Butler Parker 139 – Kriminalroman. Günter Dönges
Schießbuden und eine große Zahl von Imbißstuben, deren Duft allein schon animierte.
»Ich denke, ich werde erst mal mit einer kleinen Portion Zuckerwatte beginnen«, sagte sie, als sie sich energisch durch das Gewühl der Menschen schob. Sie glich dabei einem Räumpanzer, für den es keine Hindernisse gab.
»Darf man sich erlauben, Mylady auch auf gebrannte Mandeln hinzuweisen?« fragte Parker.
»Eines nach dem anderen«, sagte sie und nickte huldvoll, »nehmen auch Sie Zuckerwatte?«
»Vielleicht später, Mylady«, reagierte Parker in seiner bekannt höflichen Art. Er blieb vor einer Verkaufsbude stehen, deren Betreiber sich auf Süßigkeiten spezialisiert hatte. Lady Agatha deutete auf den Kessel, in dem die Zuckerwatte hergestellt wurden und verlangte zwei Portionen.
»Es ist ja im Grund nichts als Luft«, redete sie sich ein, »damit werde ich meine Diät auf keinen Fall durchbrechen, oder?«
»Höchstens andeutungsweise, Mylady«, erwiderte Parker und zahlte die beiden Portionen, die Agatha Simpson sich reichen ließ. Genußvoll öffnete sie den Mund, um an der Zuckerwatte zu schlecken, als sie angestoßen wurde. Ob es sich um einen Zufall handelte, ob Absicht vorlag, ließ sich im Augenblick nicht feststellen. Lady Simpsons Nase senkte sich in jedem Fall in das feine Gespinst der Zuckerwatte. Und einige Fäden dieser Süßigkeit drangen in ihre Nase, deren Schleimhäute leicht gekitzelt wurden. Ein explosionsartiges Niesen folgte als Reaktion auf diesen feinen Reiz.
Lady Agatha wandte sich um und musterte ihre nähere Umgebung. Sie sah lächelnde Gesichter, die wirklich keinen Hohn verrieten, suchte nach einem Opfer und entdeckte dann einige junge Leute, die ungeniert prusteten.
»Fühle ich mich angegriffen und beleidigt, Mr. Parker?« fragte sie bei ihrem Butler an.
»Mylady sind nach wie vor fest entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen«, erinnerte Parker.
»Richtig«, räumte sie ein und wischte sich mit dem Handrücken die Nase, »aber es gibt natürlich Grenzen, oder?«
»Die erfreulicherweise keineswegs erreicht wurden«, meinte Parker und deutete auf einen der Schießstände, »Mylady wollten Papierblumen schießen?«
»Später«, sagte sie und schritt auf die jungen Männer zu, »ich habe da erst etwas zu klären.«
Parker folgte höflich und würdevoll. Erneut dachte er an den Anwalt, der einige Prophezeiungen gemacht hatte. Sollte das Chaos schon jetzt ausgelöst werden?
Lady Agatha hatte die jungen Männer erreicht, die im Schnitt etwa fünfundzwanzig sein mochten. Sie starrten die ältere Dame an und spürten wohl instinktiv die Gefahr, die auf sie zukam. Als sie dann auch noch den funkelnden Blick der Lady sahen, wandten sie sich hastig ab und verschwanden zwischen zwei Verkaufsbuden.
»Feiglinge«, knurrte die ältere Dame, »man hat noch nicht mal den Mut, sich zu stellen.«
»Darf man sich nach dem Geschmack der Zuckerwatte erkundigen?« fragte Parker ablenkend. Er war froh, daß die jungen Männer sich abgesetzt hatten.
»Die Lümmel werden mir nicht entkommen«, drohte sie und kostete erneut von der Zuckerwatte, »wo sind die Motorradfahrer, Mr. Parker?«
»Sie dürften sich in die Arme des Vergnügens geworfen haben, Mylady«, antwortete der Butler.
»Wie auch immer.« Lady Agatha blickte sich suchend nach allen Seiten um und konzentrierte sich dann auf einen muskulösen, stämmigen Mann, dessen Oberkörper nackt war. Er schien zu den Arbeitern zu gehören, die gerade eine Salto-Schaukel aufbauten.
Der Mann spürte Myladys forschenden Blick, duckte sich und boxte sich förmlich durch eine Gruppe von Besuchern, um neben einem Zelt zu verschwinden, in dem eine Wahrsagerin ihre Dienste anbot.
Die ältere Dame ließ sich natürlich sofort ablenken.
