Adieu, Fortpflanz. Polly Adler
Wiesenblumen zusahen. Sie konnten das alles nicht fassen. Schließlich kannten die mich ganz anders.
Beim Picknick auf einer wasserfesten Harrods-Karodecke fror das Bächlein unseres Gesprächs des Öfteren ein. Manchmal fragten sie mich einfach nur: »Geht’s dir noch irgendwie?«
Ich wiederholte mantramäßig: »Ich bin sehr glücklich und ausgeglichen.«
Irgendwann begann die Fassade des so hart erarbeiteten Glücks dann dennoch zu blättern. Es begann mit gröberen Kommunikationsschwierigkeiten mit meiner Tochter: »Mama, leg mi grea a«, krähte sie eines Morgens, um ihrem Wunsch, ein laubgrünes Kleid anzuziehen, Ausdruck zu verleihen. Im örtlichen Kindergarten herrschte ein eigenes Sprachgefühl.
Dass mir der Kindsvater einen drei Hand langen Rattenmann, der sich im Keller in einer Putzkiste einen Hauptwohnsitz eingerichtet hatte, als gut genährte Feldmaus verkaufen wollte, brachte mich überdies aus dem Gleichgewicht.
Gänzlich unrund machten mich jedoch die immer spärlicher stattfindenden Anrufe aus den bebauten Gebieten.
»Ich bin fertig«, krächzte E nicht unsadistisch in den Hörer, »gestern ging wieder so was von die Post ab, und in der Soundso-Bar ist mir dann um drei dieser NeoGeo-Künstler in die Arme gelaufen, der jetzt auch in experimenteller Poesie macht. So ganz nach dem frühen Jandl. ... Ein herrliches Desaster ...«
Dass beim einzigen und ob seiner Monopolstellung erbärmlich schlecht sortierten Greißler eine Jugendbande einfiel und dreihundert Schilling aus der Handkasse erbeutete, nutzte ich als Vorwand, um die Flucht in die Stadt anzutreten. Ich flüsterte dem Kindsvater zu: »Entschuldigung, hier geht’s ja zu wie in Chicago! Das ist doch keine Lebensqualität.«
Heute residiere ich wieder im aufregendsten Teil der Leopoldstadt. Mein Ambiente ist völlig vom Landidyllen-Virus gesäubert. Das Geschirr mit den toten Fasanen ist mir sukzessive aus der Hand geglitten. Ich kaufe Marmelade im nächsten Supermarkt. Plädiere für Trockenblumen-Freiheit. Trage wieder Existenzialisten-Schwarz. Meine Tochter spricht breitestes Wienerisch und will abends keine Beatrix-Potter-Häschenbücher vorgelesen kriegen, sondern Disney-Videos anschauen.
Jüngst stand ich morgens im Stau auf der Taborstraße. Zwei Polizisten hechteten mir mit erhobenen Revolvern ganz auf »Miami Vice« entgegen.
»Was wird denn hier gedreht?«, fragte ich.
»Hear’n S’, des is ka Fülm, des is echt«, keuchten sie mir im schnellen Lauf entgegen und legten einem kleinen türkischen, sehr verschreckten Knaben Handschellen an. Sie fühlten sich dabei offensichtlich sehr stark und hoch professionell.
Da durchzuckte mich ein warmes Gefühl der Liebe und ich wusste: Mein Wien hatte mich wieder!
Ein Alibi-Typ namens Wolfi
Schon mal was von einer Kindergruppe gehört? In einer solchen Institution habe ich meine Tochter geparkt, während Mami mit heraushängender Zunge in den Mühlen der kapitalistischen Marktwirtschaft zappelt.
War gerade nichts anderes frei. Eine Kindergruppe hebt sich durch vielerlei von den üblichen Deponien für die geliebte Brut ab. Plastikspielzeug ist dort pfui; es kommt ausschließlich Gemüse, das einen glücklichen Tod gestorben ist, auf den unbehandelten Kiefertisch. Zwecks Minimalisierung der Geschlechterdiskriminierung wird unter das Aufsichtspersonal ein Mann geschummelt. Unser Alibi-Typ heißt Wolfi, darf unter keinen Umständen mit Onkel angeredet werden und trägt einen kleinen, frivolen Ohrring. Er sagt so Sachen wie: »Die Kleine spürt mich jetzt wieder total.«
Wolfi bezieht sich offensichtlich auf die Tatsache, dass das Kind ab und an völlig unvermittelt spitze Freudenschreie ausstößt: »Mamii, das befreit mich so.«
Und erst der Elternabend. Ein geschlossenes Tribunal voll offener Geister in Filzpantoffeln. Zugegeben: Um der kollektiven Missbilligung Vorschub zu leisten, hab ich mir schon mal einen (von meiner Mutter geborgten) Hermes-Seidenbomber mit tüchtig Jagdkutschen drauf um den Hals gezurrt. Und auch schon kräftig Tadel eingeheimst von dem Vorsitzenden, einem Ziegenbärtchenträger.
