Kurfürstenklinik Staffel 6 – Arztroman. Nina Kayser-Darius
Inhalt
Der Chefarzt und eine verzweifelte Frau
Als das Glück vollkommen schien
Wer hilft der schönen Laura M.?
Dr. Adrian Winter hatte einen freien Tag und schlenderte langsam in die edle Lobby des Hotels King’s Palace in Berlin, wobei er seine Blicke unauffällig umherschweifen ließ. Doch er fand nicht, was er suchte und wollte sich gerade enttäuscht der eleganten Bar zuwenden, um dort einen zwar sehr teuren, dafür aber auch erstklassigen Espresso zu trinken, als er hinter sich die Stimme jener Frau hörte, nach der er insgeheim auf der Suche war.
»Herr Winter, sind Sie das wirklich? Warum sind Sie nicht in Ihrer Notaufnahme und retten Menschenleben?« fragte Stefanie Wagner.
Als er sich zu ihr umdrehte, stellte er fest, daß sie sich nicht verändert hatte seit ihrem letzten Treffen – und das lag nun schon eine recht lange Zeit zurück. Im Gegenteil, sie schien sogar immer schöner zu werden. Wie immer bewunderte er vor allem ihre Augen, die nicht einfach blau waren, sondern der Farbe der Veilchen ähnelten. Sie beherrschten ihr Gesicht und verliehen ihm eine ganz besondere Note.
Sie wäre auch mit einer anderen Augenfarbe schön gewesen, dachte er, aber so war sie einfach unwiderstehlich. Hinzu kamen ihre blonden Locken, die schlanke, gut proportionierte Figur und ihre Eleganz, wozu ihre Position als Assistentin des Hoteldirektors sie verpflichtete.
In Wirklichkeit war Stefanie Wagner die heimliche Chefin dieses Hotels, jedenfalls sahen es die anderen Hotelangestellten und wohl auch die Gäste so, denn Direktor Wingensiefen liebte es zwar, zu repräsentieren, aber für »den täglichen Kleinkram«, der die Hauptarbeit in einem Hotel ausmachte, interessierte er sich gar nicht. Den überließ er Stefanie mit Freuden.
»Ich habe einen freien Tag und konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als Sie zu treffen und mit Ihnen einen Kaffee zu trinken«, antwortete Adrian und wunderte sich selbst über seinen Mut.
Seine Empfindungen für Stefanie Wagner waren höchst kompliziert. Er war der Ansicht, daß sie in festen Händen war, denn er hatte sie bereits mehrmals mit einem Mann gesehen, der sich ihr gegenüber höchst besitzergreifend verhielt. Und weil sie also offensichtlich gebunden war, versuchte Adrian, seit er sie kennengelernt hatte, über seine Gefühle für Frau Wagner möglichst nicht nachzudenken. Denn wenn er das täte, glaubte er, käme er wahrscheinlich zu dem Ergebnis, daß er sie liebte und um sie kämpfen mußte und machte sie womöglich noch unglücklich, weil sie dann plötzlich zwischen zwei Männern stand und sich entscheiden mußte.
Manchmal jedoch hielt Adrian es nicht mehr aus und kam unangemeldet im Hotel vorbei oder er rief sie an und lud sie zum Essen ein. Immer verbrachten sie wunderbare Stunden oder auch nur Minuten miteinander, und immer endeten ihre Treffen damit, daß er sich sagte, er müsse ihr vielleicht doch endlich gestehen, was er für sie empfand – und nie kam es soweit. Adrian Winter und Stefanie Wagner, das war eine unendliche Geschichte.
Sie war bei seinen Worten ein wenig rot geworden und sagte nun hastig: »Sie haben Glück, daß ich gerade ein bißchen Zeit habe. Außerdem bin ich wieder einmal sauer auf meinen Chef und brauche jemanden, dem ich mein Leid klagen kann.«
Er lächelte. »Sie wollen damit sagen, daß ich Ihnen gerade recht komme?«
Nun lächelte sie auch. »Genau das, Herr Winter. Kommen Sie!« Sie nahm seinen Arm und zog ihn einfach mit sich, was er sich nur zu gern gefallen ließ.
