Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
Minuten, die er bei der Abfahrt der »Manuela« durchgemacht hatte, und lachte grimmig, »Sie meinen wohl das boshafte Telegramm Murphys?«
Völlig verständnislos schüttelte Gunhild den Kopf.
»Warten Sie mal, Gunhild«, er kramte in seiner Brieftasche, »ich trage den Wisch zur Erinnerung an meine größte Eselei täglich mit mir herum. Hier, lesen Sie.«
Schritte kamen die Treppe herunter. Schnell faßte Gunhild nach Harrys Arm und zog ihn in den Gang und mit sich ihrem Zimmer zu.
In ihrem Zimer riegelte sie die Tür ab und lehnte, das Telegramm lesend, schwer atmend am Türrahmen.
»Das ist eine Gemeinheit!« stieß sie aufgeregt hervor. »Der Text meines Telegramms lautete anders: Sofort zurück – benutzen Sie die ›Pernambuco‹. Das ist die reine Wahrheit!«
Beruhigend strich Harry ihr über die Hand.
»Weiß ich, Gunhild. Das ist einer der berühmten Streiche Murphys. Wir sitzen alle wie auf einem Pulverfaß, das jeden Augenblick in die Luft gehen kann. Neugierig bin ich nur, wer dabei am meisten auffliegt.«
Gunhild zitterte am ganzen Körper. Wieder ein Beweis dafür, wie Murphy hinter ihrem Rücken arbeitete und wie gefährlich er war.
Doch dann dachte sie an den Dunkelbärtigen, an Doktor Hellberg. Ja, wo war er denn hingekommen? Sie hatte ihn, seitdem sie in Rio war, noch nicht gesehen.
Hastig zog sie Harry mit sich an den Tisch.
»Passen Sie auf, Harry, ich muß in einer Stunde umgezogen in der Halle zum Essen sein, habe also keine Gelegenheit, mit Michael zu sprechen. Fragen Sie ihn sofort, ob er bei seinen Papieren die Abschrift eines Vertrages finden kann. Es muß ein Vertrag zwischen Professor Mayring und der peruanischen Regierung geschlossen worden sein.
Beweise habe ich nicht, aber ich kann mir nicht helfen, die Exzellenz ist ein ganz ausgekochter Bursche. Könnte nicht die Möglichkeit bestehen, daß man den Vertrag bei der Regierung einfach hat verschwinden lassen und dieser Nawarra zusammen mit Murphy die einzigen Nutznießer aus diesem Vertrag sein wollen?«
Harry hatte aufmerksam gelauscht. Er starrte Gunhild wie eine Art höheres Wesen an.
»Nun sagen Sie mir schnell noch, wer ist eigentlich dieser verrückte, fettbäuchige Scheich?« erkundigte er sich, wieder ernst und sachlich werdend.
»Selbstverständlich ein Vertreter der peruanischen Regierung. Nawarra heißt er, und er will uns, das heißt Murphy und mir, behilflich sein, auch ein Vertrag über die Genehmigung zur Grabung soll geschlossen werden.«
Harry grübelte vor sich hin.
»Hm«, sagte er nach einer Weile, »das hört sich wie ein Märchen an und wird sich am Ende auch als Märchen erweisen.
Seien Sie auf der Hut, und lassen Sie sich unter gar keinen Umständen zu einer Unterschrift zwingen, Gunhild. Versprechen Sie mir das.«
»Noch eins, Harry. Richten Sie Michael aus, er soll sich, sofern ich abgehalten bin, mit dem dunkelbärtigen Mann, der die Kabine neben mir auf dem Schiff bewohnte, in Verbindung setzen. Er ist unser aller Freund und ist niemand anders als Doktor Hellberg, verstehen Sie?«
Hilflos sanken Harrys Hände zur Seite.
»Jetzt bin ich wirklich platt. Tote stehen auf? Verträge verschwinden spurlos von der Bildfläche?«
Gunhilds Augen nahmen einen trostlosen Ausdruck an.
