Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
doch hat er sie nicht ein einziges Mal mit jener Leidenschaft in die Arme genommen wie einst Maria.
– Warum kann ich das nicht? –
»Verzeihung!« stammelt er, als Charlotte ihm nochmals von der Ausfahrt erzählt. »Ich – mir – geht so allerlei durch den Kopf. – Also in den Zoo willst du mit den Kindern fahren? Schade. Ich erwarte nämlich heute nachmittag die Herren von der Zitril AG. Es handelt sich um einen bedeutenden Abschluß. Ich wollte dich eigentlich bitten, bei dieser Verhandlung zugegen zu sein. Du weißt, ich habe mich so sehr an dein Urteil gewöhnt, daß ich es schwer entbehren kann.«
Sein Auge ruht mit Wohlgefallen auf ihrem ebenmäßigen Gesicht, das jäh errötet. Er findet dieses Erröten, das sie beinahe mädchenhaft erscheinen läßt, sehr reizvoll.
»Aber das ist doch nicht schlimm, Bernd. Oma fährt mit den Kindern voraus. Ich gehe mit dir und komme später nach. Vielleicht kannst du auch noch nachkommen?« spricht sie lebhaft.
So fährt Charlotte nach dem Kaffee, der im Anschluß an die Mahlzeit eingenommen wird, an ihres Mannes Seite in die Fabrik. »Sind die Herren von der Zitril AG da?« fragt Bernd die Sekretärin, und als diese verneint, zieht er sich mit Charlotte in sein Arbeitszimmer zurück.
»Du kannst inzwischen die Berichte durchlesen, Charlotte«, wendet Bernd sich an die junge Frau und schiebt ihr die Mappe hin.
»Ich war eigentlich lange nicht hier.« Charlotte sieht sich mit hellen Augen in dem Raume um, der für sie beide sehr viele gemeinsame Erinnerungen birgt. Sie geht zu dem breiten Fenster, schiebt den Vorhang zur Seite und blickt interessiert auf den Fabrikhof, auf dem es äußerst lebhaft zugeht.
Lautlos tritt Bernd hinter sie und legt den Arm um ihre Schulter. In einem Gefühl der Zugehörigkeit lehnt sie sich an ihn. »Ich habe dir viel, unendlich viel zu danken«, sagt er. Es klingt beinahe feierlich.
»Nichts hast du mir zu danken, Bernd.« Voll schlägt sie die Augen zu ihm auf, diese tiefgründigen Augen mit den dunklen seidigen Wimpern. »Jeden Tag danke ich meinem Herrgott, daß ich so glücklich sein darf. Beinahe kommt es mir vermessen vor. Weißt du, Bernd, mitunter glaube ich, in einer Traumwelt zu leben, so als würde ich eines Tages jäh herausgerissen werden aus all meinem Glück und müßte in Not und Verzweiflung erwachen.«
»Mein Gott, Charlotte, was für Worte!« Er lächelt nachsichtig. »Du bist ein besonders gutes Menschenkind und überaus dankbar. Kommen dir denn nicht auch einmal Gedanken, daß du gibst, immer nur gibst, und dabei noch von Herzen froh bist, schenken zu dürfen? – Seltsam, Charlotte!« Über ihren Kopf hinweg schweift sein Blick in unbekannte Fernen. »Niemals hätte ich es für möglich gehalten, mein Herz nochmals einer Frau erschließen zu können. Und nun ist es doch geschehen.«
Charlotte wagt nicht, sich zu rühren. Ganz still ruht ihr Kopf an seiner Schulter. Sie hat dabei das Gefühl, als könne sie bei der leisesten Bewegung das Glück verscheuchen, das sich ihr naht und sie in Wonne erbeben läßt.
Warmen Blickes schaut er auf ihren geneigten Kopf hinab und fährt, von einer weichen Stimmung erfaßt, fort: »Du hast nichts unternommen, dir diese Liebe zu erringen. – Oder doch, Charlotte – denn du hast mit echt fraulicher Zurückhaltung und Zartheit dein Herz mir zugewandt. Ich habe, zuerst kaum merklich, dann immer stärker dein Walten um mich empfunden, und damit hast du mein Herz gewonnen.«
Charlotte hat die Augen geschlossen. Tiefe Blässe bedeckt ihr schmales Gesicht, unter den dichten Wimpern drängen Tränen hervor.
