Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
legt schützend den Arm um ihre zarten Schultern. – Wenn er diesem gläubigen Frauenherzen doch diesen größten Schmerz ersparen könnte! Er ist innerlich sehr erregt und muß sich doch beherrschen. Maria Imhoff ist eine gute Beobachterin. Sie muß unbedingt ahnungslos bleiben. Deshalb sagt er: »So ist es. Sie sind vollauf gesund und können zu jeder Stunde heimkehren. Wollen Sie Ihrem Gatten selber schreiben?«
»Wird er auch nicht erschrecken?« zögert Maria.
»Erschrecken, wenn Ihre schwere Krankheit überwunden ist?« fragt der Professor zurück.
»Gut, ich werde schreiben.« Marias Gesicht ist vom Glück überstrahlt. »Sie haben mit meinem Mann Briefe gewechselt, bitte, erzählen Sie mir darüber.«
Größte Verlegenheit spiegelt sich in seinen Zügen; doch Maria ist mit ihrem Denken, Wünschen und Hoffen so sehr beschäftigt, daß sie nicht darauf achtet.
»Von sich hat er wenig berichtet.«
Maria ist enttäuscht. Sie schlägt die Hände zusammen und legt sie an ihre Wange; dabei hält sie den Kopf zur Seite geneigt, und ihr Mund lächelt sehnsuchtsvoll. »Herr Professor, in mir ist ein Singen und Klingen, ich sehne mich unsagbar nach meinem Mann und meinen Kindern! Können Sie das verstehen?«
»Ja, das kann ich wohl verstehen«, antwortet er bedeutungsvoll.
Sie verstummt und zieht den Arm aus dem ihres Begleiters. »Sie haben mir noch nicht einmal gesagt, wie lange ich krank war«, dringt sie in ihn.
Professor Holzer wischt sich den Schweiß von der Stirn. – Sie kommt ja der Wahrheit immer näher! Was soll ich tun? Soll ich lügen – aus Barmherzigkeit?! –
In den großen, leuchtenden Augen der jungen Frau liegt ein blindes Vertrauen, und das ist es, was den Professor wahrheitsgetreu antworten läßt, wenn auch im Tone tiefster Ratlosigkeit: »Das sind nun sechs Jahre.«
»Sechs – Jahre?« Marias Augen weiten sich vor Schreck. »Sechs Jahre? – Das kann doch nicht möglich sein!«
»Doch, es ist so.«
»Aber dann sind doch meine Kinder schon große Mädchen geworden?«
Der Professor sagt kein Wort dazu, er nickt nur. Mit zunehmender Spannung beobachtet er jeden Zug des feingezeichneten Frauenantlitzes. Es ist beinahe unbewegt, nur die Lippen zucken.
»Sechs Jahre versäumt, Herr Professor. Sechs Jahre haben meine Kinder Mutterliebe entbehren müssen! – Wie grausam!«
Eine Pause tritt ein, die der Professor nicht zu unterbrechen wagt, weil er befürchtet, sich mit dem nächsten Wort schon verraten zu können.
Voll wendet Maria ihm das Gesicht zu. Sie lächelt schmerzlich. »Ich habe viel nachzuholen, Herr Professor, sehr viel.« Sie strafft den schlanken Körper. Lebensmut und Lebenswillen blitzen aus ihren Augen. »Aber ich bin jung, ich kann alles wieder aufholen! Jede Stunde, die ich mit den Meinen verbringen werde, will ich doppelt genießen!«
Professor Holzer hat das Gefühl, als gehe er über Glasscherben, die sich ihm, Schmerzen bereitend, ins Fleisch bohren. Er sehnt sich danach, jetzt in seinem Sprechzimmer zu sein, sich in die Arbeit stürzen zu können, um nichts anderes mehr denken zu müssen.
Unbewußt kommt Maria Imhoff ihm zur Hilfe. »Bitte, führen Sie mich ins Haus, Herr Professor. Ich will meine Briefe schreiben. Auch meine Eltern sollen nun Bescheid erhalten. Wie müssen sie um das Schicksal ihres einzigen Kindes gebangt haben!«
Er neigt zustimmend den Kopf. Darauf legen sie schweigend den Weg zum Sanatorium zurück.
Vor seinem Sprechzimmer trennen sie sich. Ihr Gesicht ist heiter – vor ihr liegt das große Glück, das sie still und demütig macht.
Maria ist völlig mit der Zukunft beschäftigt. Nicht einmal kommt ihr der Gedanke an die lange Zeit, in der sie gar nichts von sich wußte. Für sie bedeutet es eine kurze Zeitspanne, und sie rechnet mit dem, was sein wird, nicht mit dem, was war. Im Vordergrund allen Denkens steht ihre Liebe zu ihrem Manne und ihren Kindern, die unvermindert, vielleicht stärker als je, in ihr lebt. So muß es auch bei denen sein, die für sie die ganze Welt bedeuten.
