Dr. Daniel Staffel 6 – Arztroman. Marie Francoise
Mann bewundern oder sich vor seiner Entschlossenheit fürchten sollte.
»Papa wird toben«, wandte sie leise ein.
Ungerührt zuckte Elio die Schultern. »Von mir aus.« Dann nahm er Chiara bei den Schultern und sah ihr in die Augen. »Ich wollte dich niemals von deinen Eltern entfremden, Cara, nur deshalb habe ich ihr unmögliches Verhalten dir gegenüber so lange geduldet, aber jetzt versuchen sie offenbar allen Ernstes, unsere Ehe zu zerstören, und das lasse ich mir nicht gefallen. Was dein Vater mir heute geraten…, nein, befohlen hat, war der absolute Gipfel.« Er zog einen Lederriemen hervor. »Damit soll ich dich züchtigen.« Angewidert schleuderte er den Riemen in die Ecke. »So würde ich nicht einmal einen Hund behandeln geschweige denn die Frau, die ich liebe.«
Mit einem tiefen Seufzer lehnte sich Chiara an ihn. »Papa war mit uns immer sehr streng, aber es hat uns nicht geschadet.«
Da sah Elio sie sehr ernst an. »Doch, cara mia, es hat euch geschadet. Du und deine Geschwister… ihr steckt alle so voller Angst, daß es einem im Herzen weh tut.« Zärtlich streichelte er ihr Gesicht. »Aber ich werde dafür sorgen, daß du dich von dieser Angst befreien wirst.«
*
Monsignore Francesco Antonelli war gerade auf dem Weg zur Kirche, als eine schwarzgekleidete Frau auf ihn zueilte. Ihr Gesicht war hinter einem dunk-len Schleier verborgen, so daß der Monsignore nicht sehen konnte, wer die Frau war.
»Bitte, Monsignore, darf ich mit Ihnen sprechen?« bat sie leise.
Erstaunt sah Monsignore Antonelli sie an. »Chiara?«
Die Frau zögerte, dann nickte sie hastig, während sie sich angstvoll umschaute. »Meine Eltern dürfen nicht wissen, daß ich bei Ihnen bin. Bitte… Monsignore…«
Francesco Antonelli nickte, dann nahm er Chiara fürsorglich beim Arm. »Komm, mein Kind, wir gehen in die Kirche, da wird uns niemand stören.«
Mit gesenktem Kopf folgte Chiara dem Monsignore. Er bekreuzigte sich vor dem Hochaltar, und Chiara tat es ihm gleich, dann betraten sie die Sakristei.
»Setz dich, mein Kind«, bot der Monsignore an, dann nahm auch er Platz und sah Chiara an.
Mit zitternden Fingern entfernte die junge Frau den Schleier von ihrem Gesicht, und nun konnte Monsignore Antonelli sehen, daß sie geweint hatte. Spontan griff er nach Chiaras Hand.
»Was ist denn passiert, mein Kind?«
»Ich habe Angst, Monsignore«, gestand Chiara, dann schluchzte sie hilflos auf. »Seit zwei Jahren bemühe ich mich, von Elio ein Baby zu empfangen, doch es geht einfach nicht. Alle meine Schwestern haben schon Kinder, nur ich bringe Schande über die Familie.« Mit einer fahrigen Handbewegung wischte sie über ihre Augen. »Elio sagt, das sei nicht schlimm und er würde mich trotzdem lieben, aber… ich spüre, wie sehr er leidet. Und Papa… er sagt, ich müsse ins Kloster, wenn ich nicht schwanger werden kann.«
»Augenblick, mein Kind«, entgegnete Monsignore Antonelli ruhig. »Du bist zweiundzwanzig. Gegen deinen Willen kann dich niemand in ein Kloster stecken. Mag sein, daß dein Vater noch immer dieser Ansicht ist, aber die Realität sieht ein bißchen anders aus.«
Chiara senkte den Kopf. »Ich würde es nie wagen, ihm zu widersprechen.«
Monsignore Antonelli schwieg einen Moment. Natürlich kannte er den herrschsüchtigen Dottore Salvatore Cardello und wußte, wie sehr er seine Kinder tyrannisierte, und seine Frau Concetta stand ihm dabei in nichts nach.
»Papa hat mich schon oft untersucht«, fuhr Chiara leise fort. »Er sagt, ich würde mich gegen eine Schwangerschaft wehren, aber das stimmt nicht. Ich wünsche mir ein Baby…«
Nachdenklich runzelte Monsignore Antonelli die Stirn.
