Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
kommt mein Mann bestimmt«, wendet sie sich an die neben ihr sitzende Schwester.
Diese neigt bestätigend den Kopf. – Was soll sie auch dazu sagen. Es ist ja alles so traurig. Schwester Johanna empfindet mit Bernd Imhoff, von dessen Ehrenhaftigkeit sie überzeugt ist, das gleiche Mitleid wie von der hoffnungsfrohen jungen Frau, die die Stunden bis zum Wiedersehen mit ihrem Manne zählt. Oh, wie bitter enttäuscht wird ihr Schützling von dem Wiedersehen sein!
»Ob mein Mann die Kinder mitbringt?« fragt Maria Imhoff, wobei sie sehnsüchtig in die Richtung des Tores blickt.
»Das glaube ich nicht«, antwortet Schwester Johanna zögernd. »Ich halte es auch nicht für angebracht. Denken Sie an die lange Reise.«
Über Marias schmales Gesicht huscht ein Schatten. »Ja, das wäre wirklich zuviel verlangt.«
Maria hält die Hände in ihrem Schoß verschlungen. Das dunkelglänzende Haar liegt in weichen Wellen um den schmalen Kopf. Sie trägt ein duftiges weißes Kleid, in dem sie sehr jung und anmutig aussieht.
Nach dem Kaffee gehen die beiden Frauen Arm in Arm spazieren. Seitdem Maria genesen ist, darf sie selbstverständlich auch das Grundstück verlassen.
»Etwas Beruhigendes geht von den Bergen aus«, sagt Maria leise und ergriffen. »Ich habe mit meinem Mann oft hoch über meinem Elternhaus gestanden, und wir haben zusammen nach den Bergen Ausschau gehalten. Merkwürdig war das! Bernd sah immer mehr als ich, und er wußte mir alles so verständlich zu machen. Ich habe dann nach und nach mit den Augen meines Mannes zu sehen gelernt. Verstehen Sie das, Schwester Johanna?«
Die Pflegerin nickt nur, etwas in der Stimme Marias Imhoffs geht ihr nahe, so nahe, daß ihr die Augen feucht werden.
»Ich bin mir oft so klein und unbedeutend neben Bernd vorgekommen, Schwester. Aber wenn ich ihm das eingestand, hat er mich ausgelacht. – Das sei ja gerade meine Stärke, meinte er dann. Stundenlang konnte ich Bernd zu Füßen sitzen und seinen Worten lauschen; mir war dann jedesmal, als wüchse er über sich selbst hinaus. Dann wieder gingen wir Stunde um Stunde schweigend nebeneinander her und lauschten dem Plaudern der Kinder, eines glücklich im Besitz des anderen.«
Maria verstummte jäh. Erst nach einer Weile beginnt sie wieder.
»Was müssen Sie von mir denken, Schwester Johanna! Sie halten mich gewiß für eine Närrin.« Maria legt das Gesicht in die kühlen Hände. »Aber ich beschäftige mich jede Minute mit meinem Mann und den Kindern. Dann komme ich auf alles zu sprechen. Ich habe immer nur für Bernd und die Kleinen gelebt.«
Schwester Johanna wendet das Gesicht nach der anderen Seite, damit Maria nicht merkt, wie ihr die Tränen über die Wangen laufen.
Endlich meint die junge Frau: »Wollen wir jetzt wieder heimgehen?« Maria erhebt sich, und die Schwester stimmt nur zu gern zu. »Mein Mann könnte inzwischen eingetroffen sein. Er soll nicht auf mich warten müssen.«
Armes Weib, muß Schwester Johanna immer wieder denken. Du erwartest voll Sehnsucht deinen Mann – und wie liegen die Verhältnisse in Wirklichkeit? Als sie das Sanatorium erreicht haben, zeigt Maria keinerlei Enttäuschung, daß Bernd noch nicht gekommen ist. Sie besitzt eine wahre Engelsgeduld und lächelt sogar.
»Dann kommt er eben morgen. Sicherlich ließ es sich bei seinen Geschäften nicht anders einrichten.«
Während des Abendbrotes plaudert Maria lebhaft, indes die Schwester immer stiller wird, denn Professor Holzer hat ihr nach der Rückkehr vom Spaziergang zugeflüstert: »Um acht Uhr ist Herr Imhoff da, er hat angerufen.«
»Sie essen ja gar nicht, Schwester Johanna«, sagt Maria und schiebt ihr den Salat zu. »Mir hat unser Spaziergang tüchtig Appetit gemacht.«
»Lassen Sie es sich nur gut schmecken«, ermuntert Schwester Johanna sie mit gepreßter Stimme. »Ich leide nur so unter der Hitze.«
»Sie Ärmste! Nehmen Sie ein Pulver und legen Sie sich zeitig schlafen, morgen früh sind Sie dann wieder ganz auf der Höhe«, rät Maria Imhoff.
