Kurfürstenklinik Staffel 6 – Arztroman. Nina Kayser-Darius
»Danke. Helfen Sie mir bitte, ich möchte, daß wir die Frau hinlegen und ihre Kleidung öffnen, damit sie sie nicht beengt.«
Sehr leise fügte er hinzu: »Und schaffen Sie die Neugierigen hier raus, wenn Sie können.«
Sie nickte, half ihm, die Frau lang auszustrecken und bat dann die Gäste der Bar mit umwerfender Liebenswürdigkeit, ihre Getränke mit in die Lobby zu nehmen, bis der Rettungswagen gekommen sei und die Dame abgeholt habe.
Innerhalb kürzester Zeit war die Bar leer, und Adrian sagte erleichtert: »Vielen Dank, Frau Wagner.« Er beobachtete voller Sorge die regungslos am Boden liegende Frau und hoffte, daß der Rettungswagen früh genug eintraf, um sie zu retten.
»Ist das ein Herzinfarkt?« fragte Stefanie.
»Nein, das glaube ich nicht. Kennen Sie die Frau? Ist sie Gast Ihres Hotels?«
»Das ist Alida Roth«, sagte Stefanie leise. »Sie ist Stammgast bei uns.«
»Die Witwe des Reeders Roth?« fragte Adrian. Jetzt erst bemerkte er die teure Kleidung der Frau, ihren unauffälligen, aber sehr kostbaren Schmuck. Sie war, wenn er sich richtig an einige Artikel erinnerte, die er gelesen hatte, etwa Mitte fünfzig.
»Ja, genau die«, antwortete Stefanie. Jetzt flüsterte sie fast. »Achten Sie auf Alkohol und Drogen – es kann gut sein, daß ihr Zusammenbruch dadurch hervorgerufen wurde.«
»Danke für den Hinweis, vielleicht dient er ihrer Rettung.«
»Sie ist ein ganz armer Mensch«, sagte Stefanie traurig. »Sie hat schrecklich viel Geld, aber es nützt ihr nichts.«
Sie hörten das Martinshorn des Rettungswagens, und gleich darauf eilten die Sanitäter herein. Adrian kam nicht mehr dazu, sich von Stefanie zu verabschieden, denn der Zustand der Patientin war so kritisch, daß nun ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit begann.
*
»Ich habe Sie heute vormittag fast eine halbe Stunde vergeblich gesucht, Frau Wagner«, begann Andreas Wingensiefen, Stefanies Chef, mit hörbarer Ungeduld in der Stimme. »Es wäre wichtig gewesen, Sie sofort zu sprechen, aber Sie waren unauffindbar – sorgen Sie bitte in Zukunft dafür, daß Ihre Sekretärin weiß, wo Sie sich aufhalten.«
Sie erwiderte nichts, sondern wartete darauf, daß er zur Sache kam, obwohl sie wußte, daß sie ihn dadurch nur noch mehr verärgerte.
Sie hatte sich nicht getäuscht, sein Gesicht wurde noch düsterer, als er sich nun ungehalten erkundigte: »Wo waren Sie denn eigentlich?«
»In der Bar«, antwortete Stefanie wahrheitsgemäß. »Frau Roth ist dort ohnmächtig zusammengebrochen – zum Glück war ein Arzt anwesend. Wir mußten einen Rettungswagen rufen und vor Ort erste Hilfe leisten.«
Ihm war der Wind aus den Segeln genommen, und er fiel in sich zusammen wie ein schlaff gewordener Luftballon. Eigentlich kam Stefanie recht gut mit Andreas Wingensiefen klar, da sie seine Schwächen kannte und einzuschätzen wußte. Er machte sich gern wichtig, sie ließ ihn gewähren. Das hatte den Vorteil, daß sie zwar viel arbeiten mußte, aber in der Regel freie Hand hatte, weil er sich nicht einmischte.
Nur manchmal mußte er einfach den Chef herauskehren, damit die Verhältnisse wieder einmal geklärt waren. Das kam alle paar Wochen vor, und sie hatte sich daran gewöhnt. Meistens nahm sie es gelassen hin, gelegentlich ärgerte sie sich so über ihn, daß sie ihn absichtlich reizte – wohl wissend, daß er es sich nicht leisten konnte, sie zu verlieren. Ohne Stefanie Wagner hätte das King’s Palace gleich die Pforten schließen können und Andreas Wingensiefen hätte sich um gerade jene Kleinigkeiten kümmern müssen, die ihn nicht interessierten.
»Das wußte ich nicht«, gab er nun zu. »Wie geht es Frau Roth? Es ist doch hoffentlich nichts Ernstes?«
»Das Übliche«, sagte sie ruhig.
