Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt

Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie  Marlitt


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gebeugt, ihr strahlend junges Gesicht an den grauen Scheitel, die runzelvolle Wange des alten Frauenkopfes legte.

      Nach wenigen Minuten saß Suse bequem und weich gebettet in der luftigen Stube. Sie musterte ängstlich die famosen Vorhänge, entsetzte sich über das Bett auf dem »stolzen Kanapee« und bemühte sich vergeblich, ihre Freude darüber zu verbergen, daß sie nun wieder jeden Sack zählen konnte, der drunten im Hofe auf- und abgeladen wurde.

      Die junge Dame sah nach ihrer kleinen goldenen Uhr. »Es wird Zeit, mich in der Villa vorzustellen; sonst gerate ich möglicherweise mitten in den stolzen Theezirkel der Frau Präsidentin,« sagte sie mit der anmutigsten Geste eines leichten Schauders und zog die Handschuhe aus der Tasche. »In einer Stunde komme ich wieder und koche dir eine Suppe, Suse —«

      »Mit den feinen Händen?«

       »Mit den feinen Händen, versteht sich. Glaubst du denn, ich lege sie in Dresden in den Schoß? ... Hast doch meine Lukas gekannt, Suse — sie ist heute wie damals; da heißt es, Hand und Fuß rühren und die Zeit ausnutzen. Du solltest sie nur einmal sehen! Sie ist eine Frau Doktorin geworden, die ihresgleichen sucht.« Damit verließ sie das Zimmer, um sich in Suses Stübchen zum Fortgehen zu rüsten.

       Inhaltsverzeichnis

      Auf der Spinnerei schlug es Fünf, als Käthe in Doktor Brucks Begleitung wieder in den Hof trat. Es war kälter geworden, und die uralte halbverwischte Sonnenuhr am Giebel, die heute, im goldenen Frühlingslicht neu auflebend, mit scharfem Finger die Stunden bezeichnet hatte, sah wieder trübselig und verwittert aus.

      Das helle Geklingel der Thürschelle lockte Franz wieder heraus auf die kleine Freitreppe, und auch seine Frau folgte ihm neugierig mit langem Halse, um die heimgekehrte junge Herrin zu begucken. Käthe bat sie, während ihrer Abwesenheit fleißig nach der Kranken zu sehen, was auch heilig und teuer versprochen wurde. In diesem Augenblick rauschte es in den Lüften, und gleich darauf stürzte eine schöne Taube herab und blieb hilflos auf dem Steinpflaster liegen.

      »Schwerenot, nehmen denn die Bubenstreiche kein Ende?« fluchte Franz, indem er die Treppe herabsprang und das Tierchen aufhob — es war flügellahm geschossen. »Da guck her, Frau!« sagte er zu der Müllerin. »'s ist keine von unseren — ich dachte mir's gleich. 's ist ein gottheilloses Volk da drüben. Die schießen der armen Dame ihre Prachttauben nur so vor der Nase weg. Na, ich sollte nur der Herr Kommerzienrat sein!« Er schüttelte die Faust.

      »Wer ist denn die arme Dame, Franz? Und wer schießt nach ihren Tauben?« fragte Käthe mit großen Augen.

      »Er meint Henriette,« sagte Doktor Bruck.

      »Und drüben aus der Spinnerei wird geschossen!« platzte Franz ingrimmig heraus.

      »Wie, die Fabrikarbeiter meines Schwagers?«

      »Ja, ja, die sein Brot essen, Fräulein. 's ist eine Sünde und Schande. Da haben Sie die Bescherung, Herr Doktor! Da sehen Sie ja nun, was das für eine Brut ist. Sie wollen bei denen alles mit Liebe und Güte durchsetzen — ja, da werden Sie weit kommen. Was haben denn solche brave Leute wie Sie von der Gutheit? Lange Nasen macht Ihnen die Gesellschaft ... Die Faust aufs Auge! 'runter müssen sie. Das ist meine Meinung — sonst ist kein Aushaltens.«

      »Streikt man auch hier?« fragte Käthe den Doktor, dem ein so schönes, ernstes Lächeln um die Lippen schwebte, daß sie das Auge nicht von ihm wenden konnte.

