Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt
Männergemüt, ihrer sanften hilfreichen Vermittelung, ihrer Klugheit. Aber die wenigsten geben sich die Mühe, darüber nachzudenken oder, was ich in erster Linie von ihnen verlange, ihr Herz zu befragen. Sie nehmen die Mittel zur Bestreitung ihrer heutzutage fast schrankenlosen Bedürfnisse aus den Händen der Männer, ohne zu erwägen, daß vor ihrer Thür alle Elemente zu einem furchtbaren Konflikt stetig emporwachsen.«
Die Präsidentin strich mit ihren schlanken Händen langsam über die atlasspiegelnde Fläche ihres Ueberkleides, und ohne auf den letzten Ausspruch einzugehen, sagte sie gelassen: »Ich gebe sehr gern; nur bin ich nicht gewöhnt, meine Almosen direkt in die Hand der Heischenden zu legen, und so mag es kommen, daß man nicht weiß, wie viel und wie oft ich gebe. Dieses Mißkennen läßt mich übrigens sehr ruhig, selbst wenn es mich verantwortlich machen möchte für die Roheiten, denen wir augenblicklich ausgesetzt sind.«
»Die Roheiten sind abscheulich. Niemand kann sie strenger verurteilen als ich,« versetzte Doktor Bruck ebenso kalt; »aber —«
»Nun, ‚aber‘? Sie behaupten schließlich doch, wir Frauen im Hause des Arbeitgebers hätten sie provoziert?«
»Ja, Frau Präsidentin, Sie haben den Arbeitgeber abgehalten, seinen Leuten helfend entgegenzukommen, die Forderung der Arbeiter aber war keine unbillige, keine jener häßlichen Ausschreitungen, welche gegenwärtig die an sich vollkommen gerechte Sache der Partei verdunkeln und anrüchig machen — sie wollten auch kein Almosen, sondern mit Hilfe des Fabrikherrn sich selbst emporarbeiten zu einer beglückteren Existenz.«
Die alte Dame klopfte ihm leicht auf die Schulter und sagte freundlich, aber doch in jenem bestimmten, kurz abfallenden Tone, mit welchem sie das Gespräch abzubrechen wünschte: »Sie sind ein Idealist, Herr Doktor.«
»Nur ein Menschenfreund,« versetzte er flüchtig lächelnd und griff nach seinem Hute.
Seine Braut hatte ihm längst den Rücken gewendet und war in das andere Fenster getreten. Kein Frauengesicht war mehr geeignet, den Ausdruck der Feindseligkeit anzunehmen, als dieses Profil, das die Lippen so fest über den Zähnen zu schließen vermochte ... Der Mann dort hatte mit dürren Worten gesagt, sie suche an ihrem Schreibtische mühsam fremde Ideen zusammen — unerhört, bei ihrer Begabung! Sie hatte allerdings nie ihre feinen Sohlen mit dem Arbeitsstaub in des Schwagers Spinnerei befleckt; sie wußte auch in der That nicht, wie es bei den Leuten aussah, die das dringende Verlangen nach Reformen unter eine Fahne rief und sie zu einer Macht anwachsen ließ, die sich wie ein Keil zwischen die gesellschaftliche Ordnung schob und sie zu zersprengen drohte. Aber wozu denn auch? Mußte man denn alles in Wirklichkeit gesehen und erlebt haben, was man schilderte? Lächerlich! Wozu waren denn Geist und Phantasie da? ... Bis heute hatte der Doktor ihre litterarischen Bestrebungen mit keiner Silbe berührt — »aus Scheu und Respekt« hatte sie gedacht, und nun griff er dieses Wirken plötzlich so plump, so verständnislos an — er! Sie rang schwer mit sich. »Ich begreife nicht, Großmama, wie du dich zu der Bezeichnung ‚Idealist‘ versteigen konntest,« rief sie mit funkelnden Augen herüber. »Ich dächte, Bruck hätte vorhin das große Thema trocken genug beleuchtet. Nach seinem Programme sollen wir schleunigst Komfort und Eleganz abstreifen und in Sack und Asche gehen; wir sollen uns beileibe nicht geistig beschäftigen, sondern Volkssuppen kochen. Daß wir die Stille und Abgeschlossenheit unseres Parkes verteidigen, ist Todsünde — es versteht sich von selbst, daß wir die hoffnungsvolle Schuljugend direkt unter unseren Fenstern turnen und lärmen lassen etc., und wenn wir nicht brav sind und schön folgen, da stellt er uns ein Gespenst vor die Thür.« — Sie lachte kurz und hart auf. »Uebrigens verrechnet sich solch ein Menschenfreund mit seinen Sympathien ganz gewaltig. Sollte es wirklich zu dem geweissagten Zusammenstoß kommen, dann wird das Gespenst mit ihm ebenso kurzen Prozeß machen wie mit uns auch.«
»Ich habe nicht viel zu verlieren,« sagte der Doktor mit einem halben Lächeln.
