Adieu, Fortpflanz. Polly Adler

Adieu, Fortpflanz - Polly  Adler


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das Kind entweder im ›Engländer‹ oder im Taxi vergessen.«

      Ich war zum damaligen Zeitpunkt nicht fünfzehn, sondern schon dreißig Jahre alt. Das »Engländer« in der Postgasse war mein Stammcafé. Ich wohnte nahezu dort, ließ mir die Post hinbringen, erledigte dort alles – vom Liebeskummer bis zu Interviews.

      Auch sonst lief wenig so, wie ich es mir damals, als sie mir eine Barbie mit aufklappbarem Babybauch und vielem aufregendem Zubehör unter den Weihnachtsbaum gelegt hatte, vorgestellt hatte.

      Der Kindsvater, mit dem ich zu diesem Zeitpunkt bereits eine über ein Jahrzehnt währende Stop-and-Go-Beziehung hinter mich gebracht hatte, verhielt sich auch nicht so wie die handelsüblichen zukünftigen Väter in den amerikanischen Vorabendserien. Er bekam weder ein vor Enthusiasmus trunkenes Gesicht, noch wirbelte er mich durch die Luft und rief: »Wir sind bald zu dritt!« oder »Du machst mich zum glücklichsten Mann der Welt!«

      Wahrscheinlich bin ich generell eine Frau von geringer Wirbeltauglichkeit.

      Er fragte mich nur, wie ich ihm das ausgerechnet jetzt, wo er doch gerade erst achtunddreißig wäre und sein Leben noch voll vor sich hätte, so etwas antun könne. Er wäre einfach noch nicht reif für solche spaßbedrohlichen Umwälzungen. Außerdem fühlte er sich von mir hintergangen.

      Damals glaubte ich noch daran, dass in dem Moment, in dem dieses kleine Wesen auf die Welt plumpste, sich alles zum Guten wenden und es unserer daniederliegenden Beziehung eine magische Wende versetzen würde.

      Wie sich später herausstellen sollte und ich auch bei anderen beobachten konnte, war das unglaublich naiv. Kinder sind wie Stereoboxen. Sie verstärken das Glück, aber auch das Unglück. Wenn eine Liebe schon in Trümmern liegt, wird eine Baby-Landung die Beziehung noch aussichtsloser machen, als sie ohnehin schon ist. Das sind keine Schuldzuweisungen, nur Feststellungen. Trotzdem bin ich im Nachhinein sehr froh, dass der Fortpflanz von einem Mann stammt, den ich wirklich geliebt habe.

      Aus Gründen, die ich später über vier Jahre lang mit meinem Psychotherapeuten bemurmeln sollte, beschloss ich, die unschwangerste Schwangere der westlichen Hemisphäre zu werden. Geburtsvorbereitungskurse, pränatales Baby-Shopping, die Lektüre von entwicklungspsychologischen Ratgebern, hormontrunkene Schafsblicke in Kombination mit notorischem Streicheln über den wachsenden Babybauch – nein danke. Viel zu uncool. Schließlich hatte ich ein Leben, und einen Beruf, den ich liebte und wo es auch gerade ziemlich gut lief.

      Ich wollte partout nicht eine von diesen Gebärkühen werden, für die Fortpflanzung und Brutpflege zum alleinigen Lebensinhalt mutierten.

      An eine mehrmonatige Karenz war ohnehin nicht zu denken. Nicht einmal an eine mehrwöchige. Der Kindsvater verfügte über ein eher sporadisches Einkommen, das er auch nicht zwingend für ein Kind, zu dem man ihn quasi verdonnert hatte, ausgeben wollte. Und ich war ohnehin ständig in Existenzpanik. Mit gutem Grund: Ich kann mit Geld überhaupt nicht umgehen. Desto weniger Geld ich hatte, desto lustvoller habe ich das nicht vorhandene Geld ausgegeben. »Sechsspännig ins Armenhaus« war irgendwie mein finanzielles Lebensmotto geworden.

      Ich war schon ziemlich schwanger, als der Kindsvater und ich in Miami überwinterten. Mission »Beziehungs-Neustart«. Am 31. Dezember 1993 fand ich mich knapp vor Mitternacht in einer Schwulendisco, in der eine Menge Lederhengste mit nacktem Oberkörper und Pornobürsten-Bärten herumturnten. Die Bässe waren so laut, dass es meinen Bauch zu ihrem Rhythmus hob. Ich flüsterte meiner ungeborenen Tochter zu: »Verzeih mir bitte schon jetzt, aber bei uns wird möglicherweise alles anders als bei den anderen.«

      Und trotz des Gedröhnes und des Stimmengewirrs bildete ich mir damals ein, sie antworten zu hören: »Passt schon. Man kann sich seine Mutter ja schließlich bekanntlich nicht aussuchen.«

      Wir stritten viel in Miami. Unter anderem darüber, wie unser Kind heißen sollte. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass es zu Stella keine Alternativen gab. Stella war kurz, signalisierte Selbstbewusstsein und war eigentlich nicht zu verschandeln. Ich glaube, zu dem Namen hat mich Marilyn Monroes Schauspiellehrerin Stella Adler inspiriert. Weiß der Geier, warum wir das Kind später Stelli, Stellusch oder Stellinka rufen sollten.

