Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
»Sie gefallen mir nicht recht, Schwester Maria. Irgend etwas bedrückt Sie. Wollen Sie sich mir nicht anvertrauen?«
»Habe ich meine Pflichten in irgendeiner Weise vernachlässigt, Herr Professor?« fragt sie tieferschrocken und bemerkt gar nicht, daß lediglich die Sorge des Mannes um die Frau, die er liebt, aus ihm spricht.
»Ach nein!« Professor Holzer macht eine ungeduldige Bewegung. »Wollen Sie denn durchaus ein Kompliment von mir hören?«
Maria errötet. »So habe ich’s nicht gemeint.«
»Sehen Sie, Maria, ich habe mich immer schon sehr für Ihr Schicksal interessiert –«
Maria horcht auf. – Das ist ein ganz neuer Ton, den der Professor ihr gegenüber anschlägt. – Und schon fragt er weiter und steuert entschlossen auf sein Ziel hin.
»Nicht wahr, Sie waren in Berlin, Sie haben Ihre Kinder gesehen?«
»Sie wissen es?« fragt Maria verwundert.
»Das war nicht schwer zu erraten.« Er lächelt wie zur Entschuldigung. »Wenn ich es hätte verhindern können, wäre es bestimmt geschehen.«
Mit Befremden blickt Maria auf ihr Gegenüber. »Sie – Sie hätten es verhindert?«
»Ja, Frau Maria.« Er beugt sich vor und nimmt ihre Hand. »Nun, deswegen brauchen Sie mir nicht gleich böse zu sein. Ihre Beweggründe erkenne ich sehr wohl an – doch hat es Ihnen Gutes gebracht?«
»Ich habe meine Kinder gesehen, nach langer Zeit habe ich ihnen wieder einmal in die lieben Augen geschaut«, erwidert Maria leise. »Ist das etwa nichts Gutes?«
Ein wenig ratlos hebt der Professor die Schultern. »Ich habe das Gefühl, als redeten wir aneinander vorbei. – Darf ich Ihnen als Mensch einen guten Rat geben, Frau Maria?« Maria nickt verwundert und überläßt ihm ihre Hand. »Reißen Sie sich ganz los von der Vergangenheit! Bauen Sie sich ein neues Leben auf!«
»Ja… aber, Herr Professor! Habe ich das nicht bereits getan? Habe ich mir nicht einen Pflichtenkreis gesucht? Gehe ich in meinem selbstgewählten Beruf nicht vollständig auf?«
»Doch – doch – aber das meine ich nicht.« Professor Holzers Blick sucht die großen Augen Marias. »Sie sollen sich ein neues Glück zimmern – Sie sollen –« Professor Holzer, der lebenserfahrene, selbstsichere Arzt, wird plötzlich hilflos wie ein Kind.
Da huscht um Marias Mund ein liebes, verstehendes Lächeln. Ruhig vollendet sie: »– sich einen Mann suchen und eine neue Ehe eingehen. – Nicht wahr, Herr Professor, das wollten Sie doch sagen?« Maria ist weit entfernt davon, Professor Holzers Worte ernstzunehmen. »Sie haben wohl gar schon einen Mann für mich?« versucht sie zu scherzen.
»Ja, ich weiß einen Mann, der sich nichts Schöneres denken könnte, als Sie als seine Frau heimzufahren!«
Maria erblaßt. Sie möchte ihm am liebsten entgegenrufen, ihr den Namen nicht zu nennen, denn sie glaubt, ihn auch so zu kennen.
Holzer spricht jedoch sofort weiter: »Der Mann, der Sie tief und wahrhaft liebt – bin ich!«
Danach wird es still zwischen den beiden Menschen. Marias Augen verdunkeln sich, traurig blickt sie vor sich hin.
Eine ganze Weile beobachtet der Professor die junge, mit sich kämpfende Frau, ohne in sie zu dringen. Eine große Mutlosigkeit kommt ihn an.
Maria ist zumute, als müsse sie laut aufweinen. – Niemals kann sie die Frau eines anderen werden! Warum muß der Professor ihr das sagen? Soll sie auch dieses Ruheplätzchen, die ihr liebgewonnene Beschäftigung verlieren?
»Ich – ich kann keine zweite Ehe eingehen, denn mein Herz gehört meinen Kindern und meinem Mann! So sehr ich mich auch gegen dieses Gefühl gewehrt habe – das Herz läßt sich nun einmal nicht befehlen, es geht seinen eigenen Weg.«
Professor Holzer umfängt Marias Gestalt mit einem zärtlichen Blick. Dann drückt er einen langen Kuß auf ihre Hand und gibt sie frei.
