Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
sie nicht hinter ihr zurückstehen, wenn auch alles unendlich traurig ist.
»Und du, Bernd?« Zum ersten Male richtet Maria das Wort an ihn. »Willst du nicht lieber abreisen? Ich kann dir doch schreiben, wie ich mir die Zukunft denke.«
Bernd sieht abgespannt und leidend aus. Vorwurfsvoll blickt er Maria an. »Ist dir meine Anwesenheit unangenehm?«
»Nein, Bernd«, antwortet sie und senkt die Augen.
»Dann bleibe ich«, entgegnet er fest.
»Es wäre aber für dich und für mich besser, wenn du gingest. Der Gedanke, dich von Charlotte fernzuhalten, bedrückt mich.«
»So darfst du es aber nicht auffassen. Mach es mir doch nicht schwerer, als es ohnehin schon ist, Maria. Ich bleibe jedenfalls so lange hier, bis ich Gewißheit über deine Zukunft habe.«
Er sieht sie mit einem Blick an, in dem eine große Bitte liegt.
»Ich bin mir noch nicht klar darüber«, widerspricht sie gequält. »Meine Zukunft liegt abseits von deinem Lebensweg, soviel weiß ich jetzt schon ganz bestimmt.« Etwas wie Abwehr flammt in ihren Augen auf. – Es ist aber nur die innere Zerrissenheit, unter der sie leidet, und Bernd spürt es. Versöhnend meint er:
»Ich maße mir kein Recht an, über dich zu bestimmen, Maria.« Doch dann steht er neben ihr, preßt ihre Hände, daß es sie schmerzt. »Gönne mir doch die paar Tage, Maria! Was dann kommt, soll mir im Augenblick gleichgültig sein.«
Maria entzieht ihm hastig ihre Hände und eilt wortlos aus dem Zimmer.
»Ich glaube, Maria hat recht. Du mußt sie jetzt allein lassen. Es ist zuviel für sie, dich täglich zu sehen und dabei immer wieder an all das Traurige denken zu müssen«, sagt Frau Sophie im Hinausgehen.
»Nein – ich bleibe!« widerspricht Bernd, denn er weiß genau, daß ihm alles, was Maria angeht, niemals gleichgültig sein wird. Mit zitternder Hand zündet er sich eine Zigarette an, tut ein paar lange Züge und verläßt das Haus.
Maria sitzt mit tränenlosen Augen am Fenster, die Hände gefaltet und starrt in die Ferne.
Da knirscht unter dem Fenster der Kies. – Sie kennt diesen Schritt.
Auch Bernd leidet! Wer würde es nicht tun in dieser schrecklichen Lage? Die Eltern quälen sich mit Vorwürfen, und Bernd liegt im Widerstreit mit sich und seinem Gewissen.
Immer wieder stört das Geräusch dieser Schritte ihre Betrachtungen. Plötzlich dringt ein Wort an ihr Ohr.
»Maria!«
Sie rührt sich nicht, obwohl die Stimme zärtlich, flehend ihren Namen ruft. Und wieder: »Maria!«
Dann steht sie am offenen Fenster und beugt sich hinaus.
»Du ruhst nicht? – Ich wußte es doch. Bitte, komme herunter, Maria! Wir wollen einen Spaziergang unternehmen und alle Lieblingsplätze von früher aufsuchen. – Bitte, komm!«
Maria hat ein heftiges Nein auf der Zunge – doch wie unter einem fremden Willen stehend, flüstert sie: »Ja – ich komme!«
Sie kühlt sich Augen und Wangen mit kaltem Wasser, fährt sich über das weiche, wirre Haar und schlüpft aus dem Zimmer.
Dann steht sie mit verlegenem Lächeln neben Bernd.
»Ich danke dir, daß du gekommen bist, Maria!« sagt er und legt ihren Arm in den seinen.
Seite an Seite wandern sie auf den schmalen Pfaden durch die Gebirgsgegend. Sie sprechen zuerst ganz wenig. Nur ab und zu macht Bernd sie auf ein Hindernis aufmerksam oder hilft ihr sorgsam über spitze Steine und allerlei Geröll hinweg.
Nach und nach wird er gesprächig. Zuerst plaudert er von diesem und jenem, von dem er vermutet, daß es Maria interessieren könnte. Sie unterbricht ihn nicht und lauscht nur seiner dunklen wohllautenden Stimme, ohne den Sinn seiner Worte richtig zu erfassen. Dann leitet er geschickt auf seine persönlichen Angelegenheiten über. Er erzählt von dem Aufschwung, den sein Werk in den letzten Jahren genommen hat, von seinen Kämpfen, seinen glücklichen Abschlüssen, die es ihm ermöglichten, die Zahl der in seinem Betrieb Beschäftigten erheblich zu vergrößern.
