Wie ich Livingstone fand. Henry M. Stanley
so genau und zugleich so farbig beschrieben worden. Ebenso wie die späteren Werke, so lässt auch dieses erste Rückschlüsse auf den Menschen Stanley zu, der ein Draufgänger war, hart und diszipliniert gegen sich selbst, hart und oft geradezu brutal gegen seine Begleiter, gegen die Weißen gleichermaßen wie gegen die Farbigen. Stanley war aber auch ehrlich genug, seine Schwächen zumindest im Vergleich mit Livingstone zuzugeben. Das beweist beispielsweise eine sehr aufschlussreiche Tagebuchstelle vom 3. März 1872, die er allerdings nicht in den Reisebericht aufnahm, sondern die erst später von seiner Frau in den »Lebenserinnerungen« veröffentlicht wurde. Dort erzählt er, wie es Livingstone mit einigen ruhigen Worten gelang, einen Konflikt mit einem eingeborenen Diener zu schlichten, den er selbst infolge seines cholerischen Temperaments provoziert hatte.
Unterschiedlich war auch die Einstellung der beiden Reisenden zum Sklavenhandel. Gewiss lehnte ihn auch Stanley ab, aber er arrangierte sich, wo er es für nötig hielt, mit den arabischen Sklavenhändlern, nahm sogar Partei bei ihren internen Streitigkeiten, unterstützte sie bei ihren Kämpfen und verbündete sich auf der zweiten Reise mit einem der berüchtigtsten Händler. Livingstone dagegen war viel kompromissloser. Er prangerte das Vorgehen der Araber an, wo er nur konnte, seine Tagebücher gewinnen dort ungemein an Farbe und Dramatik, wo er sich gegen die Sklavenhändler und ihre Brutalitäten wendet.
Die vorliegende Ausgabe geht auf die erste deutsche Übersetzung des Werkes bei F. A. Brockhaus zurück. Die Rechtschreibung wurde modernisiert, beibehalten dagegen entsprechend den bisherigen Editionsprinzipien die Namensschreibung, also z. B. Tanganika statt heute Tanganyika oder Tanganjika, aber auch Udschidschi gegenüber Udjidji etwa in »Durch den dunkeln Welttheil« (und dementsprechend in der Neuausgabe »Die Entdeckung des Kongo«).
Ein besonderes Problem bildeten die Textkürzungen. Gegenüber der Originalausgabe wurde zuerst einmal auf die beiden landeskundlichen Kapitel und auf das Schlusskapitel verzichtet, das sich sowieso nur mit persönlichen Querelen auseinandersetzt. Eine stärkere Möglichkeit der Kürzung ergab sich auch bei dem Bericht über Livingstones frühere Reisen. Weitere Streichungen wurden sehr behutsam innerhalb der einzelnen Kapitel vorgenommen und beschränken sich überwiegend auf die ermüdenden Marschangaben, die Aufzählung der Ausrüstung und Charakterbeschreibungen einzelner Träger. Dementsprechend deckt sich die Kapiteleinteilung nicht mehr mit dem Original, und die ursprünglich sechzehn Kapitel des Werkes wurden in acht zusammengefasst.
Heinrich Pleticha
1 Bei den folgenden Schilderungen der Lebenswege decken sich einige Abschnitte mit Teilen der Einleitungen zu Livingstone »Zum Sambesi und quer durchs südliche Afrika« und Stanley »Die Entdeckung des Kongo« (beide Edition Erdmann) vom gleichen Herausgeber. Da es nicht sinnvoll erschien, dieselben Fakten mit neuen Worten zu wiederholen, wurden sie deshalb hier übernommen, jedoch in andere Zusammenhänge eingeordnet.
2 Vgl. hierzu seinen Reisebericht »Zum Sambesi und quer durchs südliche Afrika« (Edition Erdmann Tübingen 1980).
3 Zur fehlerhaften Datumsberechnung vgl. im Folgenden die Bemerkungen Stanleys.
4 Vgl. dazu Stanley »Die Entdeckung des Kongo« (Edition Erdmann), dort in der Einleitung auch Hinweise auf den weiteren Lebensweg.
EINLEITUNG
Am 16. Oktober 1869 war ich von den Kämpfen bei Valencia soeben in Madrid angekommen. Um 10 Uhr vormittags überreicht mir Jacopo, in Nr. – Calle de la Cruz, ein Telegramm, welches lautet: »Kommen Sie sofort nach Paris wegen wichtiger Geschäfte.«
Das Telegramm ist von James Gordon Bennett jun., dem jungen Direktor des »New York Herald«.