»Wenn doch erst alles vorbei wäre, ich habe Angst, richtige, kleinliche Angst.«
»Aber Gunhild«, tröstete Harry gutmütig, leicht vorwurfsvoll, »wo wir alle in Reichweite sind. Jetzt sprechen Sie noch von einem Dritten im Bunde. Ich muß nun fort. Wissen Sie was? Halten Sie sich an meine Braut?«
»Ihre Braut?« Ungläubiges Staunen spiegelte sich in Gunhilds Zügen. »Daß Sie doch immer ulken müssen.«
»Tatsache, Gunhild, ich habe meine Braut nachkommen lassen«, gestand er großartig. »Das heißt, sie weiß es noch nicht, daß sie meine Braut ist und meine Frau wird. Ingrid Mayring meine ich.«
»Das schöne blonde Mädchen?«
»Jawohl, das schöne blonde Mädchen, das eigens für Harry Ohnesorg geboren wurde.«
Herzlich drückte Gunhild ihm die Hand.
»Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück, Harry. Also winkt Ihnen am Ende unserer Reise ein herrlicher Lohn.«
*
Dienernd ging der Direktor des »Imperial«, begleitet von seinem Geschäftsführer, durch die Reihen der sorgfältig gedeckten Tische.
Ventilatoren sorgten für die nötige Kühlung, damit seine Gäste nicht allzusehr unter der Hitze zu leiden hatten.
An den gutbesetzten Tischen schlängelte er sich vorbei, freundlich nach allen Seiten grüßend.
Bei Doktor Murphy und Gunhild blieb er eine Weile stehen und erkundigte sich nach dem Befinden.
»Danke, gut«, sagte Gunhild und wandte sich sofort ihrem Teller wieder zu. Sie blieb auch während der Mahlzeit sehr schweigsam.
Dafür unterhielten ihre beiden Begleiter sich um so lebhafter. Gunhild hatte aber das Gefühl, als läge etwas Verkrampftes in dieser Unterhaltung.
Sie achtete wenig darauf. Ihr ganzes Sinnen galt den nächsten Stunden. Wie konnte sie wohl unauffällig mit Michael in Fühlung kommen, ohne das Mißtrauen des Doktors wieder wachzurufen?
Unter halbgeschlossenen Lidern warf sie hin und wieder Blicke in die Richtung, wo Michael, seine Schwester und Harry saßen.
Dort ging es sehr lustig zu, denn das helle Lachen Ingrids klang häufig auf. Jedesmal gab es Gunhild einen Stich ins Herz.
Sie war unglücklicher denn je, ausgeschlossen aus diesem fröhlichen Kreis zu sein und einem Schurken Gesellschaft leisten zu müssen.
Es kostete sie große Überwindung, wenigstens höflich zu bleiben, während es in ihr gärte und brodelte. Aber sie hatte in den letzten Wochen so viel Selbstbeherrschung geübt, daß sie sich meisterhaft in der Gewalt hatte.
»Soll ich Ihnen irgendein eisgekühltes Getränk oder lieber Mokka bestellen?« erkundigte Doktor Murphy sich liebenswürdig.
Gunhild war das sehr gleichgültig.
»Bitte, ein eisgekühltes Getränk«, bat sie kurz.
Doktor Murphy gab die Bestellung weiter, und als das schmale Glas vor sie hingestellt wurde, bemerkte sie, wie an Michaels Tisch ein Hotelboy trat und Harry Ohnesorg etwas aushändigte, was auffallende Ähnlichkeit mit einem Telegramm hatte.
Gewiß von seiner Zeitung – durchschoß es sie, und unwillkürlich mußte sie vor sich hin lächeln.
Erstaunt und mit einem unbehaglichen Gefühl nahm indessen Harry das Telegramm in Empfang.
»Vom Chef«, sagte er ahnungsvoll und erbrach es. »Wo bleibt Bericht?« las er halblaut vor.
Er stöhnte tief auf.
»Wie man die Menschen nur so bestürmen kann!« sagte er und sah von Ingrid zu Michael.
Michael Mayring lachte.
»Von Bestürmen können Sie nicht gut sprechen, Harry! Man hat Sie bis heute schön in Frieden gelassen.«
Harry sah auf seine Armbanduhr und überlegte. Das Essen war vorüber. Seine Freunde würden sicherlich etwas ruhen wollen. Die Zeit konnte er benutzen, um einen Bericht zu schreiben.
»Bleiben Sie noch hier sitzen?« wandte er sich an Michael.
»Solange unsere ›Freunde‹ noch hier sind, bringen mich keine zehn Pferde in mein Zimmer«, erwiderte Michael grimmig.
Er hätte so gern Gunhild neben sich gehabt. Immer unerträglicher wurde es ihm, sie in Gesellschaft