtlichen Stimmung hin, als eine Unruhe im vorderen Bereich des Restaurants sie aufschrecken ließ.
Was war da auf einmal los?
Neugierig blickte Sandra dorthin, und dann erstarrte sie. Alle Farbe wich ihr aus dem Gesicht, ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie hätte mit allem gerechnet, damit allerdings nicht.
Wahrscheinlich auf Wunsch von Stammgästen war Susanne ins Restaurant gekommen, die Frau des Besitzers, und auf dem Arm hielt sie die kleine Valentina, die gemeinsame kleine Tochter, die fröhlich im Gesicht ihrer Mutter herumpatschte. Es war ein zu Herzen gehendes Bild. Vermutlich für jeden hier anwesenden Gast. Sandra brach es beinahe das Herz, der Anblick dieses entzückenden, fröhlichen Babys war für sie nicht zu ertragen.
Bilder schoben sich in ihre Gedanken. Sie sah sich und ihr Baby, das ja leider ihretwegen das Licht der Welt nicht erblicken durfte.
Die Schuldgefühle waren wieder da. Sie fielen sie an wie eine Horde wilder, reißender Tiere.
Es war unerträglich!
Sandra wurde abwechselnd rot und blass, sie begann, nach Luft zu schnappen, Sie konnte nicht mehr! Sie sprang von ihrem Stuhl auf, so heftig, dass das Glas umfiel. Der Wein floss auf die blütenweiße Tischdecke, hinterließ dort hässliche Flecken. Das bemerkte sie nicht einmal. Sie rannte, als sei der Leibhaftige hinter ihr her, aus dem Restaurant, nur weg von hier, von diesem seelenvollen Mutter-Kind-Bild. Das war unerträglich. Und es machte Sandra auch überhaupt nichts aus, dass man ihr irritiert hinterherblickte. Sie bekam es nicht einmal mit, dabei achtete sie doch sonst so darauf, was die Leute von ihr dachten.
Felix Münster brauchte einen Moment, um das zu begreifen, was sich da gerade ereignet hatte. Dann legte er einen größeren Geldschein auf den Tisch und folgte seiner Frau.
Draußen konnte er Sandra zunächst nicht finden. Aufgeregt begann er vom Parkplatz zu der Terrasse zu laufen, die im Sommer stark frequentiert war, weil man von hier aus einen unvergleichlichen Blick auf den Sternsee hatte.
Er atmete erleichtert auf, als er sie am Terrassengeländer bemerkte, eine kleine, verloren wirkende Gestalt.
Mit wenigen Schritten war er bei ihr, zögerte einen Augenblick, dann nahm er sie ganz behutsam in seine Arme.
Seine Nähe, seine Fürsorglichkeit lösten die Starre in Sandra, sie begann hemmungslos zu schluchzen. Felix sagte nichts, sondern streichelte beruhigend ihren Rücken.
Hier draußen war es unvergleichlich schön. Der Vollmond hing wie eine pralle helle Scheibe am nachtdunklen Himmel. Sein fahles Licht zauberte gespenstische Schatten auf den tiefdunklen See, dessen Wellen sich leicht kräuselten.
Eine verirrte Möwe flog beinahe lautlos über sie hinweg.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Sandra sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
Sie blickte Felix an, ihr Gesicht war tränennass, und sie wirkte so verloren, dass es ihn rührte.
»Tut mir leid«, sagte sie mit bebender Stimme, »aber ich konnte nicht mehr, als ich Frau Andoni mit dem Baby auf dem Arm sah.«
Er wischte ihr die Tränen weg.
»Sandra, Liebes, es wird immer irgendwo ein Baby geben, du kannst nicht jedes Mal davonlaufen.«
Sie bekam ein schlechtes Gewissen. Natürlich stimmte, was er sagte, aber in solchen Augenblicken ist man doch nicht vernünftig, da reagiert man impulsiv. Sie wollte etwas zu ihrer Rechtfertigung sagen, doch Sandra brachte kein einziges Wort über ihre Lippen. Sie wagte einen erneuten vorsichtigen Blick in seine Richtung. War er jetzt sauer auf sie? Hatte sie durch ihren spontanen Aufbruch das zarte Pflänzchen der Hoffnung wieder zerstört?
Felix nahm sie erneut in seine Arme, presste sie ganz fest an sich, dann berührten seine Lippen ihr seidenweiches Haar.
»Ich …, ich … gehe da nicht wieder hinein«, flüsterte sie mit bebender Stimme. »Ich … kann es nicht …, noch nicht. Ich meine, es wird eine Weile dauern, bis ich mir Babys ansehen kann, ohne davonzulaufen. Verstehst du das, Felix?«
Er streichelte sie.
»Du musst nicht mehr hineingehen, ich habe bezahlt, wir können jetzt nach Hause fahren, und ja, ich versuche, dich zu verstehen, und ich werde dir helfen, meine Liebe. Haben wir vorhin nicht beschlossen, unseren Weg gemeinsam zu gehen? Das bedeutet, auch das Leid gemeinsam zu tragen. Dass Frau Andoni mit dem Baby hereinkam, damit war nicht zu rechnen. Nur, Sandra, davonlaufen, das macht es nicht einfacher.«
Natürlich nicht, Männer hatten eine andere Sicht auf alles, sie reagierten nicht so emotional wie Frauen. Insgeheim atmete Sandra erleichtert auf. Es tat ihr leid, dass sie den Abend verdorben hatte, der so schön begonnen hatte. Aber zumindest war Felix jetzt nicht sauer auf sie. Sie schmiegte sich eng an ihn, und dann murmelte sie: »Danke, Felix.«
Er fragte sie jetzt nicht, wofür sie sich bedankte. Seine Arme umschlossen sie fester, und für kurze Zeit gaben sie sich dem Zauber des kalten Mondes hin, der auf alles seine bizarren