»Seit zwei Jahren versucht ihr es schon«, murmelte er, dann sah er Chiara an. »Zur Zeit hält sich hier im Ort ein richtiger Frauenarzt auf. Wenn ich mit ihm sprechen würde…, er verbringt zwar gerade seinen Urlaub hier, aber ich bin sicher, daß er trotzdem bereit wäre, dich zu untersuchen.«
In Chiaras Gesicht stand Abwehr. »Aber… Papa hat mich doch schon so oft untersucht…«
»Dein Vater ist kein Frauenarzt«, entgegnete Monsignore Antonelli eindringlich. »Hier in diesem kleinen Dorf muß er zwar gelegentlich auch solche Untersuchungen durchführen, aber bei allem Respekt vor seinen Fähigkeiten, glaube ich doch, daß er überfordert ist, wenn er feststellen soll, woran deine Kinderlosigkeit liegt.« Behutsam legte er eine Hand auf Chiaras Arm. Er spürte ihr Zittern. »Du mußt vor diesem Arzt keine Angst haben, mein Kind. Er ist sehr nett, du wirst schon sehen.«
*
»Tessa! Komm jetzt!« rief Manon ihrer kleinen Tochter zu, die noch im Meer plantschte, doch in der vergangenen Stunde waren ihre Bewegungen immer langsamer geworden. »Es wird allmählich Zeit fürs Bett!«
»Och! Jetzt schon?« maulte Tessa. »Bei Monsignore Antonelli durfte ich aufbleiben, bis ich müde war.«
»Du bist müde«, stellte Dr. Daniel schmunzelnd fest. »Das willst du nur noch nicht wahrhaben.«
Tessa schüttelte den Kopf, daß die schwarzen Locken flogen. »Du irrst dich, Papa. Ich bin überhaupt nicht müde.« Dabei konnte sie kaum noch die Augen offenhalten.
Ohne weitere Diskussion wickelte Dr. Daniel die Kleine in ein Badetuch und nahm sie auf den Arm.
»Na, komm, Prinzessin«, meinte er. »Mama hat recht. Für dich ist es nun wirklich Schlafenszeit, und ich bin sicher, daß dir die Äuglein schon zufallen werden, bevor wir in unserem Zimmer sind.«
»Nein«, murmelte Tessa müde. »Ich bin hellwach.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, als sie in Dr. Daniels Armen auch schon eingeschlafen war. Er trug sie die Treppe hinauf zu dem Zimmer, das sie gemeinsam bewohnten, dann legte er Tessa vorsichtig, um sie nicht zu wecken, in das Kinderbettchen, das ihnen die Besitzerin der Pension aufgestellt hatte. Fürsorglich deckte Manon ihr Töchterchen zu und blieb noch eine Weile neben dem Bett stehen.
»Ich kann mir ein Leben ohne sie überhaupt nicht mehr vorstellen«, meinte sie.
Zärtlich legte Dr. Daniel einen Arm um ihre Schultern. »Ich auch nicht.« Er küßte Manon. »Und ein Leben ohne dich kann ich mir ebenfalls nicht mehr vorstellen. Es ist…«
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Dr. Daniel öffnete und sah sich Monsignore Antonelli gegenüber.
»Es tut mir leid, daß ich Sie um diese Zeit noch störe«, entschuldigte er sich und fühlte sich etwas unbehaglich, weil er das Gefühl hatte, seine Deutschkenntnisse seien nicht ausreichend für ein längeres Gespräch. Dabei beherrschte der Monsignore diese Sprache ganz ausgezeichnet, was an den vielen deutschen Touristen lag, die Jahr für Jahr hierherkamen.
»Darf ich Sie trotz der späten Stunde einen Augenblick sprechen?« wollte er wissen.
»Selbstverständlich, Monsignore«, stimmte Dr. Daniel zu. »Wir können uns ja unten auf die Bank setzen. Der Abend ist noch so angenehm.«
»Und auf diese Weise wecken wir Tessa nicht«, fügte der Monsignore hinzu, dann lächelte er. »Sie hat mich heute nachmittag kurz besucht…, leider nur sehr kurz, denn dann hat es sie schon wieder zu Mama und Papa hingezogen.« Er schwieg kurz. »Die Kleine liebt Sie über alles, und darüber bin ich sehr froh. Für mich wäre die Verantwortung bald zuviel geworden. Tessa braucht Eltern, und mit Ihnen beiden hat sie die besten gefunden, die man sich denken kann.«
Dr. Daniel war gerührt über die Worte des Monsignore. Sein Blick wanderte zu dem Bettchen, in dem die Kleine selig schlief. »Wir lieben Tessa, als wäre sie unser leibliches Kind.« Dann wandte er sich dem Monsignore wieder zu. »Aber ich denke nicht, daß Sie nur dar-über mit mir sprechen wollten.«
Die beiden Männer verließen den Raum und gingen die Treppe hinunter, dann setzten sie sich draußen auf die Hausbank. Das sanfte Rauschen des Meeres drang an ihre Ohren, und eine leichte Brise sorgte für ein wenig Abkühlung,