»Ich werde mir die Zukunft deuten lassen«, entschied sie, »und bei dieser Gelegenheit wird mir die Wahrsagerin verraten müssen, wo sich die Lümmel befinden. Kommen Sie, Mr. Parker! Möchten Sie nicht erfahren, was die Zukunft für Sie parat hält?«
»Nicht unbedingt, Mylady«, gab der Butler zurück. Auch er hatte den muskulösen Mann beobachtet und wußte, daß er ihn in der Vergangenheit schon gesehen hatte. Parker wußte nur nicht, bei welcher Gelegenheit dies der Fall war.
Er beschloß, auf der Hut zu sein!
*
Madame Batour war eine große, füllige Frau von etwa fünfundfünfzig Jahren. Ein buntes Kopftuch reichte bis tief in die Stirn. Die Frau trug einen weiten, wallenden Mantel aus dünnem Stoff und hatte ihre mit vielen Ringen geschmückten Hände um eine Kristallkugel gelegt. Als Lady Agatha sich ins Kabinett schob, blickte Madame Batour überrascht auf.
»Was kostet eine Zukunftsberatung?« erkundigte sich Lady Agatha, »ich bin nicht gewillt, ein Vermögen dafür auszugeben, meine Liebe.«
»Das Wissen um die Zukunft ist kostbar«, meinte die Wahrsagerin mit tragisch-düsterer Stimme.
»Keine Ausflüchte! Was verlangen Sie für Ihren Weitblick?« Agatha Simpson nahm bereits in dem tiefen Sessel Platz, der vor dem Tisch stand, hinter dem die Zukunftsdeuterin saß.
»Ein Pfund«, sagte Madam Batour mit fester Stimme.
»So weit in die Zukunft will ich nicht sehen«, gab Agatha Simpson zurück, »ein halbes Pfund genügt bei weitem. Fangen Sie an.«
»Zuhörer sind nicht erwünscht«, stellte die Wahrsagerin klar und blickte auf Butler Parker, der knapp neben dem Zelteingang stand und seine schwarze Melone höflich gelüftet hatte.
»Mr. Parker bleibt«, entschied die ältere Dame.
»Ich könnte vertrauliche Dinge im Kristall der Zukunft erblicken«, wandte Madame Batour ein, die mit französischem Akzent redete.
»Ich gehe stets jedes Risiko ein«, antwortete Agatha Simpson ungeduldig, »zieren Sie sich nicht länger, meine Liebe.«
Die Wahrsagerin nickte, blickte noch mal schnell zu Butler Parker hinüber und konzentrierte sich dann auf die Kristallkugel. Ihre langen, schlanken Finger umspannten die Kugel, während es wie durch Zauberei im kleinen Zelt dunkel wurde. Das Licht unter dem Zeltdach wurde immer schwächer, doch dafür erstrahlte die Kristallkugel von innen heraus in milchigem Licht, das von Sekunde zu Sekunde immer weißer wurde und dann in dunkelrotes Glühen überging.
»Sehr hübsch«, murmelte Lady Agatha und setzte sich zurecht, »sehr wirkungsvoll.«
»Ich sehe«, flüsterte Madame Batour.
»Was ich mir auch ausgebeten haben möchte«, warf die ältere Dame warnend ein.
»Ich sehe vorerst nur Umrisse«, murmelte Madame Batour weiter. Ihre Stimme war in monotonen Singsang übergegangen, »ich sehe Nebel und Farben ... Gräber... eine Kirche ... Ich sehe Kränze und Särge ... Nein, es ist nur ein Sarg... Ich sehe Schleifen an den Kränzen ... Schleifen, die Aufschriften tragen, doch die kann ich nicht lesen ... Sie sind undeutlich ... Ich sehe eine Straße und ein Auto... Ich beobachte eine Kurve und dann sehe ich ... Nein, nein!«
»Sehen Sie nun oder sehen Sie nicht?« Lady Agathas Stimme war in leichtes Grollen übergegangen. »Konzentrieren Sie sich gefälligst!«
»Ich sehe ein Messer und in Unfallauto«, redete die Wahrsagerin weiter. Sie schien nichts gehört zu haben, »ich sehe eine Frau am Boden und sehe wieder einen Friedhof...«
»Ist das alles?« räsonierte Agatha Simpson.
»Ich ... möchte hier abbrechen«, sagte Madame Batour und atmete tief durch. Sie lehnte sich weit zurück und schob die große Kristallkugel fast wie angeekelt zur Seite.
»Und dafür soll ich ein halbes Pfund zahlen?« Agatha Simpson war aufgestanden. Empörung lag in ihrer Stimme.
»Ich will kein Geld«, entgegnete die Wahrsagerin und griff mit ihren Fingerspitzen nach den Schläfen.