Kurz darauf saßen sie bereits an einem der kleinen Tische in der Bar, jeder mit einem doppelten Espresso vor sich. »Nun erzählen Sie mir mal, worüber Sie sich geärgert haben«, bat er. »Oder ist das hier zu gefährlich, weil es vielleicht Mithörer gibt?«
Sie schüttelte den Kopf, daß die Locken flogen, und ihre schönen Augen blitzten. »Ach was, das ganze Haus ist auf den Chef sauer. Was meinen Sie, was ich mir schon alles anhören mußte, seit er diesen unsinnigen Beschluß gefaßt hat.«
»Welchen Beschluß?« fragte er geduldig. Er kannte ihr Temperament und wußte, daß sie manchmal dazu neigte, mit dem Ende einer Geschichte anzufangen.
»Entschuldigen Sie, Herr Winter, Sie können mir natürlich nicht folgen, wenn ich Ihnen immer nur kleine Bröckchen hinwerfe. Also, Herr Wingensiefen hat beschlossen, zehn Prozent der Angestellten zu entlassen, weil er findet, die Arbeit hier könne auch mit weniger Personal bewältigt werden.« Sie senkte die Stimme und fügte hinzu: »Er war auf einem Seminar, wo es um Kostenreduktion und Gewinnmaximierung ging.«
»Aha«, sagte Adrian. »Das erklärt alles. Er meint also, wenn er Leute entläßt, wirft das Hotel mehr Gewinn ab.«
»Ja, das meint er. Und das könnte ja auch stimmen, wenn wir zu viel Personal hätten«, schimpfte sie, »aber das Gegenteil ist der Fall, wir sind eindeutig unterbesetzt, aber das merkt er nicht, weil der Laden trotzdem läuft. Und er läuft, weil wir uns hier alle die Beine ausreißen.«
»Während er mit japanischen Delegationen beim Innensenator empfangen wird«, sagte Adrian lächelnd.
Sie explodierte fast. »Haben Sie den Bericht gelesen?«
Er nickte.
»Wichtigtuerei«, sagte sie grimmig. »Aber das Schlimme für uns war, daß der Chef einen ganzen Tag lang mit diesen Japanern auf Empfängen war, während wir ihn hier dringend gebraucht hätten. Und das kommt ja relativ häufig vor. Mir leuchtet schon ein, daß es wichtig ist, sich als Direktor eines großen Hotels auch in der Öffentlichkeit sehen zu lassen, aber das muß sich in Grenzen halten. Ein Direktor kann nicht nur nach außen wirken, er muß auch für seine Angestellten da sein.«
Sie trank ihren Espresso und bestellte nach einem Blick auf Adrians leere Tasse mit einer Handbewegung bei dem Mann hinterm Tresen zwei neue.
»So«, sagte sie danach energisch, »und jetzt reden wir nicht mehr über das Hotel, sondern über Sie, Herr Winter. Wie geht es Ihnen?«
Wieder wagte er sich weiter vor als sonst. »Wenn ich hier mit Ihnen sitze und rede, dann geht es mir ausgezeichnet«, antwortete er. »Ich höre Ihnen gerne zu.«
Sie errötete erneut, und für zwei, drei Sekunden verfingen sich ihre Blicke ineinander. Vielleicht hätte Adrian sich, verführt durch das Lächeln in ihren Augen, doch noch weiter vorgewagt, wenn nicht in diesem Moment der Kellner gekommen wäre, um die leeren Tassen abzuräumen und die neuen Espresso zu servieren.
Fast erleichtert darüber, daß die Gefahr weiterer unbedachter Äußerungen zunächst einmal gebannt war, lehnte sich Adrian zurück, murmelte geistesabwesend: »Danke schön« und löffelte sich viel zuviel Zucker in die Tasse.
*
»Er macht sich hier nicht schlecht, der Herr Weyrich«, meinte die Internistin Dr. Julia Martensen leise zu ihrem jüngeren Kollegen, dem chirurgischen