Die Schwester lächelt dankbar. Wie rührend besorgt ihr Schützling um sie ist! – Und doch, wie bald wird die junge Frau selbst des Trostes bedürfen! Leise seufzt die Schwester.
Wie immer sitzt Maria nach dem Abendbrot in ihrem Blumenerker. Solange es noch hell ist, arbeitet sie an einer feinen Näharbeit, während Schwester Johanna ihr Gesellschaft leistet, immer die Uhr im Auge behaltend. Von Minute zu Minute wird ihr das Herz schwerer, je näher die Ankunft Imhoffs rückt. Endlich hallen acht langgezogene Schläge von der nahen Turmuhr. Maria Imhoff plaudert längst nicht mehr, sie ist eingeschlafen, während Schwester Johanna mit trüben Gedanken neben ihr sitzt. Sie gönnt ihrem Schützling diesen kurzen Schlaf, aus dem es kein schönes Erwachen für sie geben wird.
Inzwischen haben Bernd Imhoff und Professor Holzer eine ernste Unterredung.
»Sie können Ihrer Gattin die Wahrheit sagen, sie bedarf keinerlei Schonung mehr, denn sie ist, gottlob, völlig gesund«, bemerkt der Professor und blickt dabei in das sorgenvolle Gesicht seines Gegenübers. »Ein Rückschlag ist nicht zu erwarten. Es ist keine leichte Aufgabe für Sie, aber es muß sein. Ihre Gattin wartet schon fieberhaft auf Ihre Ankunft.«
Bernd stöhnt tief auf und erhebt sich. »Wollen Sie mich nun bitte zu meiner Frau führen?«
Wie selbstverständlich spricht Bernd von »meiner Frau«. Keiner von ihnen denkt im Augenblick daran, daß Maria es ja schon seit Jahren nicht mehr ist.
»Bitte, folgen Sie mir. Schwester Johanna ist ständig in Ihrer Gattin Gesellschaft, die beiden Frauen haben so etwas wie Freundschaft miteinander geschlossen.«
»Das gibt mir einen gewissen Trost, Professor, dann war Maria wenigstens nicht allzu einsam.«
Professor Holzer schweigt und denkt: desto einsamer wird sie in Zukunft sein! – Dann gehen sie. Vor Marias Zimmertür bleibt der Professor stehen.
»Ich brauche Sie nicht besonders anzumelden, Ihre Gattin erwartet Sie jeden Augenblick.«
Bernd drückt dem Professor schweigend die Hand und bleibt in sehr gedrückter Stimmung zurück. Er hört die Worte des Professors: »Ihre Gattin erwartet Sie jeden Augenblick –«
Dann steht Imhoff in dem Zimmer, das ihm von seinen Besuchen gut in Erinnerung ist. In dem Raume herrscht jetzt beinahe Dunkelheit. Er hört einen leisen, huschenden Schritt, und gleich darauf leuchtet die Stehlampe auf.
»Guten Abend, Herr Imhoff!« Schwester Johanna reicht ihm die Hand. Ihre Augen sind mit Tränen gefüllt. »Wenn Sie mich brauchen, dann drücken Sie nur auf den Knopf hier«, flüstert sie, um Marias Schlaf nicht zu stören.
Dann ist Bernd mit Maria allein. Lautlos tritt er auf die Schlafende zu. Sie hat den dunklen Kopf an die Lehne des Sessels geschmiegt und schlummert friedlich. Um den blaßroten Mund spielt das Lächeln eines Kindes.
Bernd hält den Atem an, als könne er das liebliche Bild durch das leiseste Geräusch stören. Er hat Zeit, sich jeden Zug des schönen Frauenantlitzes einzuprägen. – Diese feine Linienführung der Augenbrauen, die langen, gebogenen Wimpern, die wie Schatten auf der zarten Haut ruhen, der schöngeschwungene, weiche Mund: ein Bild, das manchen Maler herausfordern würde, es auf die Leinwand zu bannen.
Merkwürdig! Bernd ist zumute, als habe er Maria erst gestern verlassen. Bei ihrem Anblick versinkt alles um ihn. All die Wirrsale, die noch vor kurzem seine Seele in Aufruhr versetzten, sind vergessen – und voll starker Liebe schlägt sein Herz dieser Frau entgegen.
Er bringt es nicht über sich, die friedlich Schlummernde zu wecken, und zieht sich in den Schatten zurück.
Ob die Nähe des geliebten Mannes auf Maria einen besonderen Zauber ausübt? – Sie richtet sich plötzlich aus ihrer entspannten Haltung auf, fährt sich über Stirn und Augen – und dann fällt ihr Blick auf den regungslos verharrenden Mann.
»Bernd!« jubelt sie in der nächsten Sekunde auf und hängt lachend und weinend zugleich an seinem Halse. Erschüttert preßt er die schlanke Gestalt an sich,