Wie ich Livingstone fand. Henry M. Stanley
zaudert, so pflegt er vor Wut laut aufzuschreien, er schiebt ihn weg, stößt das Elfenbein mit verächtlicher Gleichgültigkeit mit dem Fuße fort, kurz, nirgends wird solch ein Lärm um nichts gemacht. Obgleich er nun dem erstaunten Eingeborenen befiehlt, sich zu trollen, so beabsichtigt er durchaus nicht, dass ihm der Kauf entgehen soll.
Die Banyanen üben vor allen anderen Klassen den größten Einfluss auf den Handel von Zentralafrika aus. Mit Ausnahme von ein paar reichen Arabern sind fast alle anderen Kaufleute den Nachteilen des Wuchers ausgesetzt. Ein Handelsmann, der eine Reise ins Innere machen will, gleichviel ob er nach Sklaven oder Elfenbein, Kopalgummi oder Orseillewurzel auszieht, schlägt einem Banyanen vor, ihm 5000 Dollars zu 50, 60 oder 70 Prozent zu leihen. Der Banyane weiß sicher, dass er nichts verliert, ob die Spekulation des Handelsmannes sich bezahlt macht oder nicht; denn ein erfahrener Handelsmann erleidet selten Verluste, oder wenn er unschuldigerweise unglücklich gewesen ist, so verliert er seinen Kredit nicht. Mithilfe des Banyanen kommt er bald wieder auf die Beine.
Blick auf Sansibar
Auf die Banyanen folgen in Sansibar, was die Machtstellung betrifft, die mohammedanischen Hindus. Eine Zeit lang war ich wirklich im Zweifel, ob die Hindus nicht ebenso arg im Handel betrügen wie die Banyanen, und wenn ich den Letzteren die Palme gereicht habe, so ist das nur mit Widerstreben geschehen. Dieser Stamm der Inder erzeugt Massen gewissenloser Schurken, während er kaum einen ehrlichen Kaufmann aufzuweisen hat. Einer der ehrlichsten Leute von allen, ob weiß oder schwarz, ob rot oder gelb, ist ein mohammedanischer Hindu, namens Tarya Topan. Er ist unter den Europäern in Sansibar durch seine Ehrlichkeit und strenge Rechtschaffenheit im Geschäft sprichwörtlich geworden. Er ist sehr reich, besitzt mehrere Schiffe und Dhauen und nimmt eine hervorragende Stellung im Rat bei Seyyid Barghasch ein. Tarya hat viele Kinder, unter denen zwei oder drei erwachsene Söhne sich befinden, welche er ganz nach seinem Vorbild erzogen hat. Aber Tarya repräsentiert nur eine ungemein kleine Minderheit.
Die Araber, Banyanen und mohammedanischen Hindus bilden die höheren und mittleren Klassen. Diese sind im Besitz der Landgüter, der Schiffe und des Handels. Vor ihnen beugen sich die Mischlingsrassen und die Neger.
Nach diesen sind das bedeutendste Volk, welches zur gemischten Bevölkerung dieser Insel beiträgt, die Neger. Sie bestehen aus den eingeborenen Wasawahili, Somalis, Komorines, Wanyamwezi und einer Anzahl Repräsentanten der Stämme von Innerafrika.
Für einen weißen Fremdling, der im Begriff steht, ins Innere von Afrika zu gehen, ist ein Spaziergang durch die Negerquartiere der Wanyamwezi und Wasawahili höchst interessant; denn hier lernt man es erst, dass man zugeben muss, dass die Neger Menschen wie unsereins sind, obgleich von anderer Farbe; dass sie Leidenschaften und Vorurteile, Sympathien und Antipathien, Geschmacksrichtungen und Empfindungen wie alle anderen Menschen haben. Je eher man diese Tatsache einsieht und sich nach ihr richtet, um so leichter wird einem die Reise unter den verschiedenen Stämmen des Innern werden. Je schmiegsamer man von Natur ist, um so gedeihlicher werden die Reisen ausfallen.
Die Neger der Insel bilden wohl zwei Drittel der ganzen Bevölkerung; sie sind die arbeitenden Klassen, ob sie Sklaven oder Freie sind. Die Sklaven verrichten die Arbeit auf den Plantagen, Landgütern und in den Gärten der Gutsbesitzer oder dienen als Hamals oder Lastträger auf dem Lande sowie in der Stadt. Auf dem Lande sieht man sie mit sehr großen Lasten auf dem Kopf so zufrieden und heiter wie möglich, nicht etwa, weil sie freundlich behandelt werden oder leichte Arbeit haben, sondern weil sie ihrer Natur nach heiter und leichten Herzens sind, weil sie weder Vergnügungen noch Hoffnungen haben, die sie nicht nach Belieben befriedigen können, und keinem Ehrgeiz frönen, dem sie nicht Genüge tun könnten, daher auch in ihren Hoffnungen nicht getäuscht worden sind.
Die Stadt Sansibar, auf dem südwestlichen Ufer der Insel gelegen, hat eine Bevölkerung von fast 100 000 Einwohnern; die ganze Insel schätze ich auf nicht mehr als 200 000, alle Rassen eingeschlossen.
