Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
»Wofür danken?« unterbricht sie ihn erstaunt.
»Für – für Ihre selbstlose Güte.« Er stockt, ist zum ersten Male ihren klaren tiefblauen Augen gegenüber verlegen. »Ich wollte Sie noch um eines bitten«, lenkt er schnell ab, da er einen abweisenden Zug um ihren schönen Mund bemerkt.
»Bitte, sprechen Sie, Bernd«, ermuntert sie ihn. Ihre Blicke schweifen ab und heften sich abwartend auf die vor ihr liegenden Akten. Sie will Gelassenheit vortäuschen, während das unruhige Spiel ihrer Hände ihre innere Unruhe verrät.
Lächelnd beobachtet er ihre Verlegenheit. »Ich möchte Sie bitten, Ihre Besuche in meinem Hause wieder aufzunehmen, meine Mutter vermißt Sie schmerzlich.«
Sekundenlang schließt Charlotte die Augen. Sie glaubt nicht, sich genügend beherrschen zu können. Mit wie großer Freude erfüllt sie seine Bitte!
Bernd wartet geduldig auf ihre Antwort. Als diese jedoch ausbleibt, dreht er sie zu sich herum und sieht – ihre Augen schwimmen in Tränen. »Charlotte!« ruft er entsetzt. »Habe ich Ihnen Anlaß zum Weinen gegeben?«
Sie senkt den Kopf, um ihre Tränen vor ihm zu verbergen, und in Ermangelung eines Taschentuches fährt sie sich rasch mit dem Handrücken über die Augen. Es ist eine verlegene, hilflose Bewegung, die ihn seltsam berührt.
Dann kommt ihm mit einem Male die Erkenntnis. »Sie haben unter meiner Härte gelitten, Charlotte?« fragt er weich.
Das junge Mädchen schüttelt verneinend den Kopf.
»So wenig habe ich es verstanden, mir Ihr Vertrauen zu erwerben?« fragt Bernd eindringlich weiter.
»Vertrauen?« Sie hebt den Blick zu ihm auf. Wie Perlen glänzen die Tränen an den dunklen Wimpern. –
»Mein Vertrauen genießen Sie nach wie vor, Bernd. Ich wollte Ihnen nur nicht lästig fallen. Ich leide nur darunter, daß Ihnen meine Freundschaft so gleichgültig ist.«
Ohne Absicht liegt ein gewisser Vorwurf in ihren Worten, von dem Bernd sich schwer getroffen fühlt. Und daß er sich nicht davon befreien kann, bedrückt ihn.
»Das dürfen Sie nie wieder sagen, Charlotte«, antwortet er traurig, den Arm noch fester um ihre Schultern legend. »Ich schätze Ihre Freundschaft sehr hoch ein. Was mich die ganze Zeit beinahe elend gemacht hat, kann ich Ihnen im Augenblick nicht verraten; doch einmal werden Sie es erfahren. Wollen Sie mit mir undankbarem Menschen also noch ein wenig Geduld haben?«
Charlotte ist vor Glück die Kehle wie zugeschnürt. Sie vermag nur zu nicken.
»Werden Sie während meiner Abwesenheit zu meiner Mutter – und – zu den Kindern gehen?« fragt er in ungewöhnlich sanftem, bittendem Ton. »Sie werden dort sehnsüchtig erwartet.«
Da bricht aus ihren Augen ein warmer Strahl. »Ja, ich will. Wenn Sie wüßten, wie sehr ich auf diese Einladung gewartet habe –« Charlotte hält inne, denn sie fühlt, daß sie ihm mit solchen Worten nur weh tut.
»Sie halten mich wirklich nicht für undankbar?« forscht er.
Charlotte glaubt etwas wie Bangen aus seinen Worten herauszuhören. Sie lächelt weich und nachgiebig. »Nein, wirklich nicht, Bernd.«
Tief aufatmend tritt er von ihr zurück. Das darauffolgende, etwas peinliche Schweigen überbrückt Charlotte taktvoll:
»Ich wünsche Ihnen Glück auf Ihrer Reise.«
Betroffen starrt er sie an. – Weiß sie denn um den Zweck seiner Reise? – Ach, nein! Wie mißtrauisch er geworden ist! Was er auf dem Grunde dieser klaren Augen erblickt, ist rückhaltlose Offenheit, gläubiges Vertrauen.