      Der Kindsvater wollte seiner Tochter jedoch Namen verpassen, deren bloße Aussprache mir einen Zuckerschock versetzte. Ich setzte mich durch. Wenn mein Leben als werdende Mutter schon so gar keiner amerikanischen Vorabendserie glich, wollte ich wenigstens das Machtmonopol über den Vornamen besitzen.

      Die Geburt meiner Tochter erscheint mir im Rückblick wie eine mehrtägige Party. Ich hatte am Nachmittag noch ein wenig Rotwein bei einer Osterjause getrunken, damit die Wehen endlich losgingen. Das hatte mir einmal eine Tiroler Bäuerin erzählt: Rotwein treibe die Sache zügiger voran. Ich checkte in eine Privatklinik ein, in der sich die Gattin des Primars flächendeckend mit Obst- und Landschaftsgestaltungen in sehr lauten Aquarellfarben selbstverwirklicht hatte. Ich dachte mir damals, dass Presswehen nicht schlimmer sein können als diese Kunstwerke.

      Der Kindsvater, der eigentlich sauer war, dass ich seinen Fernsehabend unterbrochen hatte, war nur mit Mühe dazu zu bewegen gewesen, mich zu begleiten. Bei mir lief wirklich gar nichts wie im Barbie-Katalog.

      Ich entschied mich für eine Geburt, bei der ich an einer Wand lehnte. In irgendeiner Doku hatte ich gesehen, dass so die Indianerinnen ihre Kinder zur Welt bringen. Es erschien mir auch völlig logisch, Schmerzattacken nicht im Liegen zu bewältigen und mir die Gesetze der Schwerkraft durch eine Stehposition zunutze zu machen. Nach zweieinhalb Stunden war das Kind da. Es war zwei Uhr achtundzwanzig nachts, und es ist mir ein Rätsel, wie manche Mütter vergessen können, zu welchem genauen Zeitpunkt sie ihre Fortpflänze in die Welt geschossen haben.

      Ich hörte, wie der Kindsvater mit der Hebamme verhandelte, dass seine Tochter nicht neunundvierzig, sondern eigentlich fünfzig Zentimeter lang wäre und man das gefälligst auch so zu Protokoll bringen möge. Ich fragte mich in diesem Moment, wer eigentlich auf die idiotische Idee gekommen war, die Männer in den Kreißsaal mitzuschleppen, anstatt sie zum Kettenrauchen ins Vorzimmer zu verbannen. Und im Vorfeld dafür Sorge zu tragen, dass sie sich später mit ihren Kumpels in aller Ruhe fröhlich betrinken und garstige Lieder absingen können. Es wäre für die Nerven aller Beteiligten wahrscheinlich vernünftiger. Und sollte man an der Fortführung eines Sexuallebens von Anstand und Würde interessiert sein, sowieso. Egal, diese Chance hatte ich vertan.

      Die kommenden Tage waren großartig. Ich funktionierte mein Zimmer zu einer Party-Location um. Es wurde getrunken, gegessen, gelacht, die Bude war fast immer voll. Im Schlafrock besorgte ich in der gegenüberliegenden Tankstelle Spirituosen und cholesterinhaltige Schweinereien. Ich wollte noch ein bisschen unvernünftig sein dürfen, bevor ich mich zu einer entsetzlich funktionstüchtigen Person verwandeln musste.

      Einer meiner Besucher, der Volksschauspieler und Wirt Hanno Pöschl, sagte zum Abschied: »Wenn das ein Wirtshaus wäre, dann hieße es ›Zur fröhlichen Wöchnerin‹.« Das war ein großes Kompliment.

      Ich beschloss, so lange wie möglich in diesem Etablissement, das ein Hybrid zwischen Kitschhotel und Gebärklinik war, zu verharren. Denn ich wusste genau: So viel Rundum-Service würde ich wahrscheinlich die nächsten achtzehn Jahre nicht mehr haben.

      Nach einer Woche warfen sie mich hinaus und ins kalte Wasser. Der Kindsvater holte uns ab und chauffierte uns in meine Wohnung. Wir hatten zwei Wohnsitze. Hochmodern. Als er mich mit dem Kind nach oben gebracht hatte, sagte er beim Abschied: »Ich möchte nur, dass du wirklich weißt, dass ich nicht der Kleinfamilientyp bin.«

      Der Satz traf mich tief, aber dass ich meine Tochter im Alleingang großziehen würde, hatte ich ohnehin schon geahnt. Meine Freundin Mimi, die seit unserem dreizehnten Lebensjahr in meinem Leben war, hatte alles vorbereitet. Sie hatte ein paar geborgte Strampler und eine Wiege organisiert. Das Kind war zehn Tage früher gelandet, als ursprünglich geplant. Und natürlich hätte ich selbst diese Deadline verpasst und gar nichts, aber auch wirklich gar nichts vorbereitet. Außerdem glaubte ich an das jüdische Muttergesetz, dass es Unglück bringen könnte, wenn man Babysachen kauft, bevor das Kind noch gesund auf der Welt ist.

      Es dauerte nicht lange, da machte der Fortpflanz seinen


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