Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt

Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie  Marlitt


Скачать книгу
uns gar nicht näher; nicht einmal das dürftige Band eines Briefwechsels existiert zwischen uns — ich habe nur mit Moritz korrespondiert. Als Papa noch lebte, wurde Henriette bei ihrer Großmama erzogen. Wir sahen uns äußerst selten und auch dann nur unter der Aufsicht der Frau Präsidentin. Meine Schwester, die Kommerzienrat Römer, wohnte in der Stadt und starb auch sehr frühe. Und Flora? Sie war sehr schön und sehr gescheit; sie war eine hochgefeierte junge Dame und machte bereits die Honneurs in unserm Hause, als ich noch tief in den Kinderschuhen steckte. Flora muß großartig beanlagt gewesen sein, weil man sich stets so namenlos bedrückt und eingeschüchtert in ihrer Nähe fühlte. Ich habe nie gewagt, sie anzureden oder auch nur ihre wunderschönen Hände zu berühren, und noch heute fühle ich, daß es sehr unbescheiden von mir sein würde, wollte ich den Umgangston zwischen ihr und mir beanspruchen, wie er sonst zwischen Schwestern üblich ist.«

      Sie unterbrach sich und sah ihm erwartungsvoll in das Gesicht, aber sein weggewendeter Blick schweifte über die Gegend draußen. Er ermutigte sie mit keiner Silbe — hatte er doch auch um das seltene Mädchen dienen müssen, wie Jakob um die Rahel. Möglicherweise war er nicht einmal duldsam gegen die Schwesterliebe in dem Herzen, das sich ihm endlich zugeneigt ... Bei aller Milde und sanften Schlichtheit, die er wohl infolge seines ärztlichen Berufes äußerlich angenommen, sah er doch aus, als könne er auch sehr ernstlich und entschieden auf seinem Rechte bestehen.

      »Wie die Sachen stehen — die Villa ist ja nicht mehr mein Vaterhaus — kann ich dort nur als Gast, als Besuch gelten, wie jeder andere auch,« hob sie nach einer augenblicklichen Pause wieder an. »Hier in der Mühle stehe ich auf meinem eigenen Grund und Boden; da ist Heimatluft und Heimgefühl, und das alte Schieferdach droben und Franz und Suse werden mich und meine unmündigen achtzehn Jahre wohl ebenso treu beschirmen, wie es die Villa mit ihrer strengen Etikette nur immer vermag.« Ein mutwilliges Lächeln schwebte um ihren Mund. »Uebrigens wird man über diesen ‚Formfehler‘ rascher hinweggehen, als Sie denken, Herr Doktor — man kann es von ‚der Müllermaus‘ nicht besser erwarten.«

      Der Schmeichelname, mit welchem der Papa sie einst genannt, konnte nun allerdings nicht mehr gelten: Huschen und Schlüpfen und unversehens in einem Verstecke verschwinden — dieses Gesamtbild von zarter Gliedergeschmeidigkeit und furchtsamer Seele paßte nicht zu dem Mädchen, das der Welt den fleckenlos weißen Schild der Stirn so ruhig zukehrte, das seine kraftvollen, plastisch ausgeprägten Glieder bei aller jugendfrischen Regsamkeit dennoch mit einer Art von stiller Würde beherrschte.

      Allmählich kam eine behagliche Wärme vom Ofen her; Käthe zog einen Flakon aus der Tasche und goß einige Tropfen Eau de Cologne auf die heiße Eisenplatte; ein lieblicher, luftreinigender Duft verbreitete sich. »Suse wird ganz feierlich zu Mute sein, wenn sie herüber kommt,« sagte sie heiter und ließ ihre Augen noch einmal musternd durch die Stube gleiten; es war alles in Ordnung; nur die Alkoventhür stand noch offen, und durch den breiten Spalt sah man gerade auf die bunten Nelkensträuße der Bettstelle, die drinnen in der Nähe des Fensters stand. Jetzt erst fiel der Blick des jungen Mädchens auf die plumpen wohlbekannten Blumengebilde, die einst das Entzücken ihrer Kinderseele gewesen waren — die ganze Rosenfrische wich plötzlich von ihren Wangen, selbst ihr roter Mund war blaß geworden.

      »Dort ist mein Großpapa gestorben,« flüsterte sie ergriffen.

      Doktor Bruck schüttelte den Kopf und zeigte schweigend nach dem südlichen Eckfenster.

      »Sie waren bei ihm?« fragte sie hastig und trat ihm näher.

      »Ja.«

      »Er ist so plötzlich gestorben, und Moritz hat mir den Trauerfall in so wenig eingehender Weise angezeigt, daß ich nicht einmal weiß, was die Ursache seines Todes gewesen ist.«

      Der Doktor stand so, daß sie nur sein Profil sehen konnte; er war sehr bärtig um Kinn und Lippen; dennoch konnte sie bemerken, wie sich diese Lippen fest aufeinander legten, als werde es ihnen schwer, zu antworten. Nach einem augenblicklichen Schweigen wandte er ihr langsam und voll das Gesicht zu und sah sie ernst an. »Man wird Ihnen sagen, er sei an meiner Ungeschicklichkeit im Operieren gestorben,« sagte er mit einer Stimme, der die innere Bewegung fast allen Klang nahm.