»Danke!« entgegnet er beinahe schroff. Doch sofort bereut er es und setzt hinzu: »Ich wollte, ich bräuchte diese Reise nicht zu unternehmen.«
Mitleidig blickt sie ihm ins Gesicht. Der Zug von Trauer um seinen Mund entgeht ihr nicht.
*
Der Himmel ist verschleiert, während Bernds Auto über die Autobahn rast.
Wieder einmal steht sein Inneres in heller Aufruhr. Das trübe Wetter paßt so recht zu seiner Stimmung, und daß der Wind um seine Ohren braust, tut ihm wohl.
Als Bernd den schmalen, steilen, gewundenen Pfad zum »Haus am Berg« hinansteigt, ist es bereits völlig dunkel.
Das Hausmädchen Liesel öffnet ihm die Tür. »Der Herr Imhoff!« ruft sie erschrocken.
»Sind meine Schwiegereltern noch wach, Liesel?«
»Ja, kommen Sie nur herein!«
Bernd bleibt noch ein paar Minuten an der Tür stehen. Es hat sich nichts geändert. Hier herrscht noch immer die alte warme Behaglichkeit und erfüllt den ganzen Raum. – Und doch liegt in diesem scheinbaren Frieden etwas Ruheloses.
»Guten Abend.«
Die beiden alten Leute fahren überrascht herum. Ihre Abendbeschäftigung und wohl auch ihre grüblerischen Gedanken haben sie Bernds Kommen überhören lassen.
»Bernd – du?« Hermann Möckel kommt Bernd entgegen, er geht gebeugt. Viele Fältchen liegen um seine Augen, sein Haar glänzt im Lampenlicht wie Silber. »Es ist – es ist doch hoffentlich nichts geschehen?«
»Grüß Gott, Vater!« sagt er herzlich und schüttelt die welke Hand des alten Herrn. Dann steht er neben der noch fassungslosen alten Dame. »Grüß Gott, Mutter!«
Frau Sophie zieht ihn an den Tisch, nötigt ihn in den altmodischen Lehnstuhl.
»Ich war bei Maria«, sagt er unvermittelt.
Endlich ist es heraus. Bernd lehnt sich im Sessel zurück. Die Blicke der beiden Alten hängen voller Angst und Bangen an seinem Mund. Viel zu lange dauert ihnen sein Zögern.
Jetzt kommt es ernst und inhaltsschwer aus seinem Munde: »Marias Zustand ist unverändert.«
Alles wollen sie wissen. Bernd berichtet mit schwerem Herzen. Er geht schonend mit ihnen um, und doch ist sein Bericht voller Traurigkeit.
»Und nun willst du von uns einen Rat haben«, fragt Frau Sophie leise, nachdem Bernd mit seinem stockenden Bericht zu Ende gekommen ist.
»Ja, Mutter.«
»Du mußt wieder heiraten, Bernd«, sagt sie.
»Mutter!« Erschüttert beugt Bernd sich über die zitternden Altfrauenhände. Frau Sophies Worte nehmen ihm die letzte Hoffnung auf einen Ausweg. »Dann werde auch ich mich der Vernunft beugen«, sagt er mit seltsam harter Stimme.
»Nicht so, Bernd!« bittet Frau Sophie traurig. »Es gibt einen Menschen, dem steht dein Glück höher als das eigene; es gibt einen Menschen, der würde deine und Marias Kinder lieben, als wären es die eigenen.«
Betroffen weicht er zurück. »Mutter – kennst – du –?«
Sie unterbricht ihn rasch: »Charlotte Doehner wird dir eine gute Frau und deinen Kindern eine gute Mutter sein. Stände Maria an deiner Stelle, sie würde dir das gleiche raten; auch ihr stand dein Glück höher als das ihrige, ja, dein Glück stand über all ihrem Tun und Lassen.«
»Mutter!« Bernds Stimme klingt heiser. Er legt aufstöhnend das Gesicht in die Hände. So sitzt er lange da, und die beiden Alten stören seinen harten Gewissenskampf nicht.
Über Bernds geneigtem Kopf hinweg finden sich beider Blicke und ein stilles Übereinkommen liegt in ihren Augen.
Maria können sie mit all ihrer Liebe nicht wieder gesund machen, aber Bernds kranke Seele kann Genesung finden.
*
Wochen sind vergangen. Charlotte ist häufig Gast in der »Villa Maria« gewesen. Das Band innigen Verstehens und der Liebe schlingt sich immer fester um sie und die Kinder. Glücklich allein sind dabei jedoch nur die Kinder und Frau Hanna Imhoff.
Bernd schließt sich von diesem traulichen