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DIVINE - BLICK INS FEUER. Cheryl Kaye Tardif
Hastings«, lachte er. »Aua! Nicht immer gleich der Ellenbogen!«
Jasi beobachtete ihren Kollegen mit seinen breiten Schultern und den grauen Augen. Benjamin Roberts war Mitte dreißig. Ein großer eindrucksvoller Mann, der Armani-Anzüge wie eine zweite Haut trug, wodurch sein muskulöser Körper perfekt zur Geltung kam.
»Ein neues Paar?«, fragte sie mit einem Blick zu seinen Handschuhen.
»Das Futter der alten war hinüber.«
Sie versuchte sich vorzustellen, wie anstrengend der Alltag für ihn manchmal sein musste.
Ben war ein Psychometrischer Empath.
Wenn er jemanden berührte, empfing er stoßweise Gedanken oder Gefühle. Die Handschuhe wurden speziell für ihn konstruiert, um ihm einen normalen Alltag zu ermöglichen. Das Innenfutter der Lederhandschuhe blockte seine übernatürliche Begabung. Es war wichtig, ihn nicht allzu vielen Einflüssen auszusetzen, damit er sich genau auf laufende Ermittlungen konzentrieren konnte.
Abgesehen davon war Ben auch ein außergewöhnlicher Kampfsportler und der beste Profiler, den das CFBI zu bieten hatte. Seit über fünfzehn Jahren arbeitete er nun schon für das kanadische Federal Bureau of Investigators, lange bevor es überhaupt als CFBI in der Öffentlichkeit auftrat.
In den späten 1990er-Jahren strebte die kanadische Regierung eine Politik der „offenen Tür“ mit den USA an – und damit auch einen regen Informationsaustausch. Den Anfang machte ein Computerprogramm, auf welches beide Länder Zugriff hatten, um Informationen über sämtliche Verbrecher, Vergewaltiger, Pädophile, Entführer oder Serienmörder mit nur wenigen Mausklicks einsehen zu können.
Das CSIS-Programm sollte Kanadas nationale Sicherheit gewährleisten und internationale Terroraktivitäten überwachen.
2003 wurde das CFBI dann offiziell als kanadisches Gegenstück zu dem neu gegründeten FBI in den USA präsentiert. Letztendlich übernahm das CFBI auch CSIS und vernetzte es mit mehreren Abteilungen. Agents wurden über Ländergrenzen hinweg eingesetzt und wieder abgezogen, eben je nach Bedarf.
Manche Agents hatten übernatürliche Fähigkeiten und wurden Psychic Skills Investigators genannt – PSIs.
Die Öffentlichkeit kam natürlich zu keiner Zeit auf die Idee, dass die Regierung mit übernatürlich begabten Agents arbeitete. Selbst jetzt, im Jahr 2012, blieb diese Tatsache ein gut gehütetes Geheimnis.
»Hey! Jasi! Ben! Hier drüben!«, rief eine Frau.
Jasis zweite Partnerin, Natassia Prushenko, war groß und mit wahnsinnig langen Beinen gesegnet – und mit einem Busen, für den Jasi töten würde. Sie trug ihre kurzen schwarzen Haare als fransigen Stufenschnitt. Ihre saphirblauen Augen funkelten geheimnisvoll. Die beiden hatten sich seit fast zwei Wochen nicht mehr gesehen, doch Jasi bemerkte sofort, dass irgendetwas an ihr anders war. Abgesehen von den kupferfarbenen Strähnchen in ihren pechschwarzen Haaren.
Natassia reichte ihr einen versiegelten braunen Umschlag. Dann gab sie Ben einen ähnlichen Umschlag und salutierte neckisch. »Agent Prushenko meldet sich zum Dienst, Sir.«
»Ach komm, hör schon auf, Natassia«, knurrte Ben und verdrehte seine grauen Augen, bevor er in den Helikopter stieg.
Natassia schmunzelte und setzte sich neben ihn. »Aye, aye, mon capitaine.«
Jasi warf ihr einen neugierigen Blick zu.
Warum grinste Natassia bloß wie ein Honigkuchenpferd?
Als sich Ben nach vorne lehnte, um etwas mit dem Piloten zu besprechen, kniff Jasi ihre Freundin in die Seite.
»Willst du mir mal sagen, was mit dir los ist?«
»Später.«
Jasi zuckte mit den Schultern und widmete sich der Aussicht. Gerade flog der Helikopter unter einer Wolkendecke hindurch. British Columbia verzauberte sie immer wieder aufs Neue mit seiner wunderschönen Landschaft, den üppigen Wäldern und majestätischen, schneebedeckten Gipfeln.
Der Pilot setzte sie sicher auf einem Landeplatz mitten in einem eingezäunten Gelände ab. Hoch oben auf dem Elektrozaun surrten zahlreiche Kameras, die ihre Ankunft genau dokumentierten. In der Mitte der Anlage befanden sich zwei riesige Gebäude, die von einer sterilen Betonfläche umgeben waren. In beiden Häusern gab es einen Empfangsbereich und unzählige Büros.
Die meisten waren leer – jedenfalls sah es so aus.
Offiziell war der Gebäudekomplex eine Forschungseinrichtung namens Enviro-Safe. Für Jasi und ihre Kollegen vom CFBI war es Divine Operations – von den meisten Agents einfach Divine Ops genannt. Divine Ops an sich war allerdings nicht sichtbar. Es befand sich mehr als fünfzehn Meter tief unter der Erde und erstreckte sich über ein Labyrinth von Tunneln und Bürokomplexen.
»Aha, die Sache ist anscheinend wirklich wichtig«, murmelte Natassia mit dunkel glitzernden Augen, als sie Jasi aus dem Helikopter folgte.
Am Ende der Rollbahn erwartete sie bereits ein ungeduldig wirkender Mann.
»Allerdings«, stimmte Jasi zu. »Irgendein hohes Tier steckt da mit drin. Ich glaube, dieser Brand wird uns noch ganz schön ins Schwitzen bringen. «
Sie stieß Natassia neckisch in die Seite und eilte auf den Gründer von Divine Ops zu.
Matthew Divines Forschungen im Bereich übersinnlicher Phänomene hatten ursprünglich zu dem Aufbau von Kanadas größter PSI-Trainingseinrichtung geführt. Die Regierung hatte das Gebäude einfach als Labor deklariert – zur Erforschung von Umwelteinflüssen auf die Bevölkerung, die Tier- und Pflanzenwelt und das Wetter.
Die Anwohner wussten nichts vom CFBI auf diesem Gelände. Sie hatten keinen blassen Schimmer, dass sich unter ihren Füßen ein Netz von Büroeinheiten vollgepackt mit der allerneusten Computertechnik versteckte. Ihnen war nicht klar, dass es sich bei den Mitarbeitern von Enviro-Safe eigentlich um hochqualifizierte Regierungsangestellte handelte, die auch noch übersinnlich begabt waren.
Sie wussten jedoch, dass Matthew Divine und Enviro-Safe der Region viel Geld einbrachten. Als sich Enviro-Safe ansiedelte, gab es im näheren Umkreis eine kleine Stadt. Ursprünglich hieß sie Mont Blanc, wurde jedoch 2005 umbenannt.
Der Stadtrat hatte sich einstimmig für einen neuen Namen entschieden: Divine.
Selbstbewusst ging Jasi mit ihren sportlichen eins-siebzig auf Matthew Divine zu. Der Mann war durchschnittlich groß, durchschnittlich aussehend, aber überdurchschnittlich intelligent. Seine langen grauen Haare waren mit einem Lederband zu einem Pferdeschwanz gebunden. Seine aufmerksamen braunen Augen wurden von einer altmodischen Schildpattbrille eingerahmt. Niemand wagte es, ihn zu fragen, warum er seine Sehkraft nicht einfach wie die meisten Brillenträger bei EYE korrigieren ließ.
Divine hatte die Arme verschränkt. Der düstere Ausdruck auf seinem glatt rasierten Gesicht alarmierte Jasi.
Ein Serienmörder war auf der Jagd.
Kapitel 2
Jasi und ihr Team folgten Divine in das Hauptgebäude – Ops One. Mehrere Sicherheits-Scanner dokumentierten die verschiedenen Daten aller Agents, bevor sie zu einem schmalen Gang gelangten. Dieselben Programmierer, die H-SECS entworfen hatten, waren auch für das Sicherheitssystem von Divine Ops verantwortlich. Seit der Entführung und Ermordung des Premierministers 2008 arbeiteten sie mit Hochdruck an einem undurchdringlichen und praktisch unfehlbaren Sicherheitssystem.
Jasi ließ einen Techniker mit einem mobilen Elektroenzephalographen ihre Gehirnströme auf eventuelle Rückstände paranormaler Aktivität messen. Diese Sicherheitsvorkehrung schützte PSIs vor einer übermäßigen Beanspruchung ihrer Fähigkeiten.
Erleichtert atmete sie auf, als das Gerät grün aufleuchtete. Sie war sauber.
»Willkommen zurück, Agent McLellan«, begrüßte sie Divine schließlich mit einem knappen Nicken. »Hoffentlich konnten Sie sich in Ihrem wohlverdienten Urlaub etwas erholen. Ich entschuldige mich für das frühzeitige Ende. Sind Ihnen die Details des Falls bereits bekannt?«
Jasi hielt den Umschlag hoch. »Ben hat mir gesagt, dass der Mörder etwas zurückgelassen hat…