Maria schreibt, und dabei ist die Umwelt für sie versunken. Die Schwester hat eine Handarbeit hervorgeholt und wirft ab und zu einen Blick auf die Schreibende.
»So, nun bin ich fertig.« Maria faltet das Schreiben zusammen, ihre Wangen brennen. »Wann werde ich spätestens Antwort bekommen?«
Schwester Johanna reißt sich zusammen. »Ihr – Ihr Mann wird sicherlich auf schnellstem Wege selbst zu Ihnen kommen.«
Zärtlich fährt Maria über den Brief und flüstert versonnen: »Ja, Bernd wird kommen – er wird mich holen zu einem neuen Leben.«
*
Bernd sieht die Post durch. Ein Brief erregt seine Aufmerksamkeit. Als er ihn in der Hand hält und den Absender liest, kommt es wie eine plötzlich lähmende Überraschung über ihn.
Professor Holzer schreibt mir? Er sinkt in seinen Schreibtischsessel und öffnet zögernd den Umschlag.
Da fällt ihm ein zweiter Brief entgegen. Bernd erkennt die Handschrift sofort – unter Hunderten würde er sie erkannt haben. – Und mit diesem Erkennen durchzuckt ihn ein jäher Schreck. Seine Hand zittert, er ist im Augenblick nicht imstande, den Brief zu öffnen. Maria schreibt mir?
Immer wieder sagt er es vor sich hin, als ob er es nicht begreifen könnte. Er wird förmlich angezogen von der zierlichen Frauenhandschrift. – Und mit einem Male steht wieder die Vergangenheit vor ihm – mit all ihrem Zwiespalt und all ihrer Qual.
Bernd schüttelt die Lähmung von sich ab. Er liest Wort für Wort. Seine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Doch er zwingt sich zur Ruhe und entfaltet nun auch den Brief des Professors.
Was ihm beim Lesen des ersten Briefes schier unfaßbar schien – bei dem sachlichen Bericht des Arztes wird es ihm zur unumstößlichen Gewißheit: Maria ist wieder genesen – wieder gesund!
Und jetzt, da Bernd diese Tatsache klar vor Augen sieht, stürzt er von einer Verwirrung in die andere. Die Wirkung dieser Nachricht ist furchtbar für ihn.
Die beiden verhängnisvollen Schreiben liegen vor ihm auf dem Schreibtisch. Den Kopf in die Hände gestützt, starrt Bernd darauf nieder. Ein einziger Satz hämmert sich in sein Hirn – und es klingt wie ein zärtlicher Lockruf:
»Hole mich – Bernd – hole mich bald! Ich habe viel versäumt! Sechs Jahre Liebe habe ich entbehren müssen!«
Er stöhnt auf und läßt den Kopf schwer auf den Brief sinken. Und Charlotte? – Mein Gott – was soll aus ihr werden?
So findet Charlotte ihren Mann – aufgelöst, unfähig, eine Erklärung für seine Aufregung zu geben.
Da fällt ihr Blick auf die Briefe. Sie erkennt den Briefkopf und weiß nun, daß der Absender Professor Holzer ist.
Sie legt den Arm um Bernd und flüstert voll banger Ahnung: »Ist – ist etwas mit Maria?«
»Maria lebt, sie ist so gesund wie du und ich – und sie weiß nicht, daß ich wieder geheiratet habe. Nun ruft sie mich, Charlotte – hörst du? Maria wartet darauf, daß ich sie heimhole. – Was soll ich tun, Charlotte? So hilf mir doch! Du bist so klug, so gütig! Hilf mir!«
Charlottes Hand fährt liebkosend über sein Haar. Ihr Antlitz ist tief erblaßt, als sie sich nun erhebt und sich an Bernd wendet: »Du mußt zu Maria fahren, Bernd – noch heute! Sie erwartet dich! Du mußt ohne Säumen ihrem Ruf folgen!«
»Charlotte!«
»Ja, Bernd! Es wird dir schwer, bitter schwer werden, doch unbedingt muß Maria die Wahrheit erfahren. Sage ihr alles so schonend wie möglich!«
»Gut – ich fahre zu ihr!« Bernd strafft sich und blickt entschlossen in Charlottes Gesicht. Er zieht sie an sich. »Ich kann dich nicht aufgeben, Charlotte! Erst jetzt begreife ich ganz, wie lieb ich dich habe! Und wieviel