Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme

Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme - Jodocus Temme


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      In der Mitte des Platzes war ein großes Zelt aufgerichtet; unter ihm tanzte die Jugend. Die Kinder sahen zu.

      Rund umher saßen die andern an langen Tischen, bei vollen Bierfässern.

      Als die Herrin mit ihrer Gesellschaft erschien, erhoben sich alle, die Musik verstummte, der Tanz hörte auf.

      Eine fast feierliche Stille herrschte auf dem ganzen Platze.

      Der älteste der Männer und die älteste der Frauen, die da waren, schritten auf die Herrin zu. Der alte Mann wollte eine Ansprache an sie halten.

      »Aber an Sie und Ihren Herzliebsten, Mamsell!« sagte er.

      Da musste der Domherr den Arm Karolinens in den des Obristlieutenants legen.

      Und der alte Mann fuhr nun fort:

      »Mamsell, diese alte Frau hat seit fünfundsiebzig Jahren die Welt gesehen und ich trage an meinen achtzig Jahren. Wir sind beide grau und alt an diesem Hofe geworden, es ist uns immer gut hier ergangen. Das haben wir früher Ihren Eltern und Großeltern gedankt, und in unsern alten Tagen danken wir es Ihnen, und was wir Ihnen danken, danken Ihnen alle die Leute, die hier bei uns stehen, und in unserm und ihrer aller Namen wollten wir Ihnen wünschen, Mamsell, dass Sie und Ihr Herzliebster so alt werden möchten wie wir beiden Alten, und dass der Himmel Sie immer möge gesund und zufrieden erhalten und Ihren Ehebund segnen mit Kindern und Kindeskindern! Und nun Vivat hoch unsere Mamsell und ihr Liebster!«

      »Und Vivat hoch!« riefen sie alle auf dem weiten Platze, dass es kein Ende nehmen wollte, und die Musik spielte ihren Tusch und die Gläser erklangen an allen Enden.

      Karoline aber musste weinen, und sie wandte sich nicht ab, um es zu verbergen, und der Domherr sagte triumphierend zu ihr:

      »So recht, Du Engelskind! Du gehörst nicht zu den weichmütigen Naturen, denen die Tränen lose sitzen; wenn Du weinst, dann darf man es sehen.«

      Aber durch ihre Tränen hatte sie einen fast scheuen Blick auf ihren Bräutigam werfen müssen, und der Obristlieutenant musste die Augen niederschlagen, als wenn er mit sich kämpfe und der Kampf ihn verlegen mache.

      »Was haben die beiden?« fragte sich der Domherr.

      Zu Karolinen trat dann einer der Knechte, der gewandteste der Tänzer und der schmuckste der jungen Burschen; seine Brust zierte die Kriegsmedaille und das Eiserne Kreuz; er hatte zu den tapferen westfälischen Landwehrmännern gehört, deren so viele das eiserne Zeichen ihres Mutes in die Heimat zurückbrachten.

      »Kann ich die Ehre haben, Mamsell?« bot er ihr seinen Arm an.

      Sie legte glücklich den ihrigen hinein.

      Ein Mann in reiferen Jahren mit der Kriegsmedaille — eine gewisse Würde zeigte den Unteroffizier der Landwehr — näherte sich mit der schönsten Dirne des Hofes dem Obristlieutenant.

      »Zu einem andern Tanze als vor einem Jahre mit den Franzosen, Herr Obristlieutenant!«

      Der Obristlieutenant folgte mit dem stolzen Mädchen dem ersten Paare.

      Der junge Freiherr sah sich nach der hübschen Kellnerin um.

      »Mamsell Henriette!« bat er.

      Aber sie hörte ihn nicht. Der Domherr lachte.

      »Gib Dir keine Mühe, mein Junge; Du kommst zu spät.«

      Die hübsche Kellnerin hatte nach dem Herrenhanse zurückgeblickt, und ihre Augen hatten einen jungen Mann gesehen, der von da näherkam, eilig, als wenn er fürchte, sich zu verspäten; und wer das strahlende Gesicht der Kellnerin sah, der konnte nicht einen Augenblick zweifelhaft darüber sein, wer der hübsche, behände junge Mann mit dem kecken Gesichte, den blitzenden Augen, den krausen schwarzen Haaren sei, der sich da nahte, und was er dem Mädchen sei. Auch der Domherr hatte es gewusst.