Er sah sie scharf an. »Was soll das heißen, Frau Wagner?«
»Zu viel Alkohol – und wahrscheinlich noch Kokain«, antwortete sie. »Das wissen Sie doch, Frau Roths Probleme sind hier im Hause bekannt.«
»Mir nicht!« entgegnete er scharf. »Und ich wünsche nicht, daß Sie so etwas über einen unserer Stammgäste sagen.«
Jetzt wurde sie zornig. »Ich laufe ja nicht herum und verbreite Gerüchte über Frau Roth, sondern ich sage Ihnen, dem Direktor dieses Hotels, was jeder Angestellte hier weiß. Ich kenne Frau Roth recht gut und weiß, wie viel Alkohol sie bei uns trinkt. Und die Sache mit dem Kokain habe ich vom Zimmerservice. Ich bin der Sache nachgegangen – sie stimmt. Frau Roth schwebt übrigens in Lebensgefahr – deshalb habe ich dem Arzt auch gesagt, was ich weiß.«
»Sie haben was getan?« Sein Gesichtsausdruck war so entgeistert wie seine Stimme.
»Ich habe den Arzt informiert«, erklärte sie kühl, »damit er sie gezielt behandeln kann. Das kann nämlich in solchen Fälle über Leben und Tod entscheiden. Wollten Sie sonst noch etwas, Herr Wingensiefen?«
»Nein, das war alles«, bellte er, und sie verließ eilig das Zimmer. Draußen atmete sie erst einmal tief durch, dann lief sie zu ihrem Büro. Manchmal hatte sie Lust, ihrem Chef an die Kehle zu springen. Heute war wieder einmal so ein Tag.
*
»Mehr Kochsalz«, kommandierte Adrian, und Schwester Monika hängte Alida Roth eine weitere Infusion an. Sie versuchten, die Konzentration von Alkohol und Drogen im Blut der Patientin so weit wie möglich zu verdünnen, zugleich bekam sie Medikamente, die Herz und Kreislauf unterstützten. Ihr Zustand hatte sich ein wenig stabilisiert, war aber noch weit davon entfernt, gut zu sein. Noch immer war sie nicht bei Bewußtsein.
»Frau Roth?« fragte Marc Weyrich, der Adrian bei seinen Bemühungen unterstützte. »Können Sie mich hören, Frau Roth?«
Die Frau schlug zum ersten Mal die Augen auf, schaffte es jedoch nicht, ihren Blick auf einen Punkt zu konzentrieren. Lallend fragte sie: »Was… is’?«
»Reden Sie mit mir, Frau Roth, damit Sie wach bleiben«, sagte der junge Arzt, während Adrian die Zusammensetzung des Medikaments noch einmal änderte, das der Patientin zugleich mit dem Kochsalz verabreicht wurde. »Wissen Sie, was passiert ist? Können Sie sich daran erinnern?«
Aber seine Bemühungen waren vergebens. »Keine… keine Ahnung«, murmelte sie und schloß erneut die Augen.
»Ich hoffe, sie schafft es«, sagte Adrian besorgt. »Meine Güte, sie muß Unmengen Alkohol zu sich genommen haben.«
»Woher haben Sie das gewußt – daß sie getrunken und auch noch Kokain genommen hatte?« fragte Marc. »Sie sieht ja wirklich nicht aus wie ein Junkie.«
»Jemand hat es mir gesagt«, antwortete Adrian. Als er den Blick des anderen sah, lächelte er. »Ich bin kein Hellseher, Herr Weyrich. Daß sie Alkohol getrunken hat, hätte ich gemerkt – aber auf Drogen wäre ich wohl auch nicht so schnell gekommen.«
Marc war erleichtert. »Ich dachte schon, ich hätte etwas übersehen«, gestand er. »Einen Hinweis auf ihren Drogenkonsum, meine ich.«
»Nein, Sie haben nichts übersehen«, beruhigte ihn Adrian.
Sie beugten sich beide wieder über die Patientin, die nun, mit geschlossenen Augen, leise vor sich hin murmelte.
»Vielleicht ist das Schlimmste ja jetzt überstanden!« meinte Marc.
Adrian warf einen Blick auf die Monitore, an die die Patientin angeschlossen war. »Noch nicht«, sagte er ernst.
*
Stefanie wartete bis zum Nachmittag, bis sie in der Notaufnahme der Kurfürstenklinik anrief und darum bat, mit Dr. Winter verbunden zu werden. »Wenn das nicht möglich ist«, sagte sie hastig, als sie das Zögern auf der anderen Seite bemerkte, »dann wäre ich froh, wenn er mich kurz zurückrufen könnte. Ich rufe aus dem Hotel King’s Palace an – Frau Roth gehört zu unseren Gästen.«
»Ach so«, sagte die junge Schwester