S möge ihren rosa Turbo-Staubsauger und die Krankenschwester-Barbie zukünftig besser zu Hause lassen – hier drohe die Gefahr der Heranzüchtung geschlechtsspezifischer Stereotypen. Und auch die Mitgabe von Jausensemmeln mit Pariser Wurst wäre nicht opportun – all das tote Zuchtschwein und das weiße Mehl hätten fürwahr keinen Vorbildcharakter.
Jetzt plane ich einen subversiven Anschlag. Ich schenke meinem Augenstern schon morgen einen Reitlehrer-Ken und eine signalrote Plastikpistole samt Weitspritzventil. Die sollen mich kennenlernen, ich kann nämlich noch ganz anders.
Die berührendste Wurst
»Schnucki«, sagte mein Ressortchef, »Schnucki, heute Nachmittag ist Dennis Hopper in der Stadt, und du, mein Täubchen, wirst ihn interviewen.«
Ich schluckte. Nicht, dass ich nicht rasend geschmeichelt gewesen wäre, dass man mich mit so einer verantwortungsvollen Aufgabe bedachte, aber ... Ich senkte demutsvoll die Wimpern und flüsterte: »Ich weiß, du wirst mich jetzt verachten, aber das geht bitte nicht ...«
»Und warum nicht? Kann man irgendetwas Besseres vorhaben? Mir fällt eigentlich ad hoc nix ein.«
Ich bemühte meine beste Mater-Dolorosa-Miene und hauchte: »Meine Tochter spielt heute Nachmittag im Pfarrheim die Wurst in der ›Kleinen Raupe Nimmersatt‹. Und wenn ich mich da nicht feedbackmäßig megawichtig mache, kann ich gleich jetzt meine Sachen packen und unter die Rotunden-Brücke ziehen.«
Die Ansage war mir doppelt peinlich. Erstens, weil ich mich meinem obercoolen Chef gegenüber als sentimentales Muttertier outete, und zweitens, weil die kleine Rampensau nicht einmal die Titelrolle abgekriegt hatte.
»Und kann man da nicht etwaige biologische oder adoptierte Väter, Omas oder Miet-Ammen einsetzen?«
Ich schüttelte entschieden den Kopf: »Stunt-Claqueure gelten nicht.«
Ich begann schon einmal zu beten, dass Herr Hopper eine Migräneattacke, schlechte Laune oder Probleme mit der Matratze im »Sacher« hatte.
In der Zwischenzeit sah mich mein Ressortchef mit traurigen Augen an und sagte: »Du wirst es nicht glauben, aber ich mag Kinder.« Und erzählte mir dann, dass sein Mutter-Verhältnis über Jahrzehnte verkühlt gewesen sei, weil sie seine Frosch-Performance im Volksschulen-»Froschkönig« aus echt banalen Gründen geschwänzt hatte.
Übrigens: Es gab einen Gott an diesem Tag, und Herr Hopper hatte Migräne oder sonst was. Und meine Tochter war die berührendste »Wurst«-Darstellerin von Gramatneusiedl bis Nebraska. Und glauben Sie mir: Ich habe sie alle gesehen.
Das Sisi-Karaoke
Schon morgens muss ich dem kleinen Luder den Lakai machen. Ja, sie verlangt allen Ernstes von mir, dass ich mich an die Wand stelle und mich stumm verneige, wenn sie zum Frühstück rauscht. Das Übel nahm seinen Anfang mit der »Sisi«-Trilogie im Weihnachts-TV, die wir unvorsichtigerweise aufgenommen haben.
Während mein geliebter Fortpflanz nun ihre Cornflakes löffelt, blickt sie gerne versonnen in den Lichthof und gibt so was von sich wie: »Kroatisch lerne ich nie. Nur dem Ungarischen fühle ich mich so verbunden, obwohl ich noch nie da gewesen bin!« Oder: »Mein geliebtes Possenhofen! Wann werde ich es nur wieder sehen?«
Wenn zum Beispiel dann der Briefträger läutet, fragt sie: »Wer da, Maman?«
Sollte ich dann nicht mit »Graf Andrássy« rüberkommen, gibt es Zoff.
Dann sagt sie mit viel Sehnsucht in der Stimme: »Ich lasse bitten.«
Später gibt es sowieso Mega-Zoff, weil sie partout mit einem Blechkrönchen am Kopf und diesem schweinsrosa Alptraum aus Tüll in den Kindergarten will. Die Knaben dort haben sich schon daran gewöhnt, dass sie ab sofort alle Franzl heißen und wahlweise mit den Ansagen »Ich bin