Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme
sagte der Lieutenant. »Meine Braut ist auf der Dahlheimer Sägemühle. Ich muss mit ihr überlegen.«
»Und das muss ich mit der meinigen in Ovelgönne.«
Ein paar Stunden später fuhr der General von Taubenheim zu dem Palais des Königs.
»Die Verschwörung liegt klar auf der Hand«, sprach er im Fahren zu sich. »Schon jetzt. Kaum dass der Thron wieder fest aufgerichtet ist, soll er schon wieder eingerissen werden! Und mit welcher Frechheit diese Verschwörer auftreten! Wie sicher sie ihrer Sache sind, wie weit und tief ihre Verbindungen gehen müssen! Da kann der König nicht früh und nicht eindringlich genug gewarnt werden. Wie sehr Recht hatte dieser Herr von Schilden!«
Damit hatte der General für das, was er vorhatte, sich mit seinem Gewissen abgefunden.
Der Name Schilden hatte ihm dann einen andern Gedanken zugeführt.
»Und Hedwig?« sprach er weiter. »Schilden oder Westernitz! Sie überließ mir die Wahl, aber um sie mir nicht zu überlassen. Sie will den Schilden. Aber über die Liebe ist sie zum Glück hinweg. Sie glaubt, Schilden mache eine bessere Karriere. Und sie glaubt das, weil Schilden mehr Verstand, mehr Kenntnisse, sogar mehr Mut als der andere hat. Sie irrt. Die Familienverbindungen, die Konnexionen am Hofe machen es. Und die hat der Graf Westernitz und nicht Schilden. Jener Mangel an Mut freilich — aber nur die Frauen lassen sich von Äußerlichkeiten bestechen. Zudem ist Schilden uns immer gewiss. Er muss sich seine Karriere suchen; da ist er überall abhängig. Der Graf Westernitz kann der Seinigen kaum aus dem Wege gehen.«
Der General hatte das Vorzimmer des Königs erreicht.
In dem Vorzimmer des Königs herrschte die tiefste Stille.
Stille ist überhaupt der Charakter der Paläste und Gemächer der Könige. Darf sie einmal unterbrochen werden, so darf das nur von dem »Herrn« selbst geschehen, und es ist dennoch jedes Mal ein Ereignis.
Von Friedrich Wilhelm dem Vierten erzählt man sich, dass er bald nach seiner Thronbesteigung eines Tages sehr laut in seinem Zimmer sprach. Die Königin hörte es nebenan, eilte zu ihrem Gemahl und sagte: »Ah, verzeihe, Fritz, ich meinte, der Kronprinz sei dagewesen!«
Friedrich Wilhelm der Dritte liebte besonders die tiefste Stille um sich her. Man brauchte, um es zu wissen, sich nur das einfache Haus anzusehen, in dem er wohnte.
Wie ein Bürgerhaus liegt es noch jetzt da, zwischen der Schlossbrücke und den Linden, gegenüber dem schweren und finstern Bau des Zeughauses. Aber so verschlossen und still wie zu den Zeiten Friedrich Wilhelms des Dritten hat es wohl weder vorher noch nachher jemals dagelegen. Unten an dem Portal sah man die beiden unvermeidlichen Schildwachen langsam und leise zwischen ihren Schilderhäusern auf und ab schreiten, und oben in dem Eckfenster nach den Linden hin sah man zuweilen einen großen, stattlichen Mann im einfachen Offiziersüberrock ohne Orden und ohne Epauletten mit seinem blassen und traurig nachdenklichen Gesicht hinter der mattgrünen seidenen Gardine hervorschauen; es war der König. Weiter sah man von der Straße her in dein Hause keinen Menschen und sah und hörte man kein Leben darin. Und so still, wie das Haus von außen aussah, war es in seinem Innern.
So lebte Friedrich Wilhelm der Dritte vom Jahre 1810, bis er im Jahre 1840 starb, in dem einfachen Hause, und die Berliner nannten es des Königs Palais.
Das stille Vorzimmer befand sich vor dem Arbeitszimmer des Königs, und in dem Arbeitszimmer war jenes Eckfenster nach den Linden hin mit seinen mattgrünen Vorhängen.
Es waren nur wenige Personen in dem Vorzimmer, als der General von Taubenheim eintrat. In dem Vorzimmer Friedrich Wilhelms des Dritten gewahrte man selten mehr Menschen als die gewöhnliche Bedienung.
Der König sah nicht gern jemand bei sich, liebte keine Störung. Zwei Lakaien waren an der Eingangstür; ein Adjutant stand an einer Seitentür; ein General lehnte in einer Fensternische. Das war alles.