      Als er näher kam, flog er auf sie zu.

      »Jettchen, mein Jettchen!«

      Er hatte ihre beiden Hände gefasst; aber er hatte nicht genug daran; seine Lippen wollten sich auch den ihrigen nahen.

      Das war freilich ihr zu viel, vor allen den Leuten, vor dem vornehmen Domherrn, dem jungen Freiherrn.

      »Aber Louis!« sagte sie.

      Da sah Louis Becker auch etwas anderes als die Geliebte.

      Und der junge Freiherr sah auch ihn und rief:

      »Du bist es, alter braver Kamerad Becker?«

      »Und Du, alter Freund Aschen?« rief der andre zurück. »Ja, ja, wir hatten uns beide bisher nur in der Uniform gesehen. Und — alle Wetter, die Uniform machte uns gleich. Wir waren also etwas anderes, als wir jetzt sind, und ein Kellner und ein Freiherr —«

      »Können beide ein paar große Narren sein«, fiel der Domherr ein. »Und wenn Ihr das nicht seid, dann —«

      Aber sie ließen ihn nicht ausreden.

      »Können treue Freunde bleiben!« sagte der junge Freiherr.

      Und die beiden treuen Freunde lagen sich in den Armen.

      Louis Becker sagte dann:

      »Und nun sollst Du auch mit meiner Braut tanzen. Wie ich Dich nicht erkannte, wollte ich Dir zuvorkommen.«

      Da musste aber doch der junge Freiherr lachen, wie wenig Lachen auch in seinem Herzen wohnen mochte.

      Er hatte die hübsche Kellnerin angesehen. Sie machte zu den Worten ihres Bräutigams ein fast trauriges Gesicht.

      Alle Eitelkeit, aller Stolz musste in ihrem braven Herzen vor der Liebe zurücktreten.

      »Nachher!« sagte der junge Freiherr.

      Und das schmucke Paar eilte glücklich und fröhlich dem Tanzplatze zu.

      Der Domherr und sein Neffe standen allein.

      »Hm, und wir beiden?« fragte der Domherr.

      »Ich ziehe weiter, Gisbertine zu suchen.«

      »Du wirst hier bleiben und tanzen.«

      »Ich tanzen?«

      »Ja, mit den Bräuten Deiner Kameraden. Und auch mit einer Frau.«

      Gisbert sah den Domherrn fragend an.

      »Die Frau Mahlbergs ist hier, und ich will sie Dir holen.«

      Der Domherr wollte gehen.

      Er wurde aufgehalten. Die alten Leute auf dem Platze waren auf ihn zugetreten, umringten ihn, begrüßten ihn. Sie kannten ihn alle seit vielen Jahren. Sie hatten eine herzliche Freude, ihn wiederzusehen, und er freute sich wie sie.

      Mit seiner herzlichen Freude ging er dann zu dem Herrenhause.

      »Hm«, sagte er im Gehen, »hat denn das Glück oder das Unglück mehr Freude in seinem Schoße? Wie waren wir hier unglücklich! Sie, ich! Sie ruht; der stille Friede der Seligen umgibt sie. Und sie hatte noch die Freude, die schöne Entwicklung ihres lieben Kindes zu sehen. Und das Kind ist dieser Engel geworden, und ich habe diese reine Freude an ihr, an allem hier. Und hat nicht jenes Unglück dies alles geboren? Wäre sie denn, die arme Therese, mit mir so glücklich geworden, wie wir es träumten? In ganz andern Verhältnissen, für die sie nicht geboren, nicht erzogen war? In einem fremden Land? Unter andern Menschen, die sich über sie stellten, die sie gar als einen fremden Eindringling glaubten hassen zu müssen? Und Karoline? Was wäre ich, wenn sie nicht wäre? Für sie allein gebe ich alle Freude hin, die mir hätte werden können, die ich träumte, hoffte. — Hm, da kann ja auch die arme Frau, zu der ich jetzt gehe, künftig noch Glück und Freude erleben. Der Leiden hat sie wahrhaftig genug gehabt, und sie hat sie noch immer. Und auch Gisbert und Gisbertine? Aber haben die denn wirkliche Leiden, wirkliches Unglück? Findet denn nicht die eine in ihren Launen, in ihrem Trotz gerade ihr Glück, ihre Befriedigung? Und er? Lässt denn sein bequemes Wesen ihn zum


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