Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
»Um mich nach Ihrem Ergehen zu erkundigen – ganz recht, Frau Maria. Und ich sehe, Sie haben sich glänzend erholt«, fällt er ihr sofort lachend ins Wort.
Dann sitzen sie um den gemütlichen Rundtisch, und Liesel trägt Kaffee und Kuchen auf. Immer wieder forscht Professor Holzer in dem schmalen Frauenantlitz. – Diese junge Frau hat einen nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht, er kommt nicht mehr los von ihr. Wenn er nicht genau wüßte, von ihr abgewiesen zu werden, er legt ihr in dieser Stunde noch Herz und Hand zu Füßen.
Maria begegnet im selben Augenblick seinen Augen, die versonnen auf ihr ruhen. Sie ist völlig unbefangen und ahnt nichts von den Gefühlen des Mannes.
»Eigentlich haben sich unsere Gedanken gekreuzt, Herr Professor«, sagt sie und legt die schmalen Hände auf dem Tisch zusammen. »Ich wollte Ihnen schreiben, war mir jedoch nicht ganz schlüssig, doch jetzt nimmt mein Plan feste Formen an.«
Überrascht beugt Professor Holzer sich vor. »Sie wollten mir schreiben?« Ganz glücklich, beinahe wie ein beschenktes Kind, sieht der Mann aus.
»Ja.« Maria atmet tief auf. »Ich wollte nämlich bei Ihnen anfragen, ob es in Ihrem Hause einen Wirkungskreis für mich gibt.«
Professor Holzer blickt sie verwundert an. – Einen Wirkungskreis in seinem Hause? Den hätte er schon – aber als seine Frau, als treue Lebenskameradin möchte er sie neben sich sehen! Alles Schwere wollte er von ihr fernhalten, nichts sollte sie mehr bedrücken.
Er steht hastig auf, geht ein paarmal im Zimmer auf und ab und bleibt dann vor ihr stehen. »Haben Sie sich das auch genau überlegt, Frau Maria?«
»Ja, ich weiß, daß man seine ganze Kraft einsetzen muß, um den armen kranken Menschen ihr Los erleichtern zu helfen. Das habe ich mir wohl überlegt.« Sie sagt es ohne Zögern, fest entschlossen.
»Muten Sie Ihren Kräften auch nicht zuviel zu?« fragt er weiter.
»Wer wäre wohl besser geeignet als ich, Herr Professor?« zerstreut sie seine Bedenken. »Ich habe genug Leid kennengelernt, und erst das eigene Erleben macht uns das Leid unserer Mitmenschen verständlich.«
Er reicht ihr die Hand, in der ihre schmale Rechte verschwindet. »Sie sollen einen Wirkungskreis in meinem Hause finden, und ich glaube, meinen Kranken damit einen wertvollen Dienst zu erweisen. Ich weiß, Sie werden den armen bedauernswerten Menschen eine hilfreiche Trösterin sein. Auch Schwester Johanna wird sich freuen. Ich soll Sie übrigens herzlich von ihr grüßen. Sie nimmt regen Anteil an Ihrem Geschick.«
Ein Schatten legt sich auf Marias Züge. »Ich habe überwunden, Herr Professor – Arbeit war schon immer die beste Medizin für seelisches Leid, sie hat auch mir geholfen.«
So wird denn abgemacht, daß Maria so bald wie möglich in das Sanatorium Professor Holzers übersiedelt.
Maria ist glücklich, daß sie hinter den Mauern des Sanatoriums sich noch mehr von der Welt abschließen kann.
*
In Berlin geht alles seinen alten Gang. Die Tage werden kürzer und kühler. Schon wirbeln die ersten Flocken vom Himmel.
Charlotte sieht der Geburt ihres Kindes entgegen, und alle leben in freudiger Erwartung des kleinen Erdenbürgers.
Die Kunde vom hochherzigen Entschluß Marias, als Helferin in Professor Holzers Sanatorium tätig zu sein, ist in Bernds Haus gedrungen.
Frau Hanna hat sich eines Tages aufgemacht und ist zu Maria gefahren. Sie hat eine junge, in sich gefestigte Frau angetroffen, die keines Zuspruchs bedurfte.
Maria schaut glücklich und zufrieden drein. Ihre Freude über den Besuch der Schwiegermutter ist echt. Sie sitzen lange zusammen und plaudern, und Maria erfährt viel von ihren Kindern.
Doch auch diesmal läßt der Besuch einen Stachel in Marias Herz zurück. Sie hat es gelernt, sich zu beherrschen. – Nur in den einsamen Nächten bricht es mitunter durch. Gedanken beginnen sich in ihr zu regen, Wünsche in ihr aufzusteigen, die sie bisher gewaltsam unterdrückt hat. Einmal, nur einmal will sie in die Augen ihrer Kinder blicken.
