Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
besorgt ist Bernd um Maria. In einem etwas abseits gelegenen Ausflugslokal nehmen sie das Frühstück ein. Bernd legt ihr die besten Bissen vor, schenkt ihr Kaffee ein, versorgt sie mit Sahne und Zucker, doch sie wehrt nur mit einem entschiedenen »Danke, ich mag nichts!« ab.
Maria ist schweigsam und in sich gekehrt. Bernd läßt sie gewähren. Nur ab und zu wirft er einen Blick auf ihr stilles Gesicht.
Er hätte gern mit ihr über die Zukunft gesprochen und um ihre Gedanken gewußt. Doch Maria denkt überhaupt nichts. Sie hat sich den Kopf zu sehr in der Nacht zermartert, ohne zu einem Ergebnis gelangt zu sein, so daß nun eine grenzenlose Leere in ihr ist. Nur einen einzigen, heißen Wunsch hat sie – daß es immer so bleiben möge, wie es jetzt ist! Daß sie immer an Bernds Seite sein dürfte.
Sie kommen ihrem Ziel immer näher, und Bernd verlangsamt das Tempo. Als er sie unverhofft anspricht, zuckt sie zusammen.
»Maria, freust du dich auf das Wiedersehen mit deinen Eltern?«
»Ja – sehr«, antwortet sie leise, aber es klingt zu matt, um überzeugend zu wirken.
Er streift ihre schlanke mädchenhafte Gestalt, ihr feines blasses Gesicht mit einem langen Blick und unterdrückt eine Entgegnung.
»Wir werden hier aussteigen, Maria«, sagt er dann, »und das letzte Stück des Weges zu Fuß zurücklegen. Ich möchte die Eltern vorsichtig vorbereiten, damit es sie nicht zu sehr überrascht.«
Sie neigt zustimmend den Kopf. Als er ihren Arm nimmt, läßt sie es widerspruchslos geschehen. – Es ist ja das letztemal, daß sie ihm so nahe sein darf.
Sie steigen den tannenumsäumten Pfad hinan, bis sich der Wald lichtet und ein von Blumen umranktes Haus vor ihnen auftaucht. In den blitzenden Fenstern spiegeln sich die Sonnenstrahlen.
Marias Elternhaus! Marias neue Heimat!
Nun überkommt sie doch die Wiedersehensfreude. Sie schluchzt auf und stützt sich ganz fest auf Bernds Arm.
Er führt sie um das Haus herum zu der Bank im Blumengarten – ihrem Lieblingsplätzchen. »Ich hole dich von hier ab, Maria«, sagt er mit gepreßter Stimme und läßt sie allein.
Mit einem unbeschreiblichen Ausdruck in den großen Augen blickt sie ihm nach, bis er hinter der Haustür verschwunden ist. Dann lehnt sie sich mit geschlossenen Augen erschöpft zurück.
»Du siehst so bedrückt aus, Bernd«, empfängt ihn im Haus Frau Sophie. »Wir haben dich gestern schon erwartet. Die halbe Nacht waren wir wach, Vater und ich, und haben uns den Kopf zerbrochen, weshalb du diesen plötzlichen Besuch ankündigtest.«
»Du solltest alles erfahren, Mutter.« Bernd löst seine Hand hastig aus der ihren und öffnet die Tür zum Wohnzimmer, denn er ist mit Frau Sophie in der Diele des Hauses zusammengetroffen. »Ist Vater da?«
»Er ist nicht minder neugierig und noch beunruhigter als ich«, berichtet Frau Sophie, keinen Blick von Bernds verstörtem Gesicht lassend. Sie ahnt Unheil, und ihr zittern die Knie.
Die Begrüßung zwischen Bernd und Hermann Möckel fällt sehr wortkarg aus.
Bernd ist zerschlagen. Schwerfällig läßt er sich auf dem Stuhl nieder, den man ihm hingeschoben hat.
»Verzeiht«, beginnt Bernd, nur mühsam sich beherrschend, nach einer Weile. »Mein Benehmen muß euch recht sonderbar vorkommen. Wenn ich euch jedoch erst erklärt haben werde –«
Da wird er unterbrochen. Darüber scheint er nur froh zu sein. Sein Blick geht nach der Tür, wo Liesel mit schreckensbleichem Gesicht erscheint. Sie ringt nach Fassung, und ihre Hände fahren erregt hin und her.
»Jessas, ich bin erschrocken! Bis auf den Tod bin ich erschrocken!« Ihre Hand weist nach dem Fenster. »Da – da – unsere junge Frau – wie sie uns verlassen hat –!«
Hermann Möckel ist entsetzt aufgesprungen. »Was reden Sie für Unsinn, Liesel?« herrscht er das Mädchen an. »Wollen Sie uns zum Narren halten! Sie wissen so gut wie wir –«
Bernd legt dem erregten alten Herrn die Hand auf den Arm. »Laß dir erklären – Liesel spricht die Wahrheit.«
Hermann Möckel starrt entgeistert auf Bernd und dann auf das zitternde Mädchen.