Von seiner Mutter spricht Bernd, die zurückgezogen in dem kleinen Landhause nahe der Stadtgrenze wohnt und die ihm eine gütige Beraterin geworden ist.
Von Charlotte berichtet er, die sich als prächtige Kameradin erwiesen habe und die ihm stets die rechte Hand in geschäftlichen Dingen gewesen sei, von ihren Fähigkeiten und ihrem klugen Urteil.
»Was macht Lehrmann – der alte, treue Lehrmann?« fragt Maria, ihn plötzlich unterbrechend.
»Lehrmann?« Ein Schimmer von Freude huscht über Bernds Gesicht. »Lehrmann ist nach wie vor einer meiner Treuesten und Tüchtigsten!«
»Der gute alte Lehrmann!« Gedankenverloren lächelt Maria vor sich hin. Dann zuckt es um ihren Mund, und heftig preßt sie seinen Arm. »Bernd, ich wollte nicht wieder davon sprechen, ganz fest vorgenommen hatte ich es mir – aber sagen muß ich es dir doch! Ich möchte sie alle wenigstens einmal wiedersehen, mit ihnen plaudern – mit all denen, die in der schweren Zeit treu zu dir gehalten haben!«
»Aber das ist doch ohne weiteres möglich!« Er hält ihre bebende Hand fest. – Doch das Feuer in ihren Augen ist ebenso schnell wieder erloschen, wie es aufgeflammt ist.
»Nein!« stößt sie hervor. »Ich – könnte mich nicht beherrschen, wenn ich ihnen unter diesen veränderten Verhältnissen gegenübertreten müßte!«
Wieder herrscht Schweigen zwischen ihnen. Aber jetzt ist es bedrückend, denn die Bilder der Vergangenheit drängen sich ihnen auf. Bernd kann sich den Vorwurf nicht ersparen, daß er sie selbst heraufbeschworen hat, um Maria wie früher teilnehmen zu lassen an allem, was ihm lieb und wert ist.
Sehr ernst ist sein Gesicht, als sie den Heimweg antreten. Sie gehen beide wie Traumwandler durch den sonnigen Sommertag, blind für die Wunder der schönen Alpenwelt.
Kurz vor dem Hause bleibt Bernd plötzlich stehen und legt die Hände auf die schmalen Schultern Marias.
»Ich reise ab, Maria – morgen früh fahre ich heim! Meine Anwesenheit bereitet dir nur Qual, ich sehe es ein! Und die Kinder, Maria – sie gehören zu dir! Du brauchst nur ein Wort zu sagen – und ich bringe sie dir!«
In ihren dunklen Augen leuchtet es auf. »Die Kinder, Bernd – meine Mädel – willst du sie mir wirklich überlassen?« Maria legt wie einst ihre Hände um seinen Hals und schmiegt den Kopf an seine Brust. »Meine Kinder!« Sie zittert am ganzen Körper.
Bernd nickt nur, preßt Maria an sich und berührt ihr Haar mit seinen Lippen.
Dann löst sie sich entschlossen aus seinen Armen, und das jubelnde Glücksgefühl in ihr weicht mit einem Male tiefer Niedergeschlagenheit.
»Morgen – Bernd – morgen sollst du meine Antwort haben! Ich darf nicht an mich denken. Ich muß an die Kinder denken!«
Ehe Bernd ihr antworten kann, ist sie an ihm vorüber ins Haus geeilt.
»Maria!« flüstert er mit leuchtenden Augen. »Liebe, tapfere Maria!«
*
»Nun weißt du alles, Mutter«, schließt Charlotte Imhoff ihren Bericht und blickt aus trüben Augen auf die Schwiegermutter, als erwarte sie von ihr Trost und Hilfe. »Bernd ist sofort zu Maria gefahren. Sie hat ihn gerufen, denn sie glaubt ja noch immer, Bernds Frau zu sein. Ach, es ist gräßlich, Mutter! Überall Herzeleid, wohin ich blicke!«
Frau Hanna Imhoff ist erstarrt und keiner Antwort fähig. Nach einer langen Pause wiederholt sie dumpf: »Gräßlich, gewiß für dich und Bernd – aber für Maria ist es immerhin ein großes Glück! Der liebe Gott hat ein Wunder an ihr vollbracht.«
Eine ganze Nacht hat Charlotte durchwacht und sich den Kopf nach einem befriedigenden Ausweg zermartert. Aber sie ist zu keinem Ergebnis gelangt; im Gegenteil, je länger