Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
Sie nicht einige Korinthen nehmen, Fräulein Rosa?« begann Lurch nach einer Pause.
»Nein, ich mag mir nicht immer von Ihnen Korinthen schenken lassen.«
»Oh! Fräulein Rosa – Korinthen, Korinthen –« Lurch war sichtlich verlegen. »Korinthen sind doch nur ganz kleine Rosinen.«
»Das macht nichts«, versetzte Rosa energisch; dann fügte sie sanfter hinzu: »Herr Lurch! Gestatten Sie es nicht, dass wir Sie Korinthen-Konrad nennen?«
»Gewiss, Fräulein Rosa! Wenn der Name Ihnen gefällt; ich hoffe, er ist keine Verhöhnung meines Berufes; ich denke, er ist es nicht?«
»Durchaus nicht! Nur der Korinthen wegen, wissen Sie.«
»Oh, dann – warum nicht?« Ja, Lurch schien der Name sogar zu gefallen, denn ein öliges Lächeln zeigte sich auf seinem Gesichte.
Endlich trat Sally Lanin durch eine Hintertüre des Ladens ein.
»Ach Rosa! Liebes Herz! Du bist es!« rief sie in allerliebster Freude aus, hüpfte auf Rosa zu, küsste sie auf die Lippen, setzte sich mit einer flinken, schmiegsamen Beweglichkeit auf die Kiste und schlang ihren Arm um Rosas Taille. »Wie gut, dass du kamst!«
Sally Lanin trauerte um einen geliebten Onkel und trug daher ein schwarzes Kleid und eine schwarze Halskrause. Auf den Schulterblättern saßen zwei weiße Kalkflecken, und auch sonst war an dem Kleide viel von dem Staub der Kisten hängen geblieben, was dem Ganzen ein etwas schäbiges Aussehen verlieh. Eigentlich hübsch war Fräulein Lanin nicht; einige kleine Fehler störten den Eindruck des Gesichtes; so schielten die schönen, vanillebraunen Pupillen der Augen ein wenig, und die Nase war oft an der Spitze rot.
Fräulein Lanin legte ihr Köpfchen auf die Schulter ihrer Freundin und seufzte: »Liebste Rosa! Ich habe dir viel zu erzählen.«
»Wirklich? Erzähl doch!« drängte Rosa mit großer Teilnahme. »Ich habe wohl davon gehört – aber…«
»Ja, ja –« sagte Sally bewegt. Dann rief sie träumerisch: »Lieber Lurch!«
»Fräulein Sally!« erwiderte dieser.
»Lieber Lurch! Geben Sie auf einen Augenblick die Büchse mit den trocknen Pflaumen her.«
»Ja, Fräulein Sally. Es ist jedoch nicht viel mehr darin.«
»Die trocknen Pflaumen, Lurch«, wiederholte Sally bestimmt.
»Gewiss, Fräulein Sally; warum auch nicht? Hier!« Und er hielt ihr eine hohe Büchse hin.
»Ja Rosa, du hast von uns gehört«, begann Fräulein Sally, ohne die Büchse anzusehen, in die sie ihre Hand tief versenkte.
»Der Vater sprach von euch, ich hörte aber nicht recht hin. Was ist es denn?« fragte Rosa.
Sally brachte jetzt eine Pflaume zum Vorschein, betrachtete sie und erwiderte dann: »Ein zweiter junger Mensch kommt ins Geschäft.« Dann steckte sie die Pflaume in den Mund.
»Ein Verwandter von dir?«
»Lieber Lurch«, unterbrach Sally ihre Freundin, »stellen Sie die Büchse her und gehen Sie ein wenig in den Hintergrund. Ich habe mit meiner Freundin zu sprechen.«
Lurch gehorchte und rief aus der Dunkelheit kläglich hervor: »Ist es so weit genug, Fräulein Sally?« – »Ja, Lurch! Ich danke. Siehst du, Rosa«, nahm sie das Gespräch wieder auf, »er ist ein schlechter junger Mensch.«
»Du meinst natürlich den Neuen«, schaltete Rosa ein.
»Ja, der Neue. Er hat Schulden gemacht. Er liebt eine Zigeunerin, oder Kunstreiterin, ich weiß es noch nicht genau. Nun wird der arme junge Mensch von der Geliebten getrennt und soll vergessen, soll sich bessern und das Geschäft erlernen. Sehr wüst soll er sein. Ob er sich bessern wird? Gott gebe es!«
»Wie alt ist er denn?«
»Zwanzig Jahre, sehr jung, nicht wahr? Die Person, die ihn verführt hat, weißt du, muss keine gute sein, und er vergisst sie wohl.«
»Wer kann das wissen!« meinte Rosa mit einem sehr verständigen Gesicht. »Die Frauen von der Bühne bestricken die Männer ganz seltsam.« Fräulein Lanin wollte das nicht wahrhaben und schüttelte ihren Kopf mit den vielen Löckchen, denn zwei Pflaumen in ihrem Munde hinderten sie am sprechen. »Weißt du noch«, sagte Rosa, »in dem Roman ›Anna-Liese, die Männerhasserin‹ ist’s auch eine Tänzerin, die den jungen Golo unglücklich macht.« Fräulein Sally schluckte heftig und breitete die Arme aus; sie wollte etwas sehr Wichtiges vorbringen. »Und«, fuhr Rosa eifrig fort, »wenn er ein Wüstling ist, dann wird das Leben hier ihm fade erscheinen.«
»Nein, mein Herz«, begann Sally, sobald die Pflaumen es gestatteten. »Nein, nein!« Und sich plötzlich unterbrechend, rief sie: »Lieber Lurch, können Sie etwas hören?«
»Ein wenig, Fräulein Sally«, verlautete die freundliche Stimme aus der Ecke. »Ich kann es nicht leugnen; ab und zu höre ich doch einiges.«
»Dann halten Sie sich die Ohren zu. Seien Sie so gut, ja?« – »Ohne weiteres, Fräulein Sally. Nur fürchte ich, wenn jemand käme und wollte etwas kaufen, so würde ich’s nicht hören.«
»Seien Sie unbesorgt! Ich werfe Sie dann mit einem Pflaumenkern.«
»Danke, Fräulein Sally. So, jetzt höre ich nichts mehr.«
»Nun denn«, nahm Sally ihre Erörterung wieder auf. »Du bedenkst nicht, liebe Rosa, dass das Familienleben, die Gesellschaft des Papa und dann, weißt du, der Umgang mit gebildeten, feinfühlenden Mädchen ihm guttun wird.«
»Meinst du?« warf Rosa zerstreut hin.
»Gewiss! So etwas verfehlt nie seinen Eindruck auf Männerherzen. Er sieht gut aus, sehr gut.« –
»So; braun?«
»Ja, goldbraunes Haar in Locken; große Augen.« Sally beschrieb mit dem Finger einen Kreis um ihr halbes Gesicht.
»In drei Tagen, denke ich, wird er hier sein. Dann lege ich die Trauer ab; es sind schon volle sechs Monate her, dass der arme Onkel starb. Papa sprach von einem Tanzabend. Du verstehst, um ihn zu zerstreuen. Ambrosius heißt er.«
»So hörte ich«, erwiderte Rosa und erhob sich, »begleitest du mich vielleicht?«
Nein, Sally mochte nicht spazierengehen, sie musste einen Roman zu Ende lesen, eine sehr spannende Erzählung: »Emmas Schmerz«. Sie fürchtete, ihre Heldin stehe im Begriff, sich das Leben zu nehmen. So – dann wollte Rosa allein gehen; es war zu warm im Zimmer. Sie küssten sich und standen noch einen Augenblick beieinander, dieses und jenes zu erörtern. Eine rote abendliche Sonne drang durch die trüben Fensterscheiben, blitzte auf den Blechbüchsen, erweckte