»Charlotte – du weinst?« Er ist überrascht und erschrocken zugleich. »Bist du erzürnt, mich so sprechen zu hören?«
Sie schüttelte den Kopf. Bis zum Halse hinauf spürt sie den Schlag ihres Herzens. Sein Geständnis, so zaghaft es auch hervorgebracht und so heiß es von ihr ersehnt wurde – es nimmt ihr die Fassung. »Sei mir nicht böse, Bernd, aber mir tut das Herz weh, weil – weil ich mich so sehr freue. Ich habe wirklich nichts für mich gewünscht, als ich damals einwilligte, deine Frau zu werden. Nur helfen wollte ich dir, das Leid der Vergangenheit zu vergessen. – Doch ich habe als Frau auch törichte Wünsche in mir getragen, ohne jedoch auf deren Erfüllung zu hoffen. Lebenskameradin wollte ich dir sein und deinen Kindern eine gute Mutter. – Weißt du auch, daß ich erst jetzt deine Frau geworden bin?«
Er legt den Arm fester um sie. »Nun sind wir beide doch noch glücklich geworden, Charlotte!«
»Du bist wirklich glücklich, Bernd?«
Er lächelt weich. »Ja, Charlotte.«
Sie schauert zusammen. Und während sie seine kräftige Hand nimmt und sie sanft streichelt, sagt sie langsam, stockend: »Wie merkwürdig das alles ist, und wie falsch man doch seine Berechnungen anstellt! Ich habe immer gedacht, du würdest erst dann restlos zu mir finden, wenn – wenn –«
Zarte Röte ergießt sich über ihr Gesicht. Sie zögert weiterzusprechen und weicht seinem forschenden Blick aus.
»Warum sprichst du nicht weiter?«
Charlotte hebt den Blick wieder, und in ihren Augen schimmern Glückstränen. »Ach, es ist nun nicht mehr nötig, daß du es erfährst.«
»Doch, es ist nötig, Charlotte. Alles will ich wissen, worüber du dir Gedanken machst«, drängt er.
»Ich habe mir gewünscht, daß du restlos zu mir finden solltest, wenn ich dir eines Tages den Erben geben würde. – Ob aber dieses Mutterglück wohl jemals zu mir kommt?«
Bernd nimmt ihr Gesicht zwischen seine Hände und küßt sie zart auf die geschlossenen Augen. »Warum sollst du nicht Mutter werden – gerade du, die du die schönsten Eigenschaften einer Mutter hast?«
Innig lehnt sie sich an ihn. Sie schweigen und fühlen beide, daß diese Stunde mit ihrem stillen Glück die letzten Schatten verdrängt hat, die noch zwischen ihnen standen.
Nach einigen Minuten werden sie durch die Sekretärin aus ihren Gedanken gerissen.
»Die Herren von der Zitril AG sind soeben gekommen. Ich habe sie in das Empfangszimmer geführt.«
Die Besucher sind nicht wenig überrascht, als sie in der schönen blonden Frau die Gattin des Fabrikanten kennenlernen.
»Meine Frau ist meine treueste Mitarbeiterin«, erklärt Bernd nicht ohne Stolz.
Dann nehmen sie um den runden Tisch Platz. Die Verhandlung dehnt sich über zwei Stunden aus. Charlotte zeigt keinerlei Ermüdung oder Teilnahmslosigkeit. Alles, was mit dem Werk zusammenhängt, weckt ihr Interesse.
»Vielleicht können wir heute abend bei einem Glas Wein noch einmal abschließend über die Angelegenheiten sprechen?« schlägt Doktor Hellberg vor und blickt dabei erwartungsvoll auf die schöne Frau, die kühl und zurückhaltend in ihrem Sessel lehnt.
Bernd wechselt schnell einen Blick mit Charlotte.
Diese lächelt liebenswürdig. »Darf ich einen Vorschlag machen?«
»Wir laden Sie zu einem bescheidenen Abendbrot in unser Haus ein. Dort plaudert es sich am gemütlichsten und ungezwungensten.«
Höflich verneigt man sich allerseits. Um Bernds Mund spielt ein Lächeln. – Er hat noch gar nicht gewußt, wie unwiderstehlich Charlotte sein kann.
Charlotte erhebt sich. »Bitte, entschuldigen Sie mich. Meine Kinder erwarten mich nämlich seit zwei Stunden im Zoo.« Ihre Augen leuchten auf. »Man soll Kindern nie etwas versprechen, wenn man es nicht halten kann.«
Während Bernd Imhoff die Herren durch den Betrieb führt, steuert Charlotte ihren Wagen dem Innern der Stadt zu. Die Augen starr auf die Fahrbahn gerichtet, sinnt sie glückstrunken vor sich hin. Wenn sie doch allen Menschen sagen dürfte, wie wundersam ihr zumute ist! Wenn sie doch die Arme ausbreiten und die ganze Welt umarmen dürfte!
*
Frühling und Sommer, Herbst und Winter wechseln nach ewig gleichbleibenden Naturgesetzen einander ab. Sie vertiefen das Glück, das langsam, aber um so inniger, zu Bernd