Die Lakaien warteten auf die Befehle des Adjutanten; der Adjutant stand wartend an der Seitentür, die in das Arbeitszimmer des Königs führte; der General am Fenster wartete, dass diese Tür sich öffnen möge; durch die Stille, die herrschte, hörte man in dem königlichen Arbeitszimmer sprechen.
In dem Vorzimmer selbst machte sich nicht der leiseste Laut hörbar; das Sprechen in dem Zimmer des Königs hörte sich an wie leises Bienensummen.
Der General von Taubenheim schritt auf den Spitzen seiner Füße herein. Den General in der Fensternische grüßte er mit einer stummen Verbeugung, den Adjutanten an der Tür mit einem stillen Händedruck, freilich auch mit einem bezeichnenden Blick nach der Tür, an der er stand.
»Der Polizeiminister!« flüsterte der Adjutant ihm zu.
»Ah, schon?«
Der Adjutant war der Graf Westernitz.
Wir kennen ihn; der General kannte ihn; Fräulein Hedwig, die Tochter des Generals, kannte ihn. Der General hätte gern weiter mit ihm gesprochen.
Die Höflichkeit gestattete es nicht. Er musste sich zu dem General in der Fensternische wenden.
»Sehr erfreut, Exzellenz hier zu sehen!« sagte der General von Taubenheim. Er flüsterte es.
»Gleichfalls charmiert!« erwiderte der steife General.
Er sprach es mit einer ruhigen Selbstzufriedenheit; diese kann nicht flüstern.
»Exzellenz sind gewiss befohlen!« sagte der kleine General.
»Ja, in einer wichtigen Angelegenheit.«
»Ah, da konnte Seine Majestät keine bessere Wahl treffen.«
»Der König kann sich wenigstens auf mich verlassen.«
»Unbedenklich!«
»Auf meine Treue, auf meine Ergebenheit und auf meinen Eifer für die Armee. Und, liebe Exzellenz, mit Ihnen darf ich ja darüber sprechen: man geht von einer gewissen Seite auf den Ruin unseres herrlichen Heeres aus.«
»Leider, leider.« sagte der General von Taubenheim.
Der andere General wurde lebhafter.
»Ja, leider, liebe Exzellenz. Denken Sie, was man jetzt wieder vorhat. Nicht genug, dass wir schon eine Menge von Landwehroffizieren in die Linie haben aufnehmen müssen, jetzt soll die Linie ganz zur Landwehr degradiert werden; man geht damit um, die Litewken und die Mützen der Landwehr auch bei der Linie einzuführen Der Landwehr! Bei der Linie! Denken Sie es sich!«
»Es ist empörend«, sagte der kleine General.
»Es ist mehr! Es ist ein Mord, es ist der Selbstmord des preußischen Staats! Aber der alte preußische Gott lebt noch, wir alten Generale! Ich kam hinter die Sache; ich ließ mich bei Seiner Majestät melden; ich sprach mein Menetekel aus; ich erinnerte an die ruhmvolle Armee in dem alten Rock, in dem Tschako, der freilich leider schon der Blech und Bärenmütze habe weichen müssen. Ich erhob meine Stimme im Namen der ganzen Generalität, der nur einzelne unbesonnene Neuerer gegenüberstanden. Den Tschako hatten Seine Majestät die Gnade mir sofort zu gewähren. Um den Rock musste ich kämpfen; man hatte dem Könige eingeredet, jener Landwehrrock sei gesünder, bequemer, der Soldat könne sich darin besser bewegen, besser manövrieren Ich bat zuletzt um die Gnade, ein Memoire über die Sache ausarbeiten zu dürfen. Der König forderte mich dazu auf. Ich bin jetzt hier, um es zu überreichen. Ich habe mich mit zwei Regimentsschneidern zusammengesetzt; ich habe einen ganz neuen Schnitt erfunden, eine ganz andere Stellung der Knöpfe. Ich habe die Muster bei mir. Ich werde sie Seiner Majestät vorlegen —«
Die Tür des königlichen Arbeitszimmers öffnete sich.
Der General schwieg.
Der kleine General von Taubenheim hatte nur noch Zeit, ihm mit seinem verbindlichsten, aber zugleich dem feinsten Lächeln seines klugen Gesichts zu sagen:
»Und Exzellenz werden die Armee und den Staat retten!«
Der General verschwand in dem Zimmer des Königs.
Aus diesem Zimmer war ein stattlicher Herr, gleichfalls