Flora kam raschen Schrittes herüber. Ihre Löckchen flogen und die schwere Samtschleppe fegte den Marmorfußboden.
»O, seit heute morgen darfst du das nicht mehr sagen, Bruck,« entgegnete sie beißend. »Bist ja Hausbesitzer geworden, wie mir Moritz mitteilte. Allen Ernstes — hast du wirklich deine Drohung von gestern wahr gemacht und die entsetzliche Baracke drüben am Flusse erstanden?«
»Meine Drohung?«
»Nun, anders kann ich's doch nicht nennen, wenn du mir ein solches Schreckbild für die Zukunft hinstellst? Du hast, wie du es gestern selbst bezeichnet, deine Ersparnisse in einem Grundstücke angelegt, das für mich das Nonplusultra der Einöde, der Aermlichkeit und der abstoßenden Häßlichkeit ist. Zur Augenweide allein hast du doch das Kleinod unmöglich an dich gebracht, und deshalb frage ich dich ernstlich: Wer soll darin wohnen?«
»Du brauchst es mit keinem Fuße zu betreten.«
»Das werde ich auch niemals — darauf kannst du dich verlassen. Eher —« Es war ein schwer zu enträtselnder Blick, mit welchem der Doktor unterbrechend die Hand hob, aber dieser verdunkelte Blick hatte etwas so gewaltig Zwingendes, daß der rote Mund des schönen Mädchens unwillkürlich verstummte.
»Ich habe das Haus für meine Tante bestimmt und werde nur ein Zimmer für mich reservieren, das mir für meine freien Stunden einen ungestörten Arbeitswinkel im Grünen bietet,« sagte er gleich darauf weit ruhiger, als man nach seinem vorherigen Gesichtsausdrucke hätte erwarten können.
»Ah, viel Vergnügen dazu! Also ein spezielles Sommerasyl! — Und im Winter, Bruck?«
»Im Winter werde ich mich mit dem grün tapezierten Zimmer begnügen müssen, das du in unserer zukünftigen Wohnung selbst für mich bestimmt hast.«
»Aufrichtig gestanden — ich mag die Wohnung nicht mehr. Gerade um dieses Eckhaus tost der Straßenlärm unaufhörlich und wird mich stören, wenn ich arbeiten will.«
»Nun, dann werde ich dem Hauswirte Abstandsgeld zahlen und eine andere suchen,« entgegnete er mit unerschütterlichem Gleichmut.
Flora wandte sich achselzuckend von ihm weg und zwar so, daß Käthe ihr voll ins Gesicht sehen konnte. Fast schien es, als stampfte die Braut den Boden. Sie warf den Kopf in den Nacken und sah mit einem Augenaufschlage nach der Zimmerdecke, als ob sie verzweifelt ausrufen wollte: »Gott im Himmel, ist ihm denn gar nicht beizukommen?«
In diesem Augenblicke schellte die Präsidentin so stark, daß das Geklingel scharf und anhaltend vom Ende des langen Korridors hereindrang. Die alte Dame sah streng und beleidigt aus — in ihrem Beisein durfte es zu solchen taktlosen Auseinandersetzungen nicht kommen. »Du magst nicht gerade vorteilhaft über die Gastfreundschaft und den guten Ton im Hause deines Schwagers denken, Käthe,« sagte sie zu dem jungen Mädchen. »Man hat dir weder die Reisejacke abgenommen, noch einen Stuhl zum Niedersetzen angeboten; statt dessen mußt du, gleichviel ob du Lust hast oder nicht, unnütze Erörterungen anhören und auf dem kalten Steinfußboden stehen, während dort die dicken, warmen Teppiche liegen.« Sie zeigte nach den zwei entgegengesetzten Zimmerecken, welche Gruppen von Polstermöbeln und in der That kostbare, schwellende Smyrnateppiche ausfüllten, dann gab sie dem eintretenden Bedienten Befehle für die Hausmamsell hinsichtlich der schleunigen Instandsetzung einiger Gastzimmer.
Damit war die atemlose, herzbeklemmende Spannung gelöst, welche sich bei dem zugespitzten Wortwechsel der Zuhörenden bemächtigt hatte. Der Kommerzienrat beeilte sich, der Angekommenen das Jackett abzunehmen, und Henriette verließ mit einer tiefen Fieberglut auf den eingefallenen Wangen den Wintergarten, um ihre Taube fortzutragen.
»Wollen Sie nicht zum Thee bleiben, Herr Doktor?« fragte die Präsidentin den Arzt, der sich abschiednehmend vor ihr verbeugte. Er entschuldigte sich mit einigen Krankenbesuchen, die er noch zu machen habe — Gründe, bei welchen es sarkastisch um Floras Lippen zuckte, aber das schien er nicht zu bemerken; er reichte ihr die Hand, ebenso dem Kommerzienrate, vor Käthe aber neigte er sich ritterlich ehrerbietig, durchaus nicht wie vor einer jungen, neuen Schwägerin; für ihn war und blieb sie vorderhand das Mädchen aus der Fremde