Und eines Morgens bittet sie Professor Holzer entschlossen: »Ich bitte um einige Tage Urlaub, Herr Professor.«
Holzer ist erstaunt. »Sie wollen fort?«
Maria lächelt. »Nur für einige Tage, Herr Professor, ich will nach Berlin fahren.«
Der erfahrene Arzt ahnt sofort, was sie nach Berlin treibt, und er bangt abermals um die geliebte Frau. Doch er fügt sich ihrem Wunsche, er würde Maria ohnehin nicht von ihrem Plane abbringen können.
*
Der Garten der »Villa Charlotte« liegt tiefverschneit da. Wie ein Wintermärchen ist er anzuschauen.
Maria geht schon seit einer halben Stunde vor dem Eisenzaun, dessen Spitzen helle Mützen aufgesetzt haben, auf und ab. Der Bäckerjunge ist vorhin auf seinem Rade vorgefahren, und der Zeitungsbote hat eine Zeitung in den weißen Kasten am Tor gesteckt.
Von den Bewohnern des Hauses hat sie bisher niemanden gesehen. Doch sie wartet geduldig, hat heiße Wangen vor Erregung. Ihre Füße sind eiskalt, aber darauf achtet sie nicht.
Maria drückt die Hand aufs Herz. – Herrgott, führe mir meine Mädel in den Weg – und wenn ich sie nur von weitem sehen darf! Aber sehen möchte ich sie! Nur einmal sehen! steigt es heiß in ihr auf.
Da – wie die wilde Jagd stürmt es vom Hause her, die verschneiten Wege entlang – zwei junge Gestalten, in rote Skianzüge gehüllt. Voran springt laut kläffend der Hund, er wälzt sich übermäßig im Schnee, und die Kinder schütteln sich vor Lachen.
»Hasso – hierher!«
Hasso jagt zu dem Gitter hin, wo eine dunkle Frauengestalt regungslos verharrt – dann wieder zurück zu den Kindern.
Maria umklammert mit beiden Händen die kalten Eisenstangen des Gitters und starrt auf die Kleinen. Sie nehmen nicht die geringste Notiz von der Frau, die mit wildklopfendem Herzen jede ihrer Bewegungen verfolgt.
Wie sinnlos – was will ich denn nur?! denkt Maria bitter. – Mit welch törichten Erwartungen habe ich die Reise angetreten?! Wie kann ich verlangen, daß die Kinder zu mir kommen – der fremden Frau?
Sie wissen ja nicht, daß ich ihre Mutter bin!
Marias Augen schmerzen von dem angestrengten Schauen. Ihre Hände sind starr vor Kälte und ihre Füße ohne jedes Gefühl.
Sie will sich Bewegung verschaffen. Doch die Angst, die Kinder könnten davonlaufen, hält sie an ihrem Platz. So steht sie wie eine Bildsäule da und sieht aus weit geöffneten Augen dem lustigen Spiel der beiden Mädchen zu.
Seltsam ist ihr zumute. Ganz deutlich glaubt sie rote Kreise zu sehen, die immer größer werden, bis sich zuletzt aller Schnee zu ihren Füßen rot gefärbt hat. Jetzt verschwimmt alles vor ihren Augen.
Mit einem Wehlaut sinkt Maria plötzlich in den flockigen Schnee.
»Du – Monika!« Ingrid läßt achtlos den Schneeball zu Boden fallen. »Sieh, die Dame dort – ihr scheint nicht wohl zu sein. Sie ist umgefallen. Oder ist sie ausgerutscht. Schnell, komm!«
Ingrid fliegt förmlich dem Tore zu, und Monika stürmt, von Hasso begleitet, hinterher. Sie eilen an dem Gitter entlang, und ein paar Sekunden später kniet Ingrid schon neben der fremden Frau nieder.
»Lieber Gott, sie ist ohnmächtig!« sagt Ingrid ängstlich zu der kleineren Schwester und blickt hilfesuchend die Straße auf und ab.
»Ich hole rasch jemanden aus dem Haus!« ruft Monika und schaut voll Mitleid in das blasse Gesicht Marias.
Im selben Augenblick schlägt die junge Frau die Augen auf. Groß, unverwandt taucht ihr Blick in die blauen Augen Ingrids.
»Kann ich etwas für Sie tun?« hört Maria aus weiter Ferne die weinerliche Stimme ihres Kindes. – Nur die Stimme hört sie, den Sinn versteht sie nicht.