      Das junge Mädchen fuhr vor Schrecken und Bestürzung zurück; ihr Auge streifte noch einmal den Mund, der gesprochen hatte, dann suchte es den Boden.

      »Einzig und allein um Ihrer eigenen Beruhigung willen möchte ich Ihnen die Versicherung geben, daß das durchaus unwahr ist,« fuhr er mit sanftem Ernste fort; »aber wie kann ich von Ihnen verlangen, daß Sie mir glauben sollen? ... Wir sehen uns heute zum erstenmal und wissen nichts voneinander.«

      Sie hätte sich mit einer einzigen oberflächlichen Phrase aus dieser peinvollen Lage helfen können, aber das fiel ihr nicht ein. Er hatte recht — wie konnte sie wissen, ob er schuldlos, und die anklagende öffentliche Meinung im Unrechte sei? Freilich trug seine ganze Erscheinung den Stempel einfacher Geradheit und Wahrhaftigkeit. Sie fühlte sogar heraus, daß es eigentlich seine Art gar nicht sein könne, ungerechten Verdächtigungen gegenüber auch nur ein Wort zu verlieren, ja, daß er sich in diesem Augenblicke mit einer Versicherung gleichsam herablasse. Dennoch war sie nicht fähig, etwas auszusprechen, für das sie keine innere Rechtfertigung fand.

      Er hatte wohl auch keine Antwort erwartet; denn er wandte sich ab, aber mit so viel Würde und stolzer Gelassenheit, daß in Käthe ein Gefühl plötzlicher Beschämung aufstieg und ihre Wangen heiß rötete. »Darf ich die Kranke nun herüber bringen?« fragte sie mit unsicherer Stimme.

      Er bejahte, und sie verließ mit raschen Schritten das Zimmer. Drüben in der Hinterstube wischte sie sich die hervorquellenden Thränen von den Wimpern und ließ sich den erschütternden Vorgang von der Haushälterin erzählen.

      »Die Geschichte hat dem Doktor in der Stadt schrecklichen Schaden gebracht,« sagte Suse schließlich. »Erst gab's keinen Besseren, und er hatte alle Hände voll zu thun, und nun sagen sie auf einmal, er verstände seine Sache nicht. So sind eben die Menschen, Fräulein Käthchen. Und er ist nicht schuld an dem Unglücke. Es war alles gut; ich hab's ja mit meinen eigenen Augen gesehen. Aber da sollte sich der Schloßmüller ganz ruhig verhalten — ja, der und ruhig! Ich weiß am besten, wie er beim kleinsten Aerger gleich kirschbraun wurde. Da darf nur der Franz draußen zu laut gesprochen haben, oder der Wagen ist zu schnell in den Hof gefahren — da hat schon die Wut in ihm gekocht. So war er. Ich hab' genug mit ihm ausgestanden, und zum Dank dafür hat er mich auch mit keinem Pfennig bedacht;« — sie lachte scharf und zornig auf — »wenn Sie nicht für mich sorgten, da könnte ich jetzt betteln gehen.«

      Käthe hob unwillig warnend und Schweigen gebietend den Zeigefinger.

      »Nun meinetwegen auch — ich will still sein,« grollte die Alte und ließ es still geschehen, daß das junge Mädchen ihren vertrockneten Körper wie ein hilfloses Kind in Decken und Kleider einmummte. »Es thut mir nur leid, daß so ein guter Herr wie der Doktor deswegen nun angeschwärzt wird und sein Brot verliert, und seine arme Tante, für die er sorgt und arbeitet, dauert mich auch. Sie hat ihn von ihrem bißchen Vermögen studieren lassen, die alte Frau Diakonus. Sie wohnt bei ihm; er ist immer ihr ganzer Stolz gewesen — und nun muß sie das miterleben.« —

      Käthe machte der Mitteilung, die sehr ins Breite zu gehen drohte, ein Ende, indem sie die Kranke vorsichtig aus dem Lehnstuhle hob. Sie war der früheren Heimat zu sehr entfremdet und wurzelte mit ihrem Denken und Empfinden viel zu sehr in ihrem Dresdener Heim, um sich für die Privatverhältnisse dessen so rasch zu erwärmen, der Floras Bräutigam war. Allerdings bedauerte sie den Arzt in ihm, dem das Mißlingen einer Kur so plötzlich Existenz und Stellung gefährdete, allein das Weh um den Großvater, der jedenfalls schwer gelitten hatte, überwog bei weitem auch diesen Anteil.

      Halb und halb getragen von den starken Armen des jungen Mädchens, hinkte Suse über den Vorsaal. Die Thür der Eckstube war offen und am Fuße der herniederführenden Stufen stand Doktor Bruck mit ausgestreckten Händen, um die Leidende in Empfang zu nehmen und ihr herabzuhelfen ... Es war eine charakteristische Gruppe, die der Thürrahmen einen Augenblick umschloß. Käthe hatte sich den gesunden Arm der Kranken um den Nacken gelegt und hielt die knochige braune Hand mit ihren rosigen Fingern


Скачать книгу