      »Nein, die Sache liegt anders,« sagte er, den Kopf schüttelnd. Seine ruhige Stimme klang imponierend neben Franzens heftigem Gepolter. »Mehrere der ersten Arbeiter, im Besitz einiger Kapitalien, hatten Moritz gebeten, ihnen beim Zerschlagen des Rittergutes zu einem Stück Land zu verhelfen, das, an sich öde und von geringem Ackerwert, ziemlich nahe der Fabrik unbenutzt liegt. Sie wollten Häuser bauen mit Mietwohnungen auch für die ärmeren Arbeiterfamilien, die den teuren Mietzins in der Stadt fast nicht mehr erschwingen können. Der Kommerzienrat hat ihnen auch Versprechungen gemacht; er konnte das um so eher, als der begehrte Streifen Landes noch zu seinem Park gehört —«

      »Verzeihen Sie, Herr Doktor, daß ich Sie unterbreche!« fiel Franz ein; »gerade deshalb durfte er's nicht. Ich hab' mir's gleich gedacht, daß das die Frau Präsidentin nicht zugibt. Wer läßt sich denn auch eine solche Nachbarschaft gefallen, wenn er nicht muß? Und richtig — die Damen drüben sind furchtbar böse geworden und haben's ein für allemal nicht gelitten, daß die Bauplätze abgegeben worden sind; ‚es sollen neue Anpflanzungen gemacht werden‘, hat's geheißen, und damit war die Sache abgemacht. Nun sind sie wütend in der Fabrik und thun Schabernack und rächen sich, wo sie können.«

      »Freilich eine erbärmliche Rache! — Du armes Ding!« sagte Käthe und nahm die Taube aus Franzens Hand.

      »Das Beklagenswerte dabei ist, daß diese Roheit einzelner auf einen ganzen Stand strafend zurückwirkt. Man wird der Präsidentin keinen Vorwurf mehr daraus machen dürfen, daß sie solche Elemente nicht in ihrer Nähe dulden will,« sprach Doktor Bruck mit verfinstertem Gesicht.

      »Das sehe ich nicht ein. Es gibt Boshafte und Rachsüchtige in allen Ständen,« versetzte das junge Mädchen rasch und lebhaft. »Ich verkehre oft in den unteren Klassen; mein Pflegevater hat viel arme Patienten, und wo außer seinen Medikamenten auch kräftige Suppen und sonstige Nachhilfe in der Pflege not thun, da unterstützt ihn meine liebe Doktorin nach Möglichkeit, und ich gehe selbstverständlich auch mit. Man stößt auf viel Undank und Rohheit, das ist wahr, oft aber auch auf brave und edle Gesinnung, Not und Elend sind aber meist so herzerschütternd —«

      »Ist nicht so schlimm, wie sie denken, Fräulein — das Volk verstellt sich,« unterbrach sie Franz mit einer wegwerfenden Handbewegung.

      Käthe maß ihn einen Augenblick schweigend von unten herauf mit einem sprechenden Blick. »Sieh, sieh, was für ein vornehmer Herr der Franz geworden ist!« sagte sie mit unverkennbarer Ironie. »Von wem sprechen Sie denn? Sind Sie nicht selbst aus dem Volke? Und was waren Sie denn früher in der Schloßmühle? Ein Arbeiter wie die Leute dort in der Spinnerei auch, ein Arbeiter, der schweigend manches Unrecht leiden mußte, wie ich sehr genau weiß.«

      Dem Müller schoß das Blut in das bestäubte Gesicht. Er stand in sprachloser Verblüfftheit vor der jungen Dame, die ihm so kurz und bündig, so schlagend seinen Standpunkt bezeichnete. »Na, Fräulein, nichts für ungut! Es war nicht so böse gemeint,« sagte er endlich und streckte ihr in unbeholfener Verlegenheit seine breite Hand hin.

      »In Wirklichkeit sind Sie auch nicht so schlimm, Sie haben Glück gehabt und kehren nun den Schloßmühlenpächter heraus, der Geld in der Tasche hat,« entgegnete sie und legte einen Augenblick ihre schmale Hand in die seine, aber die kleine Falte des Unwillens auf ihrer Stirn glättete sich nicht so rasch wieder. Sie zog ein weißes Tuch aus der Tasche, schlug es um die Taube und knüpfte die vier Enden zusammen. »Ich werde Henriette den kleinen Invaliden mitbringen,« sagte sie, das Tuch vorsichtig in die Hand nehmend — es sah aus wie ein armseliges Reisebündelchen.

      Der Doktor öffnete eine kleine Seitenthür in der Hofmauer, welche direkt in den Park führte, und ließ die junge Dame voranschreiten. Draußen blieb sie wie eingewurzelt stehen. »Ich finde mich nicht zurecht,« rief sie fast bestürzt und wandte sich wie hilflos nach ihm um. »Sieht es doch fast aus, als ob Riesenhände den Park durcheinander geschüttelt hätten. Was thun die Leute dort?« Sie zeigte weit hinüber nach einer Erdvertiefung von gewaltigem Umfang, aus der die Köpfe zahlloser Arbeiter auftauchten.

      »Sie graben einen Teich; die Frau Präsidentin liebt die Schwäne auf breitem Wasserspiegel.«

      »Und was baut man da drüben nach Süden hin?«

      »Ein Palmenhaus.«


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