Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme
der Herr Graf tragen die Lieutenantsuniform.«
»Was verstehst Du davon?«
Der Graf Thalhausen hatte ganz die kräftige Figur eines derben Kürassieroffiziers; sein Wesen war etwas mehr als derb. Es gibt Kavallerieoffiziere, die ihre Erziehung im Pferdestalle erhalten zu haben scheinen. Gegen den Kellner schien er geflissentlich übermütig zu sein.
In dem Gesichte des Kellners konnte man schon bei dem ersten Anblick des Grafen eine gewisse Verstimmung lesen. Er antwortete dann dem Grafen zwar mit vollkommener äußerer Höflichkeit, aber man sah deutlich, wie er sich Zwang dabei antun musste.
Die beiden mussten entweder schon früher etwas miteinander gehabt haben, oder sie hatten von ihrem ersten Begegnen an instinktmäßig eine Abneigung gegeneinander gefühlt.
»Was befehlen der Herr Graf?« fragte der Kellner mit jener Höflichkeit.
»Schokolade.«
»Sogleich.«
»Louis!«
»Herr Graf!«
»War der Graf Westernitz schon hier?«
»Nein, Herr Graf.«
Der Graf Thalhausen ging auf die Laube zu, in der die beiden fremden Herren sich befanden.
Der Kellner Louis ging zu dem Hause, um die Schokolade zu besorgen.
Als der Graf in die Nähe der Laube kam, blieb er stehen; er sah, dass sie schon besetzt war.
»Louis!« rief er wieder.
Auf den Ruf stand auch der Kellner.
»Herr Graf?«
»Wer ist in der Laube?«
»Zwei Herren.«
»Wer sind sie?«
»Ich weiß es nicht, Herr Graf.«
»Louis, sage den Herren, dass sie Platz machen. Die Laube gehört uns.«
»Ihnen, Herr Graf?«
»Schlingel!« fuhr der Graf auf.
Die Frage des Kellners hatte ihn allerdings verletzt.
Der Kellner wurde blass, als das Schimpfwort sein Ohr erreichte. Es zuckte in ihm auf.
»Schokolade!« riefen ihm in demselben Augenblicke die drei andern Offiziere zu, die gleichfalls am Hause abgestiegen waren und ihre Pferde dem Hausknecht übergeben hatten.
Und in der Sekunde darauf sah der Kellner eine freundliche Märchengestalt vorn Berge in das Tal niedersteigen.
Er eilte in das Haus, die Schokolade für die Offiziere zu bestellen.
Die drei zuletzt angekommenen Offiziere begaben sich zu dem ersten.
»Was hattest Du mit dem Menschen, Thalhausen?«
»Ei, der freche Bursche!« rief noch zornig der Graf Thalhausen. »Gibt er mir noch einmal eine solche Antwort, so wird er meine Klinge fühlen.«
»Hm, Thalhausen, gegen uns ist er immer höflich! Nur Ihr beiden seid keine Freunde.«
Der Graf Thalhausen fuhr von neuem auf.
»Spare Deine Worte, Freund Homberg. Ich bin nie der Freund eines Kellners, der mir aufwartet.«
»Was hattest Du mit ihm? Erzähle.«
»In unserer Laube sitzen Fremde. Ich verlangte von ihm, er solle sie hinausweisen. Da meinte er, ob die Laube uns gehöre.«
»Das war impertinent.«
»Und die Laube gehört uns; wir trinken jeden Morgen unsere Schokolade darin.«
»Und wir werden sie auch heute wieder in Besitz nehmen.«
»Versteht sich.«
Sie gingen alle vier zu der Laube.
Aber auch sie alle vier kamen nicht weiter als in ihre Nähe.
In dem Eingange stand ein kleiner alter Herr; er stand zwar etwas gebückt, aber er sah die jungen Herren so ruhig, so durchdringend und so vornehm an.
Sie kehrten still um, auch der Graf Thalhausen.
Sie setzten sich an einen andern, entfernten Tisch.
Dort erst sprachen sie, leise genug.
»Teufel, wer war das?«
»Er sah uns verdammt stolz an.«
»Er maß uns förmlich von unten bis oben.«
»Mich dünkt, ich hätte ihn schon einmal gesehen.«
»Und mich dünkt etwas anderes. Trug er nicht um den Hals den Orden pour le mérite? Er hatte den Rock zugeknöpft — ich konnte nicht recht sehen —«
»Teufel, und nun meine ich auch ihn zu kennen. Hat einer von Euch den General Witzleben gesehen?«
»Bist Du toll, Homberg?«
»Antwortet. Kennt ihn einer von Euch?«
»Nein! Aber Witzleben ist ja der Adjutant des Königs.«
»Eben darum!«
»Du meinst, auch der König sei hier?«
»Wenn es der General Witzleben war! Sah keiner den Zweiten in der Laube?«
»Jener hatte sich vor ihn gestellt.«
»Ganz als wenn man ihn nicht sehen sollte.«
»Eine Bestätigung meiner Vermutung!«
»Aber wie sollte der König hierher kommen? Und ohne dass irgendein Mensch davon weiß?«
»Hast Du noch nie gehört, dass Könige inkognito reisen können?«
»Wir müssen es heraushaben. Homberg, Du weißt alles, Du musst auch dies wissen. Du bist zu dem zweiten Obristlieutenant von Treskow geboren.«
»Aber wie erfahren?« sagte der Herr von Homberg »Ich kann doch nicht in die Laube gehen und fragen: Entschuldigen Sie, meine Herren, sind Sie Seine Majestät der König und Seine Exzellenz der General von Witzleben?«
»Das Wie ist Deine Sache, Homberg. Gehe ins Haus. Wirte sind neugierig.«
Der Herr von Homberg ging in das Haus.
Den andern fiel dann etwas anderes ein.
»Der Louis lässt uns heute lange aus unsere Schokolade warten.«
»Ich sagte es Euch ja, der Bursche wird impertinent!«
Der Graf Thalhausen sagte das.
Aber es wurde ihm widersprochen.
»Er ist immer höflich gegen uns, Thalhausen.«
»Ihr seht ihm zu viel nach.«
»Und immer aufmerksam und zuvorkommend.«
»Wenn es heißt: Lieber Louis hier, bester Louis da!«
»Er hat nur etwas Apartes! Man meint, er sei mehr als ein gewöhnlicher Kellner.«
»Wer die Kellnerjacke trägt, ist Kellner, und Kellner ist Kellner. Aber zum Teufel«, unterbrach der Graf Thalhausen sich selbst, »steht der Bursche nicht da hinten und schwatzt, anstatt uns zu bedienen?«
»Wahrhaftig! Und gar mit einem sehr hübschen Mädchen.«
»Es scheint ein allerliebstes Kind zu sein!«
»Da muss ich hin. Ich werde dem Burschen den Kitzel austreiben.«
»Geh’ nicht, Thalhausen. Wer weiß, wer in der Laube sitzt.«
Der Herr von Homberg kam aus dem Wirtshause zurück.
»Nun, Homberg?«
»Drei österreichische