Dr. Daniel Staffel 6 – Arztroman. Marie Francoise
schluchzte auf, dann versuchte sie, aus ihrem Bett zu steigen, was ihr aber nur recht und schlecht gelang, weil das Beruhigungsmittel, das Dr. Daniel ihr gespritzt hatte, noch immer wirkte. Das Nachthemd klebte an ihrem verschwitzten Körper, doch Eva-Maria registrierte es überhaupt nicht. Noch ein wenig torkelnd verließ sie ihr Zimmer und tastete sich an der Wand entlang zur Treppe.
Barfuß tapste sie hinunter, durchquerte die Eingangshalle und verließ die Klinik durch den rückwärtigen Ausgang, der zum Klinikpark führte. Normalerweise hätte sie die Klinik nicht so ohne weiteres verlassen können, doch der diensthabende Arzt und die Nachtschwester waren durch einen Unfall aufgehalten worden.
Feiner Nieselregen empfing Eva-Maria, als sie noch immer benommen von dem Beruhigungsmittel, durch den Park ging. Der kalte Wind jagte ihr Schauer über den Körper, trotzdem ging sie immer weiter – ziellos, einfach nur hinein in die rabenschwarze Nacht.
*
Als Sàndor um sieben Uhr am Morgen seinen Dienst antrat, führte ihn sein erster Weg zu Eva-Maria. Auf dem Flur begegnete ihm Schwester Bianca, und ihrem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, daß etwas passiert sein mußte.
»Eva-Maria ist verschwunden«, platzte sie sofort heraus. »Als ich die Betten machen wollte, bemerkte ich, daß sie weg ist. Wir haben schon die ganze Klinik auf den Kopf gestellt…«
Sàndor erschrak zutiefst. »Aber…, das ist doch nicht möglich…«
»Ich habe keine Ahnung, wie sie aus der Klinik kommen konnte«, fiel Bianca ihm ins Wort. »Ich muß sofort Dr. Daniel benachrichtigen.«
»Ich mache mich inzwischen auf die Suche nach ihr«, beschloß Sàndor spontan.
»Warte!« rief Bianca ihm noch nach, doch er hörte sie gar nicht mehr. Wie von Furien gehetzt, rannte er die Treppe hinunter, zögerte einen Moment und schlug dann den Weg zum Klinikpark ein.
Der Regen war in den vergangenen Stunden stärker geworden, und Sàndor hatte in der Eile seine Jacke vergessen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sein Hemd völlig durchnäßt war, doch das bemerkte er gar nicht. Die Sorge um Eva-Maria trieb ihn an.
Der Klinikpark war unübersichtlich, und so mußte Sàndor länger suchen, als er gedacht hatte. Der Wind fuhr eisig durch sein nasses Hemd, und für einen Moment kam ihm der Gedanke, daß er zurückgehen und sich passender kleiden sollte, doch er wollte nicht unnötig Zeit verlieren. Vor ihm tauchte der Wald auf, und Sàndor fühlte Übelkeit aufsteigen, als er an den tiefen, eisig kalten Waldsee dachte, der dort vorn idyllisch zwischen den hoch aufragenden Tannen lag. Wenn der See Eva-Marias Ziel gewesen war, dann würde jede Hilfe für sie zu spät kommen. Der kristallklare See würde unweigerlich ihren Tod bedeuten.
Nahezu zwei Stunden brauchte Sàndor, um Eva-Maria zu finden. Zitternd und frierend lehnte sie an einem Baum unweit des idyllischen Waldsees.
»Eva-Maria, um Himmels willen, was hast du dir denn nur dabei gedacht?« fragte Sàndor mit leisem Vorwurf, aber auch un-überhörbarer Besorgnis in der Stimme.
Eva-Maria sah zu ihm auf, dann brach sie in Tränen aus. Beschämt vergrub sie das Gesicht in den Händen.
»Geh!« brachte sie unter Schluchzen hervor. »Ich…, ich…«
Sàndor wartete nicht, bis sie Worte fand, sondern nahm sie kurzerhand auf die Arme, um sie zur Klinik zurückzutragen. Eva-Maria wollte sich zuerst wehren, doch Nässe und Kälte hatten ihre Gelenke steif werden lassen. Schließlich gab sie auf und lehnte ihren Kopf an Sàndors Schulter. Dabei wurde ihr zarter Körper noch immer von heftigem Schluchzen geschüttelt.
Der Weg war weit und beschwerlich, denn der unaufhörliche Regen verwandelte den Waldboden in tiefen Morast. Nun war Eva-Maria für Sàndor zwar keine allzu schwere Last, aber dennoch war er heilfroh, als der hufeisenförmige weiße Bau endlich in Sichtweite kam.
Dr. Daniel, der inzwischen natürlich ebenfalls informiert worden war, und Schwester Bianca nahmen sie am hinteren Eingang in Empfang. Die Krankenschwester kümmerte sich sofort um Eva-Maria und brachte sie wieder auf ihr Zimmer.