Schleunigst nehme ich meine Bilder von den Wänden meiner im zweiten Stock gelegenen Zimmer, packe meine Bücher und Andenken, meine hastig zusammengerafften, teils halb gewaschenen, teils noch nicht getrockneten Kleider in meine Koffer, und nach ein paar Stunden eiliger und angestrengter Arbeit ist mein Gepäck geschnürt und nach Paris signiert.
Um 3 Uhr nachmittags war ich unterwegs, und da ich in Bayonne einige Stunden Aufenthalt hatte, kam ich in Paris erst in der folgenden Nacht an. Ich ging direkt ins Grand Hotel und klopfte an Herrn Bennetts Tür.
»Herein!«, rief eine Stimme.
Bei meinem Eintritt fand ich Herrn Bennett im Bett.
»Wer sind Sie?«, fragte er.
»Mein Name ist Stanley«, antwortete ich.
»Ach ja! Nehmen Sie Platz. Ich habe ein wichtiges Geschäft für Sie.«
Nachdem er sich den Schlafrock umgeworfen, fragte mich Herr Bennett: »Wo, glauben Sie, dass Livingstone sich aufhält?«
»Ich weiß es wirklich nicht.«
»Glauben Sie, dass er am Leben ist?«
»Kann sein, kann aber auch nicht sein«, antwortete ich.
»Ich glaube, er ist am Leben und man kann ihn finden, und ich will Sie ausschicken, um ihn aufzusuchen.«
»Was?«, sagte ich, »Sie meinen wirklich, dass ich imstande bin, Dr. Livingstone aufzufinden? Sie meinen, dass ich nach Zentralafrika gehen soll?«
»Jawohl, ich meine, dass Sie hingehen und ihn aufsuchen sollen, wo Sie ihn nur immer vermuten können, dass Sie dann alle Nachrichten, die Sie von ihm erhalten können, sammeln. Und vielleicht«, fügte er in nachdenklichem Ton hinzu, »ist der alte Mann in Not. Nehmen Sie genug mit sich, um ihm beizustehen, wenn er dessen bedarf. Natürlich werden Sie nach eigenem Plan handeln und das tun, was Sie für das Beste halten, aber – finden Sie Livingstone!«
»Aber«, sagte ich in Verwunderung über den kaltblütigen Befehl, mit dem man einen Menschen nach Zentralafrika schickte, um einen Mann aufzusuchen, den ich wie die meisten für tot hielt, »haben Sie ernstlich die große Ausgabe überlegt, der Sie sich für diese kleine Reise aussetzen?«
»Was wird es kosten?«, fragte er kurz.
»Burtons und Spekes Reise nach Zentralafrika hat 3000 bis 5000 Pfd. St. gekostet, und ich denke, man kann die Reise nicht für weniger als 2500 Pfd. St. machen.«
»Gut, da will ich Ihnen sagen, was zu tun ist. Erheben Sie zunächst 1000 Pfd., und wenn Sie die verbraucht haben, trassieren Sie wieder 1000 Pfd., und wenn diese verausgabt sind, abermals 1000 Pfd., und wenn Sie damit zu Ende sind, noch 1000 Pfd. usw., aber – finden Sie Livingstone!«
Erstaunt, aber nicht irregemacht durch diesen Befehl – denn ich wusste, dass, wenn Herr Bennett einmal zu etwas entschlossen war, er nicht leicht von seinem Plan abging –, meinte ich doch, da es ein solches Riesenunternehmen war, dass er noch nicht völlig die Gründe und Gegengründe bei sich erwogen habe, und sagte: »Ich habe gehört, dass, wenn Ihr Vater stirbt, Sie den ›Herald‹ verkaufen und sich vom Geschäft zurückziehen wollen.«
»Wer Ihnen das gesagt hat, hat Sie falsch informiert, denn es gibt gar nicht Geld genug in New York, um den ›New York Herald‹ zu kaufen. Mein Vater hat ihn zu einer großen Zeitung gemacht, aber ich gedenke, ihn noch bedeutend zu vergrößern. Ich wünsche, dass er eine Zeitung in dem wahren Sinne des Wortes werde. Ich meine, dass er alles bringen soll, was die Welt interessiert, gleichviel was das kosten möge.«
Ich erwiderte ihm: »Dann habe ich nichts weiter zu sagen. – Meinen Sie, dass ich direkt nach Afrika gehen soll, um Dr. Livingstone aufzusuchen?«
»Nein; ich wünsche, dass Sie sich zuerst zur Einweihung des Suez-Kanals begeben und dann den Nil hinaufgehen. Ich höre, dass sich Baker gerade nach Oberägypten begibt; suchen Sie alles über seine Expedition zu erfahren, was Sie können, und wenn Sie den Nil hinaufgehen, beschreiben Sie möglichst genau alles, was für Touristen von Interesse ist. Schreiben