»Ich habe es gewußt«, kommt es von seinen Lippen.
»Sie haben meine Antwort im voraus gewußt – und dennoch gesprochen?« fragt Maria erstaunt.
Er lächelt nachsichtig. »Ja, ich rechnete beinahe mit Ihrer Absage, denn eine Frau wie Sie liebt nur einmal mit ihrem Herzen; entweder findet sie dabei ihr Glück oder – sie verzichtet.«
»Sie zürnen mir nicht, Herr Professor?«
Jetzt wird er ganz väterlich wohlwollend. »Nein, ich zürne Ihnen nicht, noch bereue ich es, meinen Antrag vorgebracht zu haben. Sie sollen wenigstens wissen, daß es einen Menschen gibt, mit dem Sie zu jeder Stunde rechnen können. Verstehen Sie mich?«
»Ja, ich verstehe Sie sehr gut«, erwidert Maria bewegt, »und ich danke Ihnen, daß Sie sich meiner so sehr annehmen. Es ist ein köstliches Gefühl, zu wissen, daß es einen Menschen gibt, auf dessen Treue man bauen kann.«
»Das war ein gutes Wort, Frau Maria!« Professor Holzer erhebt sich. »Ihr Seelenfrieden geht meinen Wünschen voran. Ich will mich gern bescheiden, Ihnen in meinem Hause einen Wirkungskreis gegeben zu haben. – Einen Augenblick bitte.«
Professor Holzer nimmt den Hörer vom Fernsprecher, dessen Glocke ihn unterbrochen hat, und meldet sich.
Maria tritt indessen in das breite Fenster und schaut wehmütig in den verschneiten Garten. – Winter in den Bergen! geht es ihr durch den Kopf. Wie sehr sie gerade diese Jahreszeit liebt! –
»Frau Maria!«
Sie fährt herum, Professor Holzer lehnt an seinem Schreibtisch und blickt ernst auf eine mit Bleistift hingeworfene Notiz.
»Haben Sie eine unangenehme Nachricht empfangen?« fragt Maria teilnehmend.
»Ich – nein. – Diese Nachricht betrifft nicht mich, sondern –«
»Etwa mich, Herr Professor?« Maria hat in dem ernsten Männergesicht zu lesen gelernt. »Nicht wahr, es betrifft mich?« drängt sie. Der Professor nickt nur und schiebt ihr den kleinen Zettel hin. Hastig liest die junge Frau: »Maria Imhoff! Sofort kommen, Ingrid ernstlich erkrankt. Charlotte.«
»Mein Kind erkrankt?« stammelt Maria, und der Zettel fährt aus ihren Händen zu Boden. »Ingrid in Gefahr! Mein Gott – man ruft mich! Dann – dann muß es schlimm stehen! Was soll ich tun? Was mache ich nur?«
Ganz aufgelöst ist Maria. Jetzt ist der Professor der Ruhigere und Überlegenere.
»Sie werden sich sofort zur Reise fertig machen. Inzwischen erkundige ich mich nach der schnellsten Verbindung nach Berlin. Sie müssen selbstverständlich noch heute reisen. Grundlos stürzt man eine Mutter nicht in eine solche Aufregung.«
»Ja, ja«, sagt sie hastig, denkt aber nur an Ingrid, an ihr liebes blondes Mädel.
Maria ist unfähig, auch nur die kleinste Vorbereitung zu treffen. Das erledigt mit vollem Verständnis Schwester Johanna für sie.
Erst, als Maria in München in das Flugzeug steigt, wird sie besonnener.
In Berlin angekommen, nimmt Maria einen Wagen und fährt unverzüglich zu Bernd und Charlotte. Nun steht sie abermals vor dem hohen Gitter, diesmal nicht minder aufgewühlt.
Den Handkoffer in der Rechten, geht sie mit schweren Gliedern durch den Garten dem Hause zu. In der Diele steht Charlotte, bleich, hohlwangig, ein Schatten ihrer selbst. Durch die Geburt und die anschließende aufreibende Pflege sind ihre Nerven angegriffen. Fassungslos schluchzend fällt sie Maria um den Hals. »Daß du gekommen bist, Maria, wie froh bin ich darüber!«
Maria reißt sich zusammen, sie steht Charlottes Erschütterung ziemlich hilflos gegenüber. »Ich danke dir, Charlotte, daß du mich gerufen hast. Führe mich zu meinem Kinde«, sagt sie leise und legt den Arm um die andere.
»Du weißt ja nicht alles, Maria!« klagt Charlotte weiter. Es hat den Anschein, als könne sie sich nicht schnell genug alles vom Herzen herunterreden.