Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme
Feldsteinen, mit seinen schmalen, sparsam im Zickzack zerstreuten Fenstern darin, mit seinem hässlichen dicken runden Turme noch ganz so da wie vor einem Jahre, da der Domherr die Frau Mahler hingebracht hatte, und wie vielleicht schon vor ein paar hundert Jahren.
Es herrschte aber auch noch überall, am Hause wie in dein ganzen Ovelgönner Tal jene Ordnung, jene Sauberkeit, jenes ganze wohltuende Wesen einer großen, geregelten, von einer sichern und tüchtigen Hand geleiteten Gutswirtschaft, die damals den Domherrn mit Stolz hatten sagen lassen: »Meine Karoline ist hier Herrin!«
Nur jene Stille war heute nicht da. Den Festtag des Gutes kündigten Tanzmusik, Gläserklingen, Scherzen, Lachen und Singen an.
Es war das alles hinter dem Herrenhause. Die Wirtschaftsgebäude lagen dort im Viereck um einen weiten Hof herum.
Das Herrenhaus selbst lag doch still da.
»Sollte hier dennoch Angst und Sorge sein, in denen ich raten, helfen müsste?« fragte sich der Domherr.
Er verließ mit seinen beiden jungen Gefährten den Wagen.
Der Wagen hatte an dem alten dicken Turme gehalten, durch welchen der Eingang in das Haus führte.
Karoline Lohrmann, die Herrin hier, kam ihnen entgegen; an ihrer Seite ging ihr Bräutigam.
Auch Karoline war noch, wie vor einem Jahre, so schön, so frisch, so anmutig. Es war nichts eigentlich Besonderes an ihr, aber ihr ganzes Wesen war etwas Besonderes; es war jene wunderbare, aber seltene volle Übereinstimmung der Reinheit und des Adels in den Körperformen mit der sichern und edlen Ruhe eines klaren Geistes und eines reinen Herzens. So war sie immer; so war sie auch heute.
Doch der scharfe Blick des Domherrn schien heute etwas an ihr zu vermissen; in ihrem klaren Auge schien ihm ein leichtes Wölkchen, auf ihrer reinen Stirn ein leiser Schatten zu liegen. Er wollte sie darauf ansehen.
Sie stellte ihm ihren Bräutigam vor.
Und das Auge des Domherrn ruhte mit Wohlgefallen, fast mit Überraschung auf der kräftigen, imponierenden Gestalt, auf den markigen und edlen Zügen des Mannes, der so einfach in seinem Bürgerrock und ohne Orden und Ordensband vor ihm stand und doch in seiner Gestalt, in seiner Haltung, in seinem Blick, ohne dass er es wollte, den tapferen Soldaten, den heldenmütigen Verteidiger des Vaterlandes zeigte.
»Mein Bräutigam!« hatte Karoline nur gesagt.
Der Domherr ergriff seine Hand.
»Seien Sie mir herzlich gegrüßt, nein, nein, lassen Sie es mich Ihnen sogleich und geradezu heraussagen, wie ich mich freue, dass das liebste Herz, das ich auf der Welt habe, einen so braven Mann gefunden hat.«
Er stellte dann seinen Neffen vor.
»Ja, ja, Gisbert. mein Junge, ich habe Dich lieb; Du weißt es, wie manchen dummen Streich ich Dir nachgesehen habe. Aber meine Karoline hier — doch vergessen wir ein anderes braves Kind nicht, unsere reizende Henriette. Henriette Brand, mein Herr Obristlieutenant, die Braut des Lieutenants Becker vom fünfzehnten Landwehrregiment, wenn Sie von ihm gehört haben.«
»Die Braut Beckers, meines lieben, teuren Freundes?« rief der Obristlieutenant.
Und er hatte beide Hände des Mädchens gefasst, und Henriettens reizendes Gesicht wurde noch einmal von jener schönen Glut des Glückes, des Stolzes und der Verwirrung übergossen.
Karoline aber nahm sie in ihren Arm und küsste sie, um sie der Verlegenheit zu entziehen.
Dann erst näherte sie sich dem jungen Freiherrn, um ihn in ihrem Hause willkommen zu heißen.