Die Europäer und Amerikaner, die in der Stadt Sansibar wohnen, sind entweder Regierungsbeamte oder unabhängige Kaufleute oder Agenten für ein paar große europäische und amerikanische Handelshäuser. Das wichtigste Konsulat ist das britische. Als ich in Sansibar meine Expedition ins Innere von Afrika ausrüstete, war Dr. John Kirk britischer Konsul und Geschäftsführer daselbst. Ich war sehr begierig, diesen Herrn kennenzulernen, weil sein Name so oft mit dem des Dr. David Livingstone, den ich aufsuchen wollte, zusammen genannt worden ist. In fast allen Zeitungen wurde er als der frühere Begleiter von Dr. Livingstone bezeichnet. Nach den Artikeln und Briefen an die indische Regierung, die ich gelesen hatte, bildete ich mir ein, dass, wenn ich überhaupt irgendwelche positive Kunde in Bezug auf den Aufenthaltsort des Dr. Livingstone erhalten könnte, mir dieselbe von Dr. Kirk zukommen würde; daher erwartete ich die Ehre, von Kapitän Webb bei ihm eingeführt zu werden, mit nicht geringer Ungeduld.
Am zweiten Morgen nach meiner Ankunft in Sansibar gingen der amerikanische Konsul und ich, in Übereinstimmung mit der Etikette des Ortes, auf die Straße hinaus, und nach einigen Augenblicken stand ich vor diesem viel besprochenen Mann. Kapitän Webb sagte zu einem Mann von dünner, hagerer Gestalt, der einfach gekleidet und etwas gebückt ging, schwarzhaarig, von schmalem Gesicht und eingefallenen Wangen war und einen Bart trug: »Dr. Kirk, erlauben Sie mir, Ihnen Herrn Stanley, vom ›New York Herald‹, vorzustellen.«
Ich glaubte zu bemerken, dass er in dem Augenblick seine Augenlider merklich erhob und dadurch den ganzen Umfang seiner Augen zeigte. Wenn ich einen solchen Blick beschreiben sollte, so würde ich ihn als ein Anstarren bezeichnen. Während der Unterhaltung, die sich über verschiedene Gegenstände verbreitete, sah ich sein Gesicht, welches ich aufmerksam beobachtete, sich nur einmal beleben und erregt werden, und zwar als er uns einige seiner Jagdgeschichten erzählte. Da der Gegenstand, der meinem Herzen am nächsten war, nicht zur Sprache kam, nahm ich mir vor, ihn über Dr. Livingstone das nächste Mal, wenn ich ihn besuchte, auszufragen.
Am Dienstagabend haben Dr. und Frau Kirk ihre Gesellschaftsabende, wie die Sansibarer wissen. Die Freuden eines solchen Abends werden von der zivilisierten Bevölkerung von Sansibar im Allgemeinen ignoriert, aber die Repräsentanten der europäischen Kolonie besuchen sie trotzdem. An eben diesem Abend waren die reichsten Einwohnerklassen ziemlich stark vertreten.
Die Erfrischungen, welche der britische Konsul nebst Frau ihren Gästen an ihren Empfangsabenden anboten, bestanden aus einer Art milden Weines und Zigarren, nicht weil sie nichts anderes zu Hause haben, etwa Tee oder ein paar Kuchen, sondern wohl nur, weil es die Sitte eines sansibarisierten Europäers ist, dergleichen, mit etwas Soda- oder Selterswasser gemischt, als eine Art Reizmittel für das bisschen Klatsch zu sich zu nehmen, das gewöhnlich unter dem Einfluss des Weines sympathische und eifrige Zuhörer findet.
Es war wohl alles sehr schön, aber trotzdem hielt ich diesen für einen der langweiligsten Abende, die ich je erlebt hatte, bis Dr. Kirk aus Mitleid für die Langeweile, an der ich litt, mich beiseiterief, um mir eine schöne Elefantenflinte zu zeigen, welche ihm, wie er sagte, vom Gouverneur von Bombay geschenkt worden sei. Ich hörte nun Loblieder auf ihre tödliche Kraft und Verderben bringende Präzision und ließ mir einige Anekdoten von dem Leben im Schilfmoor, einige Jagdabenteuer und Erlebnisse auf seinen Reisen mit Livingstone erzählen. »Ach, jawohl, Dr. Kirk«, sagte ich nachlässig, »was Livingstone betrifft – wo, glauben Sie, ist der jetzt?«
»Ja«, erwiderte er, »das ist sehr schwer zu sagen; er kann tot sein; wir wissen nichts Positives, worauf wir uns bestimmt verlassen können. Davon bin ich überzeugt, dass niemand etwas Bestimmtes von ihm seit mehr als zwei Jahren gehört hat. Dennoch glaube ich, dass er am Leben sein muss. Wir schicken ihm beständig irgendetwas zu. In Bagamoyo befindet sich eben eine kleine Expedition, die im Begriff steht aufzubrechen. Ich glaube wirklich, dass der alte Mann jetzt nach Hause kommen sollte; er wird, wie Sie wissen, alt, und wenn er stirbt, so wird die Welt nichts von seinen Entdeckungen haben. Er schreibt weder Notizen noch Tagebücher, und nur sehr selten bringt er seine Beobachtungen zu Papier, sondern macht nur ein Zeichen oder einen Punkt oder etwas Ähnliches auf eine Karte, was niemand als er selbst verstehen kann. Ja, wenn er am Leben ist, so sollte er unter allen Umständen heimkehren und einem jüngeren Mann seine Stelle lassen.«
»Wie