Bernd fährt erklärend fort: »Ich wollte euch schonend auf das große Wunder vorbereiten. Liesel hat mir nun einen Teil der Erklärung abgenommen. – Es ist wahr – ich habe Maria mitgebracht – sie wartet darauf, daß ich sie hole und euch zuführe – ich wollte –«
»Maria?« Mit einem Schrei fährt Frau Sophie in die Höhe. »Mein Kind ist da?«
Sie will davoneilen, doch Bernd hält sie zurück. »Einen Augenblick, Mutter! Maria ist nicht krank, sie ist geheilt, im Vollbesitz ihrer Gesundheit!«
Frau Sophie stutzt – aber nur sekundenlang – ihr Gesicht strahlt – dann läßt sie sich nicht mehr halten. »Maria ist gesund? – Meine Maria – gesund?« Sie lacht vor Glück laut auf. Dann stürmt sie aus dem Zimmer.
Bernd hat die Ellbogen aufgestützt und den Kopf in die Hände gelegt. »Glückliche Mutter!« flüstert er.
Hermann Möckel ist wie versteinert. Er starrt nur immer zur Tür, durch die jeden Augenblick Frau und Kind hereintreten müssen.
Frau Sophie hat unbewußt den Weg zum Blumengarten eingeschlagen. Wo anders als auf ihrem Lieblingsplätzchen kann sie ihr Kind finden!
Da sitzt Maria! Aber – ja – mein Gott – Frau Sophies Schritt stockt – die ganze Haltung Marias drückt so viel Schmerz und Traurigkeit aus, daß es ihr den Atem nimmt.
»Maria!« ruft sie zaghaft.
Der dunkle Kopf der jungen Frau fährt in die Höhe. Ein kurzes Besinnen – dann fliegt sie in die weit geöffneten Arme der alten Dame.
»Mutter!« ruft sie.
Und an ihrem Herzen weint Maria sich aus.
*
Später sitzen sie alle um den Tisch. Die Wogen der Erregung sind langsam verebbt. Marias Wangen glühen jetzt. Sie hat nicht mehr das furchtbar drückende Gefühl der Verlassenheit, wie es sie am Morgen beherrschte; denn sie weiß, hier im Elternhaus ist ein Platz, den ihr niemand streitig machen kann.
Frau Sophie, die sich bisher tapfer gehalten hat, weint plötzlich laut auf und stößt, sich anklagend, hervor: »Ich selber habe dein Glück zerstört, Maria, denn ich habe Bernd damals zu der Heirat mit Charlotte gedrängt! Er kam in seiner Seelennot zu mir – und ich verstand ihn –!«
Maria legt ihre Hand auf die verkrampften Finger der Mutter. »Klage dich nicht an, Mutter, ich habe mich damit abgefunden. Muß ich dir nicht viel eher dankbar sein? Bernd sagte mir, die Kinder hätten sich körperlich und geistig prachtvoll entwickelt. Das ist mir jedes Opfer wert.« Sie lächelt verloren. »Glück? – Wer ist wahrhaft glücklich? Jeder will es sein – und in Wirklichkeit bedeutet Glück etwas ganz anderes, als was man sich darunter vorstellt. Auch ich dachte zuerst, nun gehe das Leben nicht mehr weiter. – Doch ihr seht, es muß weitergehen. Ich werde mir einen Wirkungskreis suchen, der mir ernste Pflichten auferlegt. Kann ich die erfüllen, will ich zufrieden sein.«
Es tut Bernd bitter weh, Maria so sprechen zu hören. Vielleicht schmerzt es ihn auch nur deshalb, weil sie ihn bereits völlig bei ihren Zukunftsplänen ausschaltet.
»Und die Kinder?« wirft Frau Sophie mit einem wehmütigen Blick auf die Tochter ein.
»Ja – die Kinder!« wiederholt Maria leise und schaut starr zum Fenster hinaus. Sie fühlt aller Blicke erwartungsvoll und gespannt auf sich gerichtet. – Erwartet man etwa jetzt schon eine endgültige Entscheidung von ihr? Langsam wendet sie den Kopf. »Darüber bin ich noch nicht mit mir ins Reine gekommen. Ein Ja würde ich in der nächsten Minute bereuen – und ein Nein wäre herzlos von mir. Ich muß mich erst genau prüfen. – Eines kann ich euch jetzt jedoch schon sagen – immer wird mir das Wohl meiner Kinder wichtiger als alles andere sein!« Maria erhebt sich.