»Herr Baron —«, begann sie.
Aber der Domherr unterbrach sie.
»Gebt Euch die Hände; seid Geschwister. Ich hatte einmal an etwas anderes mit Euch beiden gedacht, aber der liebe Gott hat es für Dich, meine Karoline, besser gemacht, und was den Gisbert betrifft — hm, seine Kinder wären nicht stiftsfähig geworden.«
Sie gingen in das Haus.
Auf dem Wege schüttelten auch der Obristlieutenant und der junge Freiherr einander die Hände. Sie kannten einander nicht, aber sie konnten sich erzählen, wie sie in demselben Schlachtgewühl gestanden und gekämpft hatten.
»In Dein Stübchen!« hatte der Domherr auf der Treppe die Herrin des Hauses gebeten.
»Gewiss, Onkel Florens Ich weiß es ja, wie gern Du da bist.«
Auch in dem Stübchen Karolinens war es wie vor einem Jahre, und der Domherr hatte es wohl schon vor langen Jahren so gekannt.
»Ah«, sagte er wieder still für sich, und er sah sich jede Stelle und jedes Möbel darin an und trat wieder an das Fenster und sah lange hinaus, und als er sich dann wieder umwandte, drückte er, wie dankbar, Karolinen die Hand und sagte leise zu ihr:
»Du lässt es auch ferner hier so, wie es war?«
»Immer, solange ich lebe, Onkel Florens.«
Dann hatte er eine Frage an sie.
»Betraf Dein Billett etwas Unangenehmes?«
»Ich hoffe, es war nichts«, sagte sie.
»Du hoffst?«
»Nachher, Onkel Florens.«
Er hatte noch eine Frage.
»Ist Gisbertine hier?«
Sie sah ihn verwundert an.
»Nein. Onkel.«
»Du hast auch keine Nachricht von ihr?«
»Nicht die geringste.«
Die Augen des jungen Freiherrn waren dem Domherrn und Karolinen gefolgt.
»Es ist nichts«, antwortete ihm ein Blick des Domherrn.
Gisbert sah still vor sich hin.
Dem Domherrn fehlte noch etwas.
»Ich sehe die Frau Mahler nicht, Karoline.«
»Nachher!« nickte sie ihm zu.
Ihr Blick schien trübe geworden zu sein.
Da musste er sie doch noch fragen.
»Betraf Dein Billett an mich sie?«
Sie schüttelte den Kopf.
Er fragte nicht mehr.
Sie durften in dem Zimmer Karolinens nicht lange bleiben.
»Man erwartet uns auf dem Tanzplatze«, sagte die Hausherrin. »Seit einer Stunde sind die Leute dort versammelt. Sie wollten nicht tanzen, bis ich mit Friedrichs unter ihnen sei und mit ihnen tanze; es sei so Sitte. Ich ließ ihnen sagen, dass ich auf meine eingeladenen Gäste warten müsse. Sie gaben sich zufrieden. Jetzt müssen wir aber zu ihnen. Und Du führst mich hin, Onkel Florens, wie in frühem Jahren?«
»Wenn kein Einspruch geschieht!« sagte der Domherr.
»Einspruch? Ich soll ja hier die Herrin bleiben!«
Die Herrin des Hauses lächelte bei den Worten, aber durch ihr Lächeln zog sich ein leiser Schmerz.
Dann auf einmal ergriff sie die Hand ihres Bräutigams und drückte sie herzlich und blickte ihm mit dem vollsten Ausdrucke der Liebe in das Gesicht. Der Obristlieutenant küsste ihre Hand.
Sie gingen zu dem Tanzplatze.
Der Domherr führte Karolinen, der Obristlieutenant die Kellnerin.
Aber als sie auf dem Platze ankamen, musste der Domherr doch wieder die Braut dem Bräutigam abtreten.
Das weite Viereck, um welches die Hof und Wirtschaftsgebäude des Gutes Ovelgönne lagen, war fast gefüllt mit fröhlichen Menschen. Alle Dienstboten und Arbeitsleute des Gutes, alle Dienstleute des Tals, die im Laufe des Jahres auf dem Gute oder für