»Du hättest auf mich warten sollen, Sàndor«, meinte Dr. Daniel mit leisem Tadel in der Stimme, dann schüttelte er den Kopf. »Einfach abzuhauen – und das auch noch in so ungenügender Kleidung.«
»Ich hatte doch nur Angst um Eva-Maria«, verteidigte sich Sàndor.
Dr. Daniel nickte. »Das ist auch die einzige Entschuldigung, die ich dafür gelten lasse. Trotzdem hättest du warten sollen. Mit deinem überstürzten Handeln hast du uns zum Abwarten gezwungen. Wir wußten ja nicht, wohin du dich gewandt hast, konnten also praktisch nichts unternehmen. Gerrit, Wolfgang, Jeff und ich haben zwar den Park durchsucht, aber recht viel weiter wagten wir uns nicht von der Klinik weg.«
»Bitte, Herr Doktor, schimpfen Sie nicht mehr mit mir«, bat Sàndor zerknirscht.
Dr. Daniel seufzte. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht – um euch beide.« Er legte dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter, dann erschrak er. »Meine Güte, Sàndor, du bist ja naß bis auf die Haut. Komm, ich fahre dich nach Hause, damit du dich umziehen kannst.«
Der junge Mann nickte. »Danke, Herr Doktor, aber ich kann mich ja hier auch umziehen und dann meinen Dienst…«
»Das wirst du schön bleiben lassen«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Willst du denn unbedingt krank werden? Ich fahre dich jetzt nach Hause, dann wirst du ein heißes Bad nehmen und dich ins Bett legen.«
Doch davon wollte Sàndor nichts hören. Er ließ sich von Dr. Daniel zwar nach Hause fahren, zog sich dort aber nur um und kehrte dann in die Klinik zurück.
»Du bist schon ein unverbesserlicher Dickkopf«, schimpfte Dr. Daniel, als er mittags sah, daß der junge Mann seinen Dienst versah, als wäre überhaupt nichts passiert.
»Ich weiß«, entgegnete Sàndor. »Keine Sorge, Herr Doktor, das halte ich schon aus. Zu Hause würde mir die Sorge um Eva-Maria doch keine Ruhe lassen.« Er wurde sehr ernst. »Hoffentlich hat ihr nächtlicher Ausflug kein Nachspiel.«
»Ich fürchte schon. Sie war naß bis auf die Haut und entsprechend unterkühlt.« Er sah Sàndor an. »Du allerdings auch, und ich fürchte, in spätestens zwei Tagen wirst du eine empfindliche Erkältung ausgebrütet haben.«
Sàndor schüttelte den Kopf. »Ich bin zäh, Herr Doktor.«
*
Brigitte Klein hatte von dem Tumult, der an diesem Morgen in der Klinik stattgefunden hatte, nicht das geringste mitbekommen, daher wunderte sie sich auch, als Dr. Daniel zu ganz ungewöhnlicher Stunde zu ihr kam.
»Wie geht es Ihnen?« wollte er wissen.
»Soweit ganz gut«, antwortete sie. »Die Wehen haben aufgehört, aber sonst…, ich habe ein bißchen Angst, Herr Doktor.«
»Dazu besteht im Moment kein Grund«, entgegnete Dr. Daniel. »Wir haben den Diabetes im Griff, und Ihr Baby entwickelt sich auch ausgezeichnet. In ein paar Wochen wäre es bereits außerhalb des Mutterleibs lebensfähig – das heißt, daß dann wenigstens die Sorge um eine Fehlgeburt von uns genommen wäre, wenn wir natürlich auch weiter versuchen werden, Ihr Baby so lange wie möglich dort zu halten, wo es um diese Zeit noch hingehört.« Er schwieg kurz. »Allerdings sollten wir die Verlegung in die Sommer-Klinik nun nicht mehr allzu lange hinauszögern. Ich würde Ihnen vorschlagen, daß wir das noch in dieser Woche durchziehen.«
Brigitte nickte. »Wie Sie meinen, Herr Doktor. Ich vertraue da ganz auf Ihr Urteil. Was Sie sagen, ist sicher richtig.«
Dr. Daniel lächelte. »Gut, dann werde ich alles Nötige in die Wege leiten.« Er wurde wieder ernst. »Wie sieht es denn jetzt in finanzieller Hinsicht aus, wenn ich so indiskret sein darf, das zu fragen.«
»Natürlich dürfen Sie«, bekräftigte Brigitte sofort, doch dann wurde ihr Gesichtsausdruck traurig. »Ich fürchte, wir werden verkaufen müssen. Baby und Haus sind wohl nicht unter einen Hut zu bringen. Oliver und ich haben uns ohne großes Überlegen für das Kind entschieden. Vielleicht