Instagirl. Annette Mierswa
wenn du mich noch sehen willst, Papa.
5
Als ich mit Yara auf Joshs Party auftauchte, wurde schon getanzt und bis auf ein paar Chips und Colaflaschen war alles bereits verputzt worden.
»Da seid ihr ja endlich.« Josh stolperte uns entgegen, nachdem er sich durch die tanzende Menge gekämpft hatte. »Haben sie euch im Shoppingcenter eingeschlossen?« Er grinste. Aber dann sah er meine geröteten Augen und Yaras strafenden Blick. Er umarmte mich vorsichtig. »Was ist passiert?« Inzwischen waren auch Suri und Nelly dazugekommen.
»Ist wer gestorben?«, fragte Nelly.
»So ungefähr«, antwortete Yara. »Isis Papa ist ausgezogen. Besser gesagt, er hat einen Job in Tokio angenommen, als Auslandskorrespondent.«
»Ach, deshalb das Pic von Lilly als Mangacomic«, sagte Suri betrübt. Sie nahm meine Hände und streichelte sie. »Aber er kommt doch sicher bald wieder?« Ich schüttelte den Kopf.
»Paul kommt.«
»Paul?«
»Der Scheißpaul.«
Ich schob mich durch die Menge der Tanzenden, die mich freudig begrüßten, und ließ mich auf ein Sofa fallen. Yara setzte sich neben mich.
»Oh, der Platz im Paradies ist frei.« Matteo quetschte sich auf meine andere Seite.
»Das Paradies ist abgebrannt.«
»So heiß ist es da?«
Ich sah Matteo betrübt an.
»Und trostlos … Wir haben jetzt noch etwas gemeinsam«, sagte ich bitter.
»Was denn?« Matteo legte einen Arm um meine Schultern. »Vielleicht unkontrollierbare Zuckungen in den Mundwinkeln?« Er ließ seine Lippen hin- und herwandern, bis er mir schließlich einen Kuss auf die Wange gab.
»Nein, unkontrollierbare Eltern. Besser gesagt, getrennte Eltern.« Matteo wurde schlagartig ernst.
»Oh, Scheiße.«
»Jawoll«, sagte ich, »Scheiße.«
»Hör mal.« Matteo sprach nun ganz sanft. »Ich wohn ja sozusagen um die Ecke. Wenn du mich brauchst … also … komm einfach, ja?« Ich sah ihn an. Seine Augen waren der Hammer, grün wie Kleeblätter. Und einen Moment lang dachte ich, dass dieser grünäugige Prinz mich retten könnte, was auch immer passierte. Ich bräuchte nur aufzuspringen auf sein weißes Pferd.
»Danke.« Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen. I’d catch a grenade for ya, dudelte es aus den Lautsprechern. Matteo nahm mich in den Arm und zog mich hoch.
»Throw my head on a blade for ya«, hauchte er mir ins Ohr und bewegte sich langsam mit mir auf die Tanzfläche, während er mich fest an sich drückte und sein warmer Atem meinen Nacken streifte. Matteo war mein bester Freund, solange ich denken konnte. Im Kindergarten hatten wir den Pfützenstrolch gejagt, in der Grundschule Pausenbrote geteilt und auf den ersten Partys war er wie mein Bruder gewesen, einer, bei dem man sich sicher fühlen konnte, weil es keine Hintergedanken gab. Aber dann, vor ein paar Wochen hatte sich plötzlich etwas verändert. Seine Augen waren nicht mehr einfach grün gewesen, sondern kleeblattgrün. Seine Stimme, die so vertraute, hatte mit einem Mal mein Herz in Schwingungen versetzt. Und wenn sich beim Tanzen unsere Wangen berührten, erblühte in mir ein neues zartes Pflänzchen, das sich um mein Herz rankte wie die Rosen um mein Kinderfahrrad.
I’d catch a grenade for ya.
Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen, überließ mich seiner Führung, schmiegte mich an seine Brust und hoffte, dass sein Herz ebenso pochte wie das meine. Alles andere verschwamm, wurde unwichtig, driftete ab in die düstere Unendlichkeit.
»Dornröschen«, flüsterte er.
Eine Träne lief mir über die Wange, salzlos vor Glück, und es gab nur noch diesen einen Moment, für alle Zeiten. Ich konnte Matteos Atem spüren, der immer näher kam …
Als ich blinzelte, blickten seine Kleeblattaugen mich liebevoll an. Jetzt könnten wir uns küssen, dachte ich. Die Welt drum herum würde sich drehen und glitzern wie ein Paillettenhimmel. Ich würde endlich die kleine Narbe an seiner Lippe berühren können, die in einem Grübchen verschwand, wenn er lächelte, und seine sanfte Stimme würde mir Liebkosungen zuraunen. Es würde alles gut werden, für immer … Jemand zupfte mich am Ärmel.
»Deine Mutter stand vor der Tür.« Josh zog entschuldigend die Schultern hoch. »Ich hab ihr gesagt, dass du gerade beschäftigt bist. Da ist sie abgerauscht.« Ich brauchte einen Moment, um aus der Ewigkeit aufzutauchen. Matteo lockerte seine Umarmung und ich kam schwankend zum Stehen. Fassungslos starrte ich Josh an.
»Super Moment, echt Mann.« Matteo schüttelte den Kopf. Josh grinste.
»Gerne wieder«, sagte er und verschwand in der Menge.
»Alles okay?« Matteo sah mich besorgt an. Ich versank in seinen grünen Augen, nickte und versuchte, die Gedanken abzuwehren, die sich gewaltsam zwischen uns drängten, mitten hinein in unsere Paillettenewigkeit. »Wollen wir?« Matteo öffnete die Arme und lächelte. Er war so wunderschön. Unsicher lehnte ich mich an ihn und wir wiegten uns wie zuvor. Aber der Zauber war verflogen. Ich tanzte verzweifelt dagegen an, sog Matteos Duft ein, schloss die Augen und ließ mich in seine Arme sinken, die eben noch die ganze Welt gewesen waren. Was wollte Mama? Warum dieser Paul? Warum ließ Papa mich allein? Und unerbittlich zog ein grauer Schleier über den glitzernden Paillettenhimmel. Was, wenn Matteo mich auch fallen lassen würde, wenn er etwas an mir entdeckte, was ihm missfiel? Wie konnte ich sicher sein, dass er es ernst meinte? Und wie schrecklich würde es sein, ihm zu begegnen, wenn er mich abgewiesen hatte. Ich müsste ihm immer aus dem Weg gehen, weil es so wehtun würde … Ich hatte meinen Vater verloren, ich wollte nicht auch noch meinen Traum verlieren. Ich wand mich aus der Umarmung und blickte Matteo entschuldigend an.
»Was ist?«
»Ich muss gehen«, sagte ich. Matteo nahm meine Hände und versuchte, mich an sich zu ziehen.
»Dornröschen.«
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich konnte ihn nicht länger ansehen. Dieser Traum war alles, was ich hatte. Ich drehte mich um und flehte Yara an.
»Bitte lass uns gehen.«
»Jetzt schon? Wir sind doch gerade erst gekommen.« Ich fiel ihr um den Hals und drückte sie fest. »Was ist mit Matteo? Er sieht dich an wie ein verliebter Pudel.«
»Ach was. Bitte lass uns gehen«, drängte ich.
»Ich versteh’s zwar nicht, aber wenn du meinst …« Yara verabschiedete sich achselzuckend von Matteo und flüsterte ihm etwas zu. Er nickte und umarmte mich.
»Gute Besserung. Du weißt ja, wo du mich findest.«
»Danke.«
Es war ein merkwürdiger Abschied, als wäre etwas kaputtgegangen und wir würden so tun, als sei nichts passiert. Schnell bahnte ich mir einen Weg durch die Menge all meiner tanzenden Freunde, die mir zulachten und mich begrüßten. Kurz darauf waren wir draußen und liefen einige Minuten wortlos nebeneinander her. Schließlich brach Yara das Schweigen.
»Ich kann es nicht fassen, Isi. Was war das denn?« Sie gestikulierte wild in der Luft herum. »Das war doch der perfekte Moment. Die ganze Zeit wartest du darauf. Und dann lässt du Matteo einfach abblitzen? Ich fass es nicht.« Yara blieb stehen und sah mich an. Sie wartete auf eine Reaktion, aber ich lief einfach weiter, drehte mich nicht um, sagte kein Wort. Ich verstand mich selbst nicht. »ISI, jetzt warte doch!« Yara rannte hinter mir her. »Ich versteh ja, dass dich das mit deinen Eltern fertigmacht, aber Matteo …«
»Gar nichts verstehst du«, sagte ich scharf. »Deine Eltern sind zusammen.« Yara starrte mich an.
»Isi, ich bin’s, deine beste Freundin. Das meinst du nicht ernst, oder?«
Tränen liefen mir über die Wangen und der sternenlose Himmel hing wie eine Bleidecke über uns. Ich schlang meine Arme um Yara und drückte sie fest an mich.
»Tut mir leid«,