Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme
von der ich sprach —«
Der Obristlieutenant unterbrach ruhig den General, zu dem er als Bittender kam.
»Wollen Exzellenz vorher die Gnade haben, mich an zuhören?« sagte er.
»Reden Sie.«
Der General sprach doch ein wenig pikiert.
Den Obristlieutenant kümmerte es nicht.
»Exzellenz«, sagte er mit seiner stolzen Ruhe, »ich war einer der ersten, nein, ich darf es behaupten und ich muss es an dieser Stelle aussprechen, ich war mit meinem Freunde Moterbin, der bei der Erstürmung Leipzigs an meiner Seite fiel, der erste, welcher, ohne auf den Ruf unseres Königs aus Breslau zu warten, in die Reihen der zuerst in Königsberg gebildeten Landwehr eintrat. Ich habe seitdem bis zur zweiten Einnahme von Paris im vorigen Jahre die Feldzüge gegen die Franzosen ohne Unterbrechung mitgemacht, den meisten Schlachten beigewohnt. Schon in der Schlacht bei Leipzig führte ich ein Bataillon; ich erwarb mir dieses Eiserne Kreuz erster Klasse. Die Schlacht bei Laon brachte mir den Orden pour le mérite ein. Bei Beginn des Feldzugs von 1815 wurde mir das Kommando eines Regiments anvertraut; mein Regiment hat ruhmvoll mitgekämpft. Wünschen Eure Exzellenz Beweise für diese Tatsachen, oder sind sie Ihnen bekannt?«
»Sie sind mir wie der ganzen Armee bekannt«, sagte der General wieder verbindlich.
Der Obristlieutenant fuhr fort:
»Bei Beginn der Kriege und während derselben wurden dem Volle, das bereitwillig von allen Seiten herbeiströmte, den Thron zu retten, wurden jedem Einzelnen, der freiwillig dem Rufe des Königs unter die Fahnen folgte, große Verheißungen gemacht. Zwei dieser Versprechungen waren sehr spezielle. Die eine, oft wiederholte, ging dahin, dass diejenigen, welche sich durch Tapferkeit, Diensteifer und Patriotismus ausgezeichnet hätten, in ihrer Zivildienstlaufbahn vorzüglich berücksichtigt werden sollten, soweit es ihre Qualifikation erlaube. Es sind die Worte des Gesetzes, Exzellenz. Die zweite, im vorigen Jahre ergangen, besagte, dass die Offiziere der aufzulösenden Landwehr, insofern sie sich während des Kriegs als tüchtig bewiesen hätten, nach Möglichkeit in die Linie sollten aufgenommen werden.
Ich war, als ich zuerst in die Landwehr eintrat, Assessor bei dem Tribunal in Königsberg. Es war unmittelbar vorher eine Ratsstelle bei jenem Gerichte vakant geworden. Ich war zu ihr vorgeschlagen; sie musste mir nach meiner Qualifikation wie nach meiner Anciennität zuteilwerden. Ich gab sie auf, um der Fahne des Königs zu folgen. Es war in den ersten Wochen des Jahres 1813, also vor mehr als drei Jahren.
Ich musste die drei Jahre im Militärdienst verbleiben. Im Anfange dieses Jahres wurden die Landwehren aufgelöst.
Ich bat, jener zweiten Verheißung gemäß, mich zur Linie zu versetzen. Mir wurde zur Antwort, es sei keine angemessene Stellung für mich da; es müsse auf Beschränkungen und Ersparungen Bedacht genommen werden; man müsse mir daher überlassen, in meine Zivilkarriere zurückzukehren, in welcher ich ohne Zweifel Gelegenheit finden werde, meine Kenntnisse und Kräfte zu verwerten.
Ich versuchte den Rücktritt in meine frühere Zivilkarriere. Es wurde mir eine Assessorstelle bei einem entfernten Gerichte angeboten.
Vor drei Jahren, wenn ich nicht die Waffen für König und Vaterland ergriff, war ich Rat; bis heute hätte ich in der Ratskarriere einen bedeutenden Vorsprung gewonnen; weit jüngeren Assessoren ist er zuteil geworden. Ich sollte als Assessor wieder eintreten! Meine Beschwerden waren fruchtlos.
So, Exzellenz, sind die Versprechungen des Königs mir gegenüber erfüllt worden.
Darf ich Ew. Exzellenz auch den Grund sagen?«
»Jene traurige Lage des Staates«, zuckte der General wieder die Achseln, »die allerdings zu den größten Ersparnissen auffordert.«
»Sie ist allerdings zu einer banalen Phrase geworden, Exzellenz!«
»Mein Herr!«
»Fühlen Ew. Exzellenz sich verletzt?«
»Ich hoffe nicht, dass Sie es darauf anlegen, mich zu verletzen.«
»Warum, wozu sollte ich das? Mich hat ein an derer Grund hierher geführt. Es ist der, dass Ew. Exzellenz die Wahrheit hören mögen und dass durch Sie der König sie erfahre. Der König hat sie bisher nicht gehört; darüber gibt es im Lande nur eine Stimme.
Und ich schließe daraus, dass sie auch Ew. Exzellenz vorenthalten ist, denn Ew. Exzellenz haben das Ohr des Königs. Die Wahrheit muss aber an den Thron gelangen können, und zwar bevor es für das Land wie für den Thron selbst zu spät ist. Land und Thron sind nicht zu trennen, Exzellenz. Zum Könige konnte ich nicht gelangen; in dem Vorzimmer des Monarchen ist dafür gesorgt. Da hielt ich es für meine Pflicht, bei Ew. Exzellenz eine Audienz nachzusuchen. Exzellenz haben sie mir gewährt. Ich spreche Ihnen meinen Dank dafür aus, und um Ihnen diesen ferner zu betätigen, bitte ich noch um wenige Worte.«
Der General hatte den Obristlieutenant ein paarmal unterbrechen wollen, der Offizier hatte die Zeichen der Ungeduld des vornehmen Herrn jedoch nicht beachtet. Auf einmal schien in dem General ein besonderer Gedanke aufgetaucht zu sein; er hörte geduldig und aufmerksam zu. Mit einer ruhigen Neigung des Kopfes gab er auch seine Zustimmung zu erkennen, dass der andere fortfahren möge.
Der Obristlieutenant fuhr fort:
»Ich habe Ew. Exzellenz von mir gesprochen nicht um meinetwillen. In meiner Lage sind Tausende, Tausende von Männern, die freiwillig die Waffen ergriffen und kämpften für Land und Thron. Indem ich von mir sprach, sprach ich nur von ihnen allen. Und indem ich jetzt Ew. Exzellenz klarlege, warum mit mir in solcher Weise verfahren wurde, lege ich dies zugleich für alle jene mit dar.
Exzellenz, in unserm allgemeinen Landrecht ist ein Satz enthalten, welcher ausspricht, dass der Adel der erste Stand im Staate sei, dem nach seiner Bestimmung die Verteidigung des Staates sowie die Unterstützung der äußeren Würde und der inneren Verfassung desselben hauptsächlich obliege. Eine weitere Ausführung dieses Satzes ist die gleichfalls gesetzliche Vorschrift, dass der Adel zu den Ehrenstellen im Staate, zu denen er sich geschickt gemacht, vorzüglich berechtigt sei. Die Anwendung dieser Vorschrift oder Vorschriften war bisher, dass im Zivil- und Militärstaatsdienste der Adel ·die ersten und besten Stellen einnahm und dem Bürgerlichen nur diejenigen Stellungen übrig blieben, die eben der Adel verschmähte. Das ist noch heute das herrschende Prinzip in unserer Staatsverwaltung, und diesem Prinzipe bin ich zum Opfer geworden, sind alle jene Männer zum Opfer geworden, die in edler Begeisterung, was sie besaßen, zum Opfer gebracht hatten. Das Prinzip war früher, wenn auch ein unkluges, unvernünftiges für einen Staat, in dem unsrigen allerdings ein gesetzlich berechtigtes. Das ist es aber heute nicht mehr. Der König ist bei uns die Quelle aller Gesetze. Jene königlichen förmlich und feierlich als Gesetze veröffentlichten Versprechungen haben das alte Gesetz aufgehoben, sind das neue Gesetz, das neue Recht des preußischen Volkes, und das Volk hat dieses Recht sich sauer und schwer verdient, mit seinem Blute und mit einer Aufopferung für seinen König, wie keine Geschichte eines Volkes sie bisher kannte.
Und nun meine schließliche Bitte an Ew. Exzellenz. Sie ist kurz die, dass Ew. Exzellenz die Gewogenheit haben wollen, das, was ich Ihnen hier vorgetragen habe, dem Könige mitzuteilen, und zwar sobald wie möglich, damit nicht die Unzufriedenheit im Lande weiter und tiefer um sich greift. Der König ahnt sie nicht, kann sie nicht ahnen; er hätte, wüsste er von ihr, sie längst beseitigt.«
Der General hatte weiter mit seiner großen, ruhigen Aufmerksamkeit zugehört.
»Und warum wenden Sie sich mit Ihrer Bitte an mich?« fragte er.
»Ich hatte bereits die Ehre, es zu sagen: weil Ew. Exzellenz das Ohr des Königs haben.«
»Mein Herr Obristlieutenant«, sagte der General, »wissen Sie, dass Sie sich da einer sehr landläufigen Phrase bedient haben?«
Es war ein höhnisches Paroli auf die »banale Phrase« des Obristlieutenants.
Dieser blieb sein Sept-et-le-va nicht schuldig.
»Exzellenz ziehen vielleicht eine andere Wahrheit vor, die